dbb magazin 10/2020

portrait Zugbegleitdienst Im Notfall auf sich selbst gestellt Seit fast 30 Jahren fährt René Bäselt von Berufs wegen Bahn. Er hat in dieser Zeit nicht nur Zigtau­ sende Kilometer zurückgelegt, sondern auch eini­ ges einstecken müssen. Bäselt, der inzwischen als Zugchef im Fernverkehr der Deutschen Bahn tätig ist, wurde geschlagen, getreten, gewürgt, ange­ spuckt und schwer beleidigt. Trotz allem kann er sich keinen interessanteren Beruf vorstellen. Nur eines, sagt er, störe ihn: „Es gibt kaum Leute, die im Notfall helfen.“ „Viele tragen ihre Maske. Es gibt auch welche, die sie erst im Zug aufsetzen oder wenn jemand guckt. Bei anderen hängt sie unterm Kinn, bis wir sie auffordern, Mund und Nase zu bedecken. Aber einen direkten Verweigerer hatte ich persönlich noch nicht“, sagt René Bäselt. „Ich weiß aber von Kolleginnen und Kol­ legen, die andere Erfahrungen gemacht haben, dass sie sich von der zusätzlichen Aufgabe, die geltenden Hygienevor­ schriften zu kontrollieren und die Maskenpflicht durchzuset­ zen, überfordert und alleinge­ lassen fühlen“, räumt der Ber­ liner ein, der als Zugchef im Fernverkehr der Deutschen Bahn nicht nur die Verant­ wortung für die Fahrgäste in den IC- und ICE-Zügen trägt, sondern auch für sein mitrei­ sendes Team. „Tatsache ist, dass wir Zugbegleiter das Hausrecht der Bahn in den Zügen ausüben. Wir sind aber erstens keine Vollstreckungs­ organe und zweitens viel zu wenige, um in einem gut be­ setzten Zug im Sinne der Ge­ sundheit aller jene in die Schranken weisen zu können, die sich nicht an die Regeln halten.“ Die auch auf Druck seiner Ge­ werkschaft erfolgte Zusage der Bahn, Sicherheitspersonal zu engagieren, das die Mas­ kenpflicht durchsetzen und Bußgelder erheben soll, hält Bäselt, der im GDL-Bezirk Nord-Ost den Arbeitskreis Zugbegleitdienst leitet und in dieser Funktion auch Mitglied des Bezirksvorstandes ist, für eine vernünftige Idee. „Bisher haben wir die angekündigte Entlastung aber noch nicht zu spüren bekommen“, stellt er klar. „Die Bahn scheint sich nicht immer bewusst zu sein, dass sie als Arbeitgeberin auch eine Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten hat“, fügt der 50-jährige Berliner dann eher nachdenklich hinzu, „jüngstes Beispiel: die von der Bahn Ende Juli in den sozialen Me­ dien verbreitete Denunzie­ rungsaktion, in der unsere Fahrgäste aufgefordert wur­ den, Zugbegleitpersonal, das angeblich keine Maske trug oder die Durchsetzung der Maskenpflicht vernachlässigt haben soll, über einen be­ stimmten Link zu melden. Weil es Proteste hagelte – auch seitens der GDL – wurde die Aktion ziemlich schnell wieder aus dem Netz genom­ men. VomWahrheitsgehalt einer solchen anonymen An­ zeige einmal abgesehen, trägt so etwas nicht gerade dazu bei, dass die Beschäftig­ ten sich mit ihrer Arbeitgebe­ rin identifizieren, geschweige denn sicher fühlen.“ << Übergriffe gab es schon immer Dabei spielt gerade das Thema Sicherheit im Berufsalltag des Zugbegleitpersonals eine gro­ ße Rolle. „Dass die Medien, die derzeit wieder verstärkt über gewalttätige Übergriffe auf Zugbegleiter berichten, einen Zusammenhang mit Corona herstellen und die Ursachen im Frust der Fahrgäste gegen­ über den Hygienemaßnahmen verorten, ist nachvollziehbar, trifft den Kern der Sache aber nur am Rande“, gibt René Bäselt zu bedenken. „Übergriffe hat es schon im­ mer gegeben. Mich hat es in den 1990ern zum ersten Mal erwischt, als ich noch auf dem Interregio gefahren bin.“ Da­ mals war der Hardrockfan – von Statur und Körpergröße kein Fliegengewicht – von vier Punks angegriffen, getreten und geschlagen worden. „Der Angriff ist in keiner Statistik vermerkt, weil ich nicht zum Arzt gegangen bin, obwohl ich am Schienbein und am Knö­ chel verletzt worden war. Ich habe den Vorfall am Ende der Schicht ins Dienstbuch des Dis­ ponenten eingetragen – und das war es.“ 2017 traf es Bäselt erneut: „Bei einer Fahrkartenkontrolle im ICE ist ein Passagier ohne Ticket ausgerastet. Er hat mir das Handgelenk brutal über­ dehnt und hätte mir vermut© Jan Brenner (3) << René Bäselt Im Freizeitmodus: Zum Gespräch mit dem dbb magazin hatte der Hardrockfan seine Dienstbekleidung samt der roten Zugchef- Binde zu Hause gelassen. Er erschien Heavy-Metal-tauglich in schwarzer Jeans und „Black-Swan“-T-Shirt. 20 dbb > dbb magazin | Oktober 2020

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