dbb magazin 6/2020

europa So sehr die EU zu Beginn der Krise ein chaotisches Bild abge­ geben hat, umso mehr muss sie nun gemeinsam die weite­ ren Schritte in der Lockerung der COVID-19-Restriktionen machen. Die Fahrpläne dafür und für die wirtschaftliche Er­ holung in Europa beschloss der Europäische Rat am 23. April. Diesen Grundkonsens sollte die Bundesregierung als Leit­ linie für ihre Ratspräsident­ schaft nutzen, damit Schutz- und Präventionsmaßnahmen koordiniert aufgehoben und innereuropäische Grenzen zü­ gig wieder geöffnet werden können. Denn erst dann kann grenzüberschreitende Hilfe un­ eingeschränkt fließen, der Bin­ nenmarkt sein volles Potenzial entfalten und die mit ihm ga­ rantierten Grundfreiheiten für die Bürgerinnen und Bürger der EU wahren. << Krisenbewältigung durch Solidarität Ebenso prioritär sollte die schnelle und unkomplizierte Auszahlung der Hilfen aus dem Sofortmaßnahmenpaket behandelt werden, das die Fi­ nanzministerinnen und Finanz­ minister der Eurozone Anfang April zusammenstellten und der Europäische Rat wenige Tage später absegnete. Dass die insgesamt 540 Milliarden Euro nicht ausreichen werden, um von der Krise besonders betroffene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Wirtschafts­ sektoren und Mitgliedstaaten aufzufangen, war allerdings schnell klar. An der Frage, wie viele zusätz­ liche Mittel die EU auf wel­ chemWege bereitstellen soll, scheiden sich aktuell die Geis­ ter. Der Vorschlag für ein zu­ sätzliches 500-Milliarden-Kon­ junkturpaket – finanziert aus Anleihen der EU-Kommission und ausgezahlt in nicht rück­ zahlbaren Direkthilfen –, den die Bundeskanzlerin zusam­ men mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Mac­ ron Mitte Mai vorstellte, be­ weist wirtschaftspolitische Weitsicht und enorme Kom­ promissbereitschaft. Denn er blickt über den Tellerrand der deutschen Nettozahler- Debatte hinaus und trägt der Tatsache Rechnung, dass Deutschlands wirtschaftliche Erholung ohne die Erholung seiner Partnerländer nicht machbar ist. Ob und wie der Vorschlag „durchkommt“, steht ange­ sichts postwendender Kritik aus Österreich, den Niederlan­ den, Dänemark und Schweden in den Sternen und wird auch vom deutschen Verhandlungs­ geschick im Rat abhängen. Allerdings könnte die in der deutsch-französischen Initia­ tive mitgedachte temporäre Erhöhung des EU-Haushaltes genau die Hintertür bieten, durch die eine für alle Seiten gesichtswahrende Einigung beim nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen möglich wird. << Zukunftssicherung durch starken EU-Haushalt Damit die EU nach dem 31. De­ zember (jenseits von Verwal­ tungsausgaben und Beihilfe­ zahlungen der gemeinsamen Agrarpolitik) nicht finanziell auf dem Trockenen sitzt, braucht es einen schnellen Ab­ schluss der Haushaltsverhand­ lungen. Die Bundesregierung sollte realistischerweise im Rahmen ihrer Präsidentschaft auch für einen Notfallplan werben, der den aktuellen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) im Falle keiner fristge­ rechten Einigung für mindes­ tens ein Jahr verlängert und somit auch den Geldfluss in EU-Programme wie Erasmus+ garantiert. Das Europäische Parlament hat sich hierfür be­ Erwartungen an den deutschen Vorsitz im Rat der EU Die Chancen sind groß Auch wenn die Europäische Union in den vergangenen Wochen mit neuen Hilfspaketen und grenzüberschreitender Patientenauf­ nahme auf den Pfad der Solidarität zurückgefunden hat, stehen wir bei der Frage, wie Europa mit den wirtschaftlichen und sozia­ len Folgen der Corona-Krise umgehen wird, erst ganz am Anfang. Zum Lackmustest werden dabei der Konjunkturplan für den Wie­ deraufbau von Europa und die zukünftige finanzielle Ausgestal­ tung der EU – deren Verhandlungen nun mitten in die deutsche EU-Ratspräsidentschaft fallen, die am 1. Juli 2020 beginnt. © Unsplash.com / Jorgen Hendriksen, Aleksandar Mijatovic / Colourbox 28 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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