dbb magazin 5/2020

interview Prof. Dr. jur. Steffen Augsberg, Deutscher Ethikrat Das föderale Modell hat sich in der Krise durchaus bewährt dbb magazin 72 Prozent der Deutschen sind mit dem Corona-Krisenmana- gement der Bundesregierung zufrieden. Doch werden auch Stimmen lauter, die unseren demokratischen Rechtsstaat in akuter Gefahr sehen, weil die Verbote und Regelungen zur Eindämmung der Pandemie ohne Beteiligung der gesetz­ gebenden Parlamente verfügt wurden. Haben die einen zu viel, die anderen zu wenig Vertrauen in die Politik? Prof. Steffen Augsberg Das ist zunächst sicher Folge einer entsprechenden media- len Aufbereitung; ausgewoge- ne Positionen der Mitte ma- chen keine Auflage. Zudem haben ja in gewisser Weise beide Seiten recht: Zum einen sind ganz sicher Fehler in der Vorbereitung wie in der unmit- telbaren Reaktion auf die Pan- demie gemacht worden. Das werden die dafür Verantwortli- chen beizeiten zu erklären ha- ben. Mit Blick auf die aktuellen Beschränkungsmaßnahmen kann man zudem nicht nur den zeitlichen Ablauf kritisieren, sondern manches wirkt in der Tat auch unverhältnismäßig. Um ein banales Beispiel zu nehmen: Was es mit sinnvol- lem Infektionsschutz zu tun hat, wenn Sie in Hamburg nicht mehr ein Fischbrötchen an der frischen Luft essen dür- fen, erschließt sich jedenfalls mir nicht. Aber viel schlimmer sind natürlich die enormen wirtschaftlichen Schäden und die damit verbundenen drama- tischen persönlichen Schicksa- le. Insoweit brauchen wir drin- gend eine Diskussion darüber, unter welchen Bedingungen die Beschränkungsmaßnah- men wieder zurückgefahren werden können. Die gängige Fokussierung auf bestimmte Termine ist dabei wenig hilf- reich; wir müssen schon jetzt über Kriterien und Elemente einer Renormalisierungsstrate- gie sprechen. Zum anderen ist es aber verfehlt, nun pauschal das Umschlagen in quasidikta- torische Verhältnisse zu bekla- gen. Ganz problematisch sind die teilweise gezogenen ge- schichtlichen Vergleiche. Es ist ahistorisch und geschmacklos, das ernsthafte Bemühen de- mokratisch gewählter und in entsprechenden Verantwor- tungszusammenhängen ste- hender Repräsentanten mit demMachtstreben der Natio- nalsozialisten zu parallelisie- ren. Berlin ist nicht Weimar; unsere gefestigte Demokratie hat mehr Vertrauen verdient. Dass das Parlament nicht be- teiligt war, stimmt im Übrigen nicht. Der Bundestag hat etwa das Infektionsschutzgesetz geändert und er tat das ganz bewusst und in Kenntnis der exekutiv vorgenommenen Maßnahmen. Wie man diese Änderungen und insbesondere die damit verbundene Stär- kung des Bundesgesundheits- ministeriums bewertet, ist eine andere Frage. Mit Blick auf das Krisen­ management in Deutschland werden Forderungen nach mehr Zentralisierung lauter. Die An- ordnungen der Behörden wären stringenter, die Beschaffung etwa von Schutzausrüstung effizienter, so die Hoffnung. Stimmt das oder bietet der fö- derale Aufbau unseres Landes bessere Bedingungen für die Bewältigung der Corona-Krise? Jedenfalls finde ich, dass sich bislang das föderale Modell in der Krise durchaus bewährt hat. Manches wird eher zu ein- heitlich gehandhabt: Warum hat nicht ein Bundesland auf Basis eines pessimistischeren (wie wir jetzt wissen: realisti- scheren) Pandemieplans bes­ sere Vorsorge betrieben und etwa frühzeitig hinreichend Schutzmasken und -kleidung erworben? Im Übrigen ist es doch sinnvoll, wenn zwar eine Abstimmung unter den Bun- desländern erfolgt, aber regio- nale Besonderheiten berück- sichtigt werden können. Hamburg, Bayern und Meck- lenburg-Vorpommern haben nun einmal unterschiedliche sozioökonomische Bedingun- gen. Nicht zuletzt lässt sich hier auch die Idee des födera- len Wettbewerbs nutzen – beim Einstieg in die, gegebe- nenfalls aber auch beim Ausstieg aus den Beschrän- kungsmaßnahmen. Angesichts der nach wie vor bestehenden massiven Unsicherheiten blei- ben so – fast unvermeidliche, zumindest aber mögliche – Fehlsteuerungseffekte auf einzelne Bundesländer be- schränkt und es besteht die Möglichkeit, voneinander zu lernen. Die Maßnahmen zur Eindäm- mung der Pandemie werden << Prof. Dr. jur. Steffen Augsberg © Deutscher Ethikrat / Reiner Zensen (2) 4 dbb > dbb magazin | Mai 2020

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