dbb magazin 6/2020

standpunkt Digitalisierungsstrategien in Schule und Unterricht Digital first und mobil only Viele Akteure in Bildungseinrichtungen erleben gerade ein Déjà-vu. Digitalisten und Datenökono­ men nutzen die Corona-Pandemie, um ihre lange bekannten Digitalisierungsstrategien und darauf aufbauende Geschäftsmodelle zu propagieren. Dabei geht es ummehr als das Etablieren einer technischen Infrastruktur zur automatisierten Beschulung per (Bundes-)Schul-Cloud. Es geht ummehr als die bundesweite Standardisierung digitaler Testumgebungen für die empirische Bil­ dungsforschung. Ziel ist die seit Jahren propagier­ te Ökonomisierung und Privatisierung auch des deutschen Bildungssektors. Selbst entschiedene Gegner der Digitalisierung von Schule und Unterricht müssten dank Corona-Krise und geschlosse­ ner Schulen jetzt doch endlich das Potenzial von Digitaltechni­ ken zur Beschulung erkennen, heißt es unisono bei den be­ kannten Anbietern von Cloud- Diensten und Lernplattformen, unterstützt von Vertretern der Presse. Zwar sei die technische Infrastruktur erst im Aufbau und stehe noch nicht flächen­ deckend zur Verfügung. Selbst da, wo Online-Systeme schon länger im Einsatz seien wie mit Mebis in Bayern oder (einem schnell aufgesetzten) Moodle in Baden-Württemberg, reich­ ten die Kapazitäten bei Weitem nicht – oder werden gleich von Hackern lahmgelegt. << Argumente aus der Mottenkiste Aber das könne doch nur als Auftrag zu schnellerem Auf- und Ausbau der Netze verstan­ den werden. Die Schulpflicht bestehe schließlich weiter und zur Überbrückung seien Schul­ portale doch sinnvoll. Aktuell würden sogar viele der kosten­ pflichtigen Lernangebote für ein paar Wochen kostenlos zum Testen offeriert. Das sei die Gelegenheit, Online-Ange­ bote auszuprobieren, ihren Nutzen zu erkennen und als Bestandteil von Schule und Unterricht zu etablieren. Laut Ankündigung des Bundesmi­ nisteriums für Wissenschaft und Forschung (BMBF) stehen 500 Millionen Euro aus dem DigitalPakt Schule bereit für den schnellen Aufbau der In­ frastruktur und die Auswei­ tung des digitalen Unterrichts. Die vom BMBF mit rund sieben Millionen Euro finanzierte und vom Hasso-Plattner-Institut mitentwickelte HPI-Schul-Cloud wird von Bundesbildungsminis­ terin Karliczek vorübergehend für all die Bundesländer freige­ schaltet, die noch keine eigene Cloud-Lösung einsetzen. Der IT-Lobbyverband bitkom for­ dert begleitend eine bundes­ einheitliche Lösung und stellt es als Ergebnis einer Schüler­ befragung dar. HPI-Vorstand Christoph Meinel hatte diese Bundes-Schul-Cloud bereits 2017 (noch vor der Corona-Krise) in der FAZ als „Vision“ vorgestellt: eine bundesweite Cloud, die durch die Einbindung der Universitäten und Weiter­ bildungseinrichtungen sogar zu einer Bildungs-Cloud für alle Bürgerinnen und Bürger wer­ den könnte. Das immer wieder bemühte Argument heißt Netzwerkeffekt und bedeutet: Je mehr Daten zentral gesam­ melt und ausgewertet werden, desto höher die Effizienz der automatisierten Datenverar­ beitung. Nach IT-Systemlogik ist das korrekt. Nur sind Sozial­ systeme keine IT-Systeme. Ausgeblendet werden alle wis­ senschaftlichen Studien, die das Versagen von Digitaltech­ nik in Schulen und Hochschu­ len seit Jahren belegen. Deren einhelliges Ergebnis: Digital­ technik generiert weder Nut­ zen noch Mehrwert. Entschei­ dend sind bekanntermaßen qualifizierte Lehrkräfte, ein gut strukturierter Unterricht und ein lernförderliches soziales Umfeld. Gerade für sozial Be­ nachteiligte sind Schulen zu­ dem sozialer Schutzraum. Egal. Jetzt müssen alle vielleicht sogar bis zu den Sommerferien digital arbeiten. Dabei können das nur gut strukturierte und disziplinierte Schülerinnen und Schüler alleine. Für die dringend benötigte direkte Rückkopp­ lung müssten Lehrkräfte auf die Rechner der Kinder zugreifen können (Fernzugriff; Remote Access), um nicht nur zu unter­ stützen, sondern auch kontrol­ lieren zu können, ob die Kinder am Bildschirm sitzen und die Aufgaben machen anstelle der Geschwister oder Eltern. Das wäre aber Kontrolle, kein pä­ dagogisches Handeln und zu­ gleich ein Widerspruch zum STANDPUNKT © Colourbox 20 > dbb magazin | Juni 2020

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