dbb magazin 7-8/2020

nachgefragt Krisenerfahrungen innerhalb der Verwaltung systematisch auswerten Wie haben sich Ihrer Meinung nach Staat und Verwaltung bis- lang bei der Bewältigung der Corona-Pandemie geschlagen? Hammerschmid: Gerade auch im internationalen Vergleich hat sich Deutschland bei der Bewältigung der Coro- na-Pandemie sehr gut geschla- gen. So liegt Deutschland in einer Analyse des britischen Think Tanks Deep Knowledge Group weltweit auf Platz 2, was den Schutz der eigenen Bevöl- kerung betrifft. Ähnlich wie be- reits in der Finanzkrise 2008 ha- ben Staat und Verwaltung ihre Fähigkeit zu effektivem Krisen- management und schnellem Ergreifen notwendiger Maß- nahmen unter Beweis gestellt. Und auch das föderale System hat sich erneut bewährt und seine Stärken im Hinblick auf flexible lokale Lösungen gezeigt. Trotz dieser insgesamt positi- ven Einschätzung hat die Coro- na-Pandemie allerdings auch aufgezeigt, dass gerade bei IT- Infrastruktur, digitalen Verwal- tungsleistungen und digitalen Arbeitsformen Defizite beste- hen und es hier eines deutli- chen Beschleunigungsschubs bedarf. Wir sollten die Situati- on jetzt zu einer systemati- schen Bestandsaufnahme nut- zen, um aus den Erfahrungen der letzten Monate zu lernen und sicherzustellen, dass die Verwaltung zukünftig auch digital gut aufgestellt ist. Köppl: Dass wir uns so gut geschlagen haben, ist auch dem hohen persönlichen Einsatz der Ver- waltungsmitarbeitenden zu verdanken. Mut zu Kreativität, schnellen Entscheidungen und kurzfristiger Digitalisierung ha- ben zur Krisenbewältigung bei- getragen. Es hat sich gezeigt: Verwaltungen können dyna- misch sein! Diese Erfahrung sollten wir unbedingt bewah- ren und kultivieren. Gleichzeitig gab es Schmerz- punkte, die Prof. Hammer- schmid auch schon erwähnt hat: Fehlende IT-Infrastruktu- ren haben stellenweise Mitar- beitende trotz der Infektions­ risiken an den Schreibtisch gezwungen. Und Mitarbeiten- de im Homeoffice wurden mit technischen, rechtlichen und fachlichen Fragestellungen al- leingelassen. Es kam also zu systemischen und persönli- chen Überforderungen. Elemente dieser Dynamisie- rung zu erhalten und gleichzei- tig die Überforderungen abzu- bauen, ist die jetzt anstehende Aufgabe für die Verwaltungen. Unsere neue Studie „Verwal- tung in Krisenzeiten“ soll hier- zu einen Beitrag leisten. Auch für die Dienstleistungs­ erbringung vor Ort in den Ver- waltungen hat sich durch die Corona-Pandemie viel verän- dert – wie haben die Verwal- tungen hierauf reagiert? Hammerschmid: Ich möchte Herrn Köppl zu- stimmen, dass wir in den letz- ten Monaten eine beeindru- ckende Veränderungsdynamik in der Verwaltung erlebt ha- ben, die erst durch die persön- liche Einsatzbereitschaft von Führungskräften und Mitarbei- tern möglich wurde. Die weit- reichendste Reaktion – die ich so für kaummöglich gehalten habe – war der schnelle Um- stieg auf Homeoffice und Vi- deokonferenzen sowie die Fle- xibilisierung der Arbeitszeiten in vielen Verwaltungsberei- chen. Trotz Lockdowns hat die Verwaltung in weiten Teilen den Bürgern weiterhin zur Ver- fügung gestanden, was erheb- liche Flexibilität und eine neue Kultur des Möglichmachens erforderte. Der deutliche Ar- beitsanstieg, insbesondere im Gesundheitsbereich, aber auch durch die vielfältigen neu beschlossenen Förderungs- maßnahmen, konnte durch Abordnungen und hohe Ein- satzbereitschaft der Mitarbei- ter abgefangen werden. Es feh- len allerdings valide Befunde, wie das konkret gelang bezie- hungsweise zu welchen ne­ gativen Auswirkungen und Überforderungen das in Ein­ zelbereichen geführt hat. Was hat in den vergangenen Wochen aufseiten der Verwal- tung weniger gut funktioniert? Hammerschmid: Die Corona-Pandemie hat den Finger in die offene Wunde der bisher nur ungenügenden Digi- talisierung, aber auch damit einhergehenden Veränderun- gen in der Arbeitskultur gelegt. Dies betrifft die Möglichkeit von Bürgern und Unterneh- men, Verwaltungsleistungen digital und rund um die Uhr in Anspruch zu nehmen, aber vor allem auch eine konsequente Digitalisierung der eigenen Ar- beitsabläufe und Zusammen- arbeit. Die Möglichkeit zum Homeoffice ist, als Telearbeits- platz, ein höchst verrechtlich- ter und komplexer Prozess – die Beantragung und Einrich- tung konnte vor Corona durch- aus mal ein Jahr dauern und war nur wenigen Mitarbeiten- den vorbehalten. Und gerade zu Beginn der Corona-Pande- << Gerhard Hammerschmid ist Professor of Public and Financial Manage- ment an der Hertie School of Governance in Berlin. Seine Forschungs- schwerpunkte liegen bei den Themen Verwaltungsmanagement, verglei- chende Verwaltungsforschung, Leistungsmanagement im öffentlichen Sektor und Personalverwaltung. © Maurice Weiss / Ostkreuz ? nachgefragt bei ... ... Prof. Dr. Gerhard Hammerschmid und Carsten Köppl, Initiatoren der Studie „Verwaltung in Krisenzeiten“ 12 dbb > dbb magazin | Juli/August 2020

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==