dbb magazin 9/2021

Digitalisierung der Verwaltung Auf Kriegsfuß mit den IT-Strukturen Aus deutscher Sicht wirken skandinavische Länder wie digitale Wunderwelten. Während es dort kaum eine Verwaltungsdienstleistung gibt, die nicht von Anfang bis Ende elektronisch erledigt werden könnte, erschöpft sich digitale Verwaltung hierzulande im Download von PDF-Formularen. Das hat ebenso Auswirkungen auf die Attraktivität des Wirtschaftsstand- ortes Deutschland wie auf die IT-Sicherheit. online Ein Blick auf das Land Berlin ge- nügt, um zu erkennen, wie de- solat die digitale Infrastruktur der öffentlichen Verwaltung ist. Der Ärger für Bürgerinnen und Bürger fängt schon bei der Terminvergabe in der Berliner Verwaltung an. Bürgerämter, Kfz-Meldestellen und andere öffentliche Dienstleister sind hoffnungslos überlastet, arbei- ten mit veralteter IT und er­ zeugen damit unfreiwillig wo- chenlange Vorlaufzeiten. Der Gang zum Amt selbst dauert dann oft so lange, dass sich Ar- beitnehmerinnen und Arbeit- nehmer dafür am besten einen halben Tag freinehmen sollten. Obwohl man den Kolleginnen und Kollegen hinter den Schal- tern und Schreibtischen keinen Vorwurf machen kann, weil sie mit den Bedingungen arbeiten müssen, die sie vorfinden, sind sie dennoch diejenigen, die die angestaute Wut der Bürgerin- nen und Bürger zu spüren be- kommen. Schließlich sitzen sie direkt an der Schnittstelle zwi- schen Staat und Bürger – und die ist im wahrsten Wortsinn völlig analog. Allein in der Berliner Verwal- tung laufen mehr als 500 unterschiedliche Computer­ programme, sogenannte „Fachverfahren“. Viele von ih- nen sind hoffnungslos veraltet. Für Thomas Goiny, stellvertre- tender Vorsitzender des dbb berlin, sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes selbst auch Bürgerinnen und Bürger, die ab und zu ein Auto anmelden oder den Personal- ausweis verlängern müssen. „Wir erleben da natürlich das- selbe wie alle anderen und fra- gen uns, wie und welche Struk- turen modernisiert werden müssen, damit das besser funk- tioniert. Wir erhalten daher auch viele Klagen aus der Ver- waltung über IT-Probleme, mit denen sich die Kolleginnen und Kollegen in den Ämtern und Dienststellen täglich konfron- tiert sehen“, sagte Goiny in der Sendung „ZDFzoom – Digitale Dilettanten“ vom 28. Juli 2021. < Technik aus dem letzten Jahrhundert Ein Blick nach Skandinavien zeigt, wie digitale Verwaltung funktionieren kann. Die ein- heitliche Gesundheitskarte, der digitale Personalausweis und umfassende, voll digital zugängliche Bürgerdienste er- lauben es den Bürgerinnen und Bürgern dort, alle wichtigen Behördengänge innerhalb von Minuten zu erledigen – be- quem vom Laptop aus. Bislang macht das in Deutschland der föderale Wildwuchs in der öf- fentlichen IT-Architektur un- möglich. Trotzdem sollen laut Onlinezugangsgesetz bis 2023 rund 575 digitale Bürgerdiens- te zur Verfügung stehen, und zwar flächendeckend. Der Zweite Vorsitzende des dbb, Friedhelm Schäfer, bestätigte gegenüber dem ZDF, dass die bundesdeutsche IT-Infrastruk- tur eigentlich ins Museum ge- hört: „Sie haben Geräte, die aus dem letzten Jahrhundert kommen und die immer noch im Einsatz sind. Sie haben aber auch topmodern ausgestattete Verwaltungen und auf der an- deren Seite dann wieder Soft- ware, die heute keiner mehr anfassen würde, ganz nach demMotto: Das ist wirklich digitale Steinzeit, was wir da haben.“ Zu den Zielen des Onlinezu- gangsgesetzes sagte Schäfer: „Ich glaube, dass der Bund in der Lage sein wird, den Stichtag zu erreichen, was seinen Aufga- benbereich betrifft. Im Bereich der Länder und Kommunen habe ich allerdings Sorge. Ein- Modelfoto: Colourbox.de 40 dbb > dbb magazin | September 2021

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