dbb magazin 6/2020

interview Die Bundesregierung hat be- reits 2012 in einem Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungs- schutz gravierende Mängel bei der personellen und materiel- len Ausstattung der Behörden, etwa der Gesundheitsämter, festgestellt. Hätte Deutschland nicht besser auf eine Pandemie vorbereitet sein müssen? Wo gab es Versäumnisse? In der Tat ist die Risikoanalyse zu wenig beachtet worden. Dies gilt besonders für die feh­ lende Bevorratung von Schutz­ ausstattung. Das betrifft aber nicht nur den Staat, sondern auch Unternehmen Kritischer Infrastrukturen (KRITIS), Kran­ kenhäuser, Arztpraxen, Pflege­ heime und weitere. Die aktuelle Lage zeigt, dass die Vorhaltung von bestimmten Ressourcen sinnvoll ist, auch wenn sie Geld kostet. Mit der fortschreiten­ den Privatisierung des Gesund­ heitswesens wird es zuneh­ mend schwierig, die Balance zwischen der Logik der Ökono­ misierung und der Katastro­ phenvorsorge zu halten. Außerdem waren die Pande­ mie-Planungen teilweise nicht aktualisiert und zu unspezi­ fisch, um auf die aktuelle Krise reagieren zu können. Aus Sicht des BBK ist es sinn­ voll, ein Verfahren zumMoni­ toring oder Reporting der Er­ gebnisse der Risikoanalyse und auch aus nationalen Übungen zu etablieren. Naturkatastrophen oder Krankheiten interessieren sich nicht für Landesgrenzen oder Zuständigkeiten. Wie be- urteilen Sie die aktuelle Zusam- menarbeit der Gebietskörper- schaften und Behörden – in Deutschland und internatio- nal? Wo gibt es noch Verbes­ serungspotenzial? In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit rund um das Thema des Katastrophen­ risikomanagements global sehr verbessert. Das eigens da­ für eingerichtete Sekretariat (UNDRR) bei den Vereinten Na­ tionen (VN) in Genf schafft bei­ spielsweise Förderprogramme, sodass Staaten, die derzeit be­ sonders unter Katastrophen leiden, widerstandsfähiger werden können. Gleichzeitig organisieren die VN internatio­ nale Hilfeleistungen, zu denen auch Deutschland konkrete Beiträge leistet, etwa durch Hilfseinsätze des Technischen Hilfswerkes (THW). Auch mei­ ne Behörde arbeitet mit den VN und dem Genfer Sekretari­ at zusammen: Wir im BBK sind Gastgeber der Nationalen Kon­ taktstelle zur Umsetzung des sogenannten Sendai-Rahmen­ werkes für Katastrophenvor­ sorge der Vereinten Nationen. Innerhalb der EU gibt es seit 2001 ein gemeinschaftliches Verfahren zum Katastrophen­ schutz, um die gegenseitige Hilfe zu optimieren. In jedem Mitgliedstaat gibt es einen so­ genannten National Contact Point, der mit dem Lagezen­ trum der EU-Kommission in Kontakt steht und über den dann Hilfeleistungsersuchen zentral abgearbeitet werden. Für Deutschland geschieht das im Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) in meiner Be­ hörde. Darüber hinaus beteiligt sich unsere Akademie für Kri­ senmanagement, Notfallpla­ nung und Zivilschutz (AKNZ) an der europäischen Aus- und Fortbildung von hochrangigen Katastrophenschutzexperten aus den Mitgliedstaaten. Zusätzlich gibt es mit allen Nachbarstaaten spezielle Hilfe­ leistungsabkommen für den Katastrophenfall. Und nicht zuletzt hilft das BBK einzelnen Staaten mit speziellem Know­ how bei der Stärkung der loka­ len Katastrophenschutzstruk­ turen, derzeit zum Beispiel in Tunesien, in Jordanien und der Ukraine. Wie sieht es in Deutschland aus? Die Bundesländer arbei­ ten über Institutionen der Innenministerkonferenz seit Jahren kontinuierlich an Ver­ besserungen im Katastrophen­ schutz, wobei