dbb magazin 6/2020

die pandemie als digitalisierungsmotor Am 16. März 2020 hat das Sommersemester an der Technischen Hochschule Lübeck begonnen. Ein paar Tage zuvor war die Präsenzlehre an den Hochschulen im Rahmen der Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung verboten worden. Die Uni­ versität musste improvisieren, um den Lehrbetrieb aufrechterhalten zu können. Hochschulpräsidentin Dr. Muriel Helbig schildert ihre Erfahrungen. Das Frühjahr 2020 an der Tech­ nischen Hochschule Lübeck im Zeitraffer: 12. Februar: Der physische Aus­ tausch mit unseren chinesi­ schen Partnerhochschulen wird für das Sommersemester abgesagt, rund 60 Studierende sind betroffen. 7. März: Das Gesundheitsamt bestätigt die erste Infektion mit COVID-19 an der TH Lübeck. 9. März: Alle Kontaktpersonen sind in Quarantäne, die Hoch­ schule bleibt offen. 12. März: Die Präsenzlehre wird bundesweit verboten. 16. März: Die Vorlesungszeit an der TH Lübeck beginnt. 5000 Studierende strömen in die Studiengänge. Unsere Lehren­ den wollen sie erreichen. Aber unseren gewohnten Hoch­ schulalltag gibt es nicht mehr. << Digitaler Ruck in Rekordzeit In dieser Woche eins des Ver­ bots der Präsenzlehre Mitte März geht es zunächst darum, die Gesundheit der Hochschul­ mitglieder zu gewährleisten. Wir organisieren die form- und fristlose Absage von Prüfun­ gen. 500 Beschäftigte werden mehr oder minder planvoll ins Homeoffice geschickt. Reise­ rückkehrer dürfen die Gebäude nicht betreten. Wir schließen die Türen ab – ohne eigenen Schlüssel oder Termin kommt keiner mehr rein. Wir sind uns sofort einig: Dafür öffnen wir unsere virtuellen Tore umso weiter. Wir arbeiten mit Hoch­ druck an der Umstellung auf digitale Lehre. Um das zu schaffen, halten wir den Digi­ talisierungexpertinnen und -experten an unserer Hoch­ schule zunächst den Rücken frei: Fragen und Anforderun­ gen sollen eine Woche lang zurückgestellt werden, wir versprechen allen Lehrenden: Dann kommen wir auf euch zu. Aber wir haben uns vertan. Es geht schneller. In Woche zwei berichten alle Fachbereiche übereinstimmend, mindestens 80 Prozent der Veranstaltun­ gen – mit Ausnahme von prak­ tischen Übungen – seien um­ gestellt und hätten begonnen. Ein Studiengang wird sogar pünktlich zum Vorlesungsbe­ ginn und damit innerhalb von Tagen komplett digital ange­ boten. Die Lehrenden nutzen unser Lernmanagement-System Moodle mit verschiedenen Er­ weiterungen: virtuelle Pro­ grammierumgebungen und Wikis, Screencasts und Lehrvi­ deos, digitale Sprechstunden oder Skripts mit wöchentlichen Tests. Mit BigBlueBotton und Jiitsi führen wir innerhalb we­ niger Tage zwei neue Systeme für die digitale Lehre und für Webkonferenzen ein. Wir bie­ ten zunächst zweimal täglich für alle Lehrenden per Web­ konferenz Sprechstunden zu Fragen rund um die Digitalisie­ rung der Lehre an. Die Themen reichen von technischer Unter­ stützung bis zu didaktischen Fragen. Mit zunehmender Expertise der Lehrenden haben wir die Frequenz der allgemeinen Sprechstunden auf einmal täglich reduziert und bieten nun zusätzlich individuelle Ter­ mine an – beides wird sehr gut angenommen. Die Lehrenden nutzen darüber hinaus den kollegialen Austausch und hel­ fen sich gegenseitig über die Fachbereichsgrenzen hinweg. Wovon wir immer geträumt Digitales Sommersemester an der TH Lübeck – ein Protokoll Revolution in fünf Wochen << Muriel Helbig ist seit 2014 Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck. Die promovierte Psychologin gehört zum Sprecherkreis der Fachhochschu­ len in der Hochschulrektorenkonferenz (HKR) und ist seit 2020 Vizepräsi­ dentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). << Volles Programm trotz verschlossener Türen. Die TH Lübeck hat ihr Lehrangebot in Rekordzeit auf Digital umgestellt. © TH Lübeck © TH Lübeck / Peter Oldekop (2) 14 dbb > dbb magazin | Juni 2020

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