dbb magazin 5/2020

standpunkt STANDPUNKT Qualitätsjournalismus ist systemrelevant Mit Fakten gegen die Infodemie Eine beliebte Verschwörungstheorie zur Corona- Pandemie geht so: Das Virus verbreite sich über den neuen Mobilfunkstandard 5G. Weil China die Technologie in der Stadt Wuhan am weitesten ausgebaut hat, habe sich das Virus von dort aus- gebreitet. Das ist nachweislich Unfug. Dennoch sind solche Behauptungen nur ein kleiner Teil der „Infodemie“, die parallel zur Pandemie in sozialen Netzwerken tobt. Auch von ihr geht eine Anste- ckungsgefahr aus. In Großbritannien kam es im April zu über 60 Brandschlägen auf Mobilfunkmasten. Die 5G- Technologie war zwar auch schon vor Corona Gegenstand von Verschwörungstheorien. Nun aber sahen deren Verbrei- ter offenbar die Gunst der Stun- de gekommen, um sie noch mehr Menschen unter die Nase zu reiben. Denn in dieser Krise treffen zwei gesellschaftliche Faktoren zusammen: eine hohe Verunsicherung, denn es geht um Leben und Tod, und ein ho- hes Informationsbedürfnis, ob der dynamischen Entwicklung. Desinformationen gefährden in einer Pandemie Menschenle- ben. Wer glaubt, alles sei nur erfunden, um Grundrechte ein- zuschränken, wird zum Risiko- faktor in Anbracht der Tatsa- che, dass wirklich jeder zur Verbreitung oder eben Ein­ dämmung des Virus beiträgt. Seriöser Journalismus ist in einer Pandemie daher system- relevant. Und entgegen der oft gehörten These von der „Ver- trauenskrise der Medien“ schei- nen die Menschen derzeit zu wissen, wo sie am besten mit Informationen versorgt wer- den: Die öffentlich-rechtlichen Medien sind während der Pan- demie gefragt wie lange nicht. Die tagesschau wurde an meh- reren Tagen von jeweils über 17 Millionen Menschen ge- schaut, das entspricht einem Marktanteil von nahezu 50 Pro- zent. Auch auf Social Media be- stätigt sich dieser Trend: Die Interaktionen (Likes, Shares, Kommentare) mit „Postings“ der tagesschau-Digitalkanäle sind imMärz um 80 Prozent im Vergleich zum Vormonat ge- stiegen. Die Universitäten Mainz und Münster untermauern diese Zahlen mit repräsentativen Umfragedaten: 66 Prozent der Deutschen informieren sich über die Corona-Pandemie täg- lich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Digital­ angeboten. Weitere 16 Prozent tun das zumindestens mehr- mals pro Woche. Die Öffent- lich-Rechtlichen sind damit die wichtigste Informationsquelle für die Deutschen zu Corona. An zweiter Stelle liegen Behör- den und Forschungseinrichtun- gen. Bei ihnen informieren sich immerhin auch 57 Prozent täg- lich über die Pandemie. Das heißt: In dieser Krise wendet sich die Gesellschaft bei der Suche nach verlässlichen Infor- mationen den etablierten Ak- teuren unserer Informations- gesellschaft zu. Diese Orientierung „Pro Esta­ blishment“ steht im starken Widerspruch zur ideologischen Grundannahme der Populisten, dass die „Eliten“ dem Volk schaden würden. Folglich er- lebt die AfD ihre ganz eigene „Corona-Krise“: Erstmals seit der Bundestagswahl 2017 liegt sie in mehreren Umfragen im einstelligen Bereich. Ein ande- rer wichtiger Indikator für die- se Partei: Ihre Reichweite in sozialen Medien ist eingebro- chen. Obwohl sie dort mehrere eigene Maßnahmenkataloge präsentierte. Ein Teil der Anhängerschaft mag eher den wilden Ver- schwörungstheorien (siehe oben) zuneigt sein. Wichtiger aber scheint, dass die Mehrheit der AfD-Anhänger laut infra- test dimap hinter den verhäng- ten Kontaktbeschränkungen steht. Was ihnen die AfD zur Bewältigung der Krise anbie- tet, scheint sie weniger zu überzeugen. Das bestätigt die Vermutung, dass die Partei selbst von ihren eigenen An- hängern mehr als Problem­ benenner, aber weniger als Problemlöser geschätzt wird. Gerade zur Lösung einer globa- len Pandemie haben nationa- listische Kräfte offenbar wenig beizutragen. Aus dem Zuspruch für die öf- fentlich-rechtlichen Medien und dem Einbruch der AfD lässt sich für die Zeit, wenn Corona nicht mehr die Schlagzeilen dominiert, mindestens zweier- lei lernen: Erstens, die große Mehrheit vertraut dem Rund- funk (das zeigen auch viele Er- hebungen vor Corona) und sei- ne Nutzungszahlen steigen mit erhöhtem Orientierungsbe- dürfnis. Das sind schwerwie- gende Argumente für die regel- mäßig aufkochende Debatte über den Rundfunkbeitrag, in der die Befürworter der Öf- fentlich-Rechtlichen oftmals erstaunlich defensiv agieren. Zweitens: Rechtspopulisten und -radikale sind Dagegen- Parteien, sie versammeln sich hinter gemeinsamen Feindbil- dern, aber spalten sich allzu oft, wenn sie eigene Konzepte ent- wickeln müssen. Schon bei ih- rer Rentendiskussion war zu beobachten, wie schwer es der AfD fällt, in zentralen politi- schen Fragen eine gemeinsame Programmatik zu entwickeln. Verwehren die anderen Partei- en der AfD durch gute Politik die Feindbilder, ist das ein probates Mittel gegen das Destruktive. Johannes Hillje << Der Autor ist selbstständiger Politik- und Kommunikationsbera- ter in Berlin und Brüssel. Er berät Institutionen, Partei- en, Politiker, Unternehmen und Verbände. Hillje ist zu- dem Policy Fellow bei der Denkfabrik Das Progressive Zentrum in Berlin. Im Dietz- Verlag erschienen seine Bücher „Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Poli- tik machen.“ (2017) und „Plattform Europa“ (2019). © Dimitri Maruta / Colourbox 27 dbb > dbb magazin | Mai 2020

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