dbb magazin 4/2020

brennpunkt Öffentlicher Gesundheitsdienst In der Krise rächt sich das Defizit Der Öffentliche Gesundheitsdienst in Deutschland rückt immer dann verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, wenn große Teile der Bevölkerung mit gesundheitlichen Gefahren konfrontiert sind. Das Coronavirus bringt die Gesundheitsämter in eine prekäre Lage. Es gibt nur knapp 2 500 Amts- ärztinnen und Amtsärzte. Hunderte Stellen sind unbesetzt, medizinischer Nachwuchs geht wegen des deutlich schlechteren Einkommens im öffent- lichen Dienst lieber in Praxen und Kliniken. Amtsärztinnen und Amtsärzte überwachen die Infektionshy- giene in Krankenhäusern und Arztpraxen, führen Schulein- gangsuntersuchungen und Impfberatungen durch, ebenso die Tauglichkeitsuntersuchun- gen für künftige Beamtinnen und Beamte. Sie stellen Gut- achten in Asylverfahren aus und beraten Prostituierte in Gesundheitsfragen. Hinzu kommen aufsuchende Hilfen für Menschen, die keine Woh- nung haben, oder schwer psy- chisch Kranke. In den knapp 400 Gesundheitsämtern sind insgesamt etwa 17 000 Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Was seit Jahren bekannt ist und von Ärzteverbänden und Gewerkschaften permanent kritisiert wird, ist die zuneh- mend schwerer werdende, bis- weilen vollkommen erfolglose Suche nach medizinischem Nachwuchs. Aus der Ärztesta- tistik der Bundesärztekammer geht hervor, dass die Zahl der berufstätigen Fachärztinnen und Fachärzte für Öffentliches Gesundheitswesen als nahezu einzige Facharztgruppe in den letzten Jahren deutlich rück- läufig ist, verbunden mit einem erheblichen Nachwuchsman- gel und einer hohen Zahl unbe- setzter Stellen bei den Gesund- heitsämtern. << Neubesetzung von Stellen: Fehlanzeige Im Sommer 2019 schlug bei- spielsweise in Berlin Falko Lie- cke, Gesundheitsstadtrat in Neukölln, Alarm. „Ab Septem- ber haben wir keine Amtsärzte mehr im Bezirk“, kündigte der CDU-Politiker in der „Berliner Morgenpost“ an – neben dem bisherigen Leiter des Gesund- heitsamtes ging auch dessen Stellvertreter in den Ruhe- stand. Neubesetzung der Stel- len – bislang Fehlanzeige. Den Grund, weshalb er trotz mehr- facher Stellenausschreibungen keinen neuen Amtsarzt findet, kennt der Gesundheitsstadt- rat: Geld. „Wir bezahlen ein- fach zu schlecht“, so Liecke. Mit knapp über 4000 Euro im Monat verdient ein Amtsarzt zwischen 1000 und 1500 Euro weniger als ein Klinikarzt. Er hätte einen Bewerber aus Schleswig-Holstein gehabt, den er mit Kusshand einge- stellt hätte. Der aber lehnte ab – obwohl er als Chef des Gesundheitsamtes Neukölln einen Riesenkarrieresprung ge- macht hätte. Aber: „Er hätte bei uns 20 000 Euro weniger verdient im Jahr – da ist die Ab- sage völlig verständlich“, sagt Liecke in der Morgenpost. Auch andere Bezirke in der Haupt- stadt leiden unter dem verhee- renden Amtsärztemangel. Laut Liecke wird es vermutlich ab 2022 nur noch in vier Bezirken – Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinickendorf, Spandau und Tempelhof-Schöneberg – Amtsärzte geben, in den ande- ren neun Stadtteilen gingen in den kommenden drei Jahren alle Amtsärzte in Ruhestand. Insgesamt seien 20 Prozent der aktuell rund 350 in den Berliner Bezirksverwaltungen und einzelnen Bereichen der Hauptverwaltungen bestehen- den Ärztestellen nicht besetzt. Die Leitung des Neuköllner Ge- sundheitsamtes übernahm im letzten Jahr provisorisch ein © Colourbox.de/Astrid Gast 12 dbb > dbb magazin | April 2020

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