sie der Bund und speziell das BBK aktiv mit Wis­ sen, Konzepten, Spezialfahr­ zeugen und Ausbildung unter­ stützt. Die Zusammenarbeit und auch die gegenseitige Hilfeleistung zwischen den Ländern, aber vor allem auch zwischen Land­ kreisen und kreisfreien Städten sind im Katastrophenfall sehr gut. Die überörtliche Hilfe hat sich sehr bewährt. Anders als mit grenzüberschreitenden Ko­ operationen sind große Lagen auch gar nicht erfolgreich zu bewältigen. Eine professionelle Krisenkom- munikation zeichnet sich insbe- sondere durch einheitliche und klare Botschaften aus. Spätes- tens seit der Diskussion um mög- liche Lockerungen der „Corona- Regeln“ gehen die Länder aber eigene Wege und die Situation ist deutlich unübersichtlicher geworden. Braucht der Bund im Krisenmanagement mehr Kompetenzen? Wie schon erwähnt, haben sich die Bundes- und Landesregie­ rungen gerade zu Beginn zügig und verbindlich abgestimmt. Die großen regionalen Unter­ schiede in der derzeitigen Ent­ wicklung rechtfertigen es aus meiner Sicht aber schon, dass die Länder hier selbst ange­ passte Entscheidungen treffen. Im Übrigen ist das laut Grund­ gesetz auch immer ihre Aufga­ be gewesen. Formal hat der Bund hier nur wenige Entschei­ dungsbefugnisse. Unabhängig davon habe ich wiederholt vorgeschlagen, un­ ter anderem bei einer Experten­ anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestages in diesem Januar, dass das Krisen­ management in nationalen Schadenslagen in Deutschland davon profitieren würde, wenn der Bund und auch das Bundes­ amt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mehr Befugnisse erhalten würden. Etwa auf dem Gebiet des Mel­ de- und Lagewesens und des Ressourcenmanagements. Das BBK ist eine verhältnismä- ßig junge Behörde und besteht in ihrer heutigen Form erst seit 2004. Wie haben sich in dieser Zeit die Anforderungen an die Organisation als Arbeitgeber entwickelt? Ist die Fachkräfte- gewinnung auch für Sie schwie- riger geworden? Seit der Gründung des BBK im Jahr 2004 haben sich auch die Anforderungen an die Organi­ sation des Verwaltungshan­ delns verändert. Neben und aufgrund der Digitalisierung, die im Innen- und Außenver­ hältnis neue Arbeitsformen hervorgerufen hat, sieht sich auch die Kommunikation mit der Bevölkerung zunehmend neuen Gestaltungsformen ausgesetzt. Infolge neuer, vor allem der Digitalisierung ge­ schuldeter Kommunikations­ möglichkeiten erlebt das BBK eine zunehmend emanzipierte und aktive Nachfrage der Bür­ gerinnen und Bürger nach Ver­ waltungsdaten und Verwal­ tungsdienstleistungen. Die rasante Verbreitung von Apps, sozialen Netzwerken und digitalen Lösungen setzt unse­ re internen Prozesse positiv unter Druck. Wir haben das aufgenommen und veröffent­ lichen zum Beispiel alle exter­ nen Stellenausschreibungen auf fachspezifischen Online­ portalen und via Twitter. Und ja, es ist schwieriger ge­ worden, gute Fachkräfte zu be­ kommen. Besonders IT-Fach­ kräfte sind gefragt und können deshalb hohe Ansprüche an ihre Arbeitgeber stellen. Ein Arbeitsplatz mit moderner IT- Ausstattung ist deshalb Pflicht, ebenso eine ordentliche Bezah­ lung. Der Bund hat hier mit der Einführung beispielsweise von IT-Zulagen gut reagiert. Wir im BBK fördern darüber hinaus die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, soweit das im Rahmen unserer Möglichkeiten als ein­ satzorientierte Behörde ist. 5 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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