dbb magazin 1-2/2024

NACHGEFRAGT Nachgefragt bei Prof. Sabine Kuhlmann, Nationaler Normenkontrollrat (NKR) Verwaltung muss digitaler werden Dr. Sabine Kuhlmann ist Professorin für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam und stellvertretende Vorsitzende des NKR. Der unzureichende Stand der Digitalisierung behindert Modernisierungen und Projekte, die auf Effizienzsteigerung der Verwaltung abzielen. Was muss geschehen, um die deutsche Verwaltung endlich fit für die Zukunft zu machen? Die deutsche Verwaltung kommt mit der Digitalisierung offensichtlich nicht hinterher. Die bisherige Entwicklung, der heutige Stand und die Prognosen zur Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland sind zu Recht in der Kritik. Dabei spielen die komplexen föderalen Strukturen und die Vielfalt der beteiligten Akteure eine wesentliche Rolle, primär im Unterschied zu zentralistischen und kleineren Ländern. Dennoch rechtfertigt das den Digitalisierungsrückstand in der öffentlichen Verwaltung nicht. Auch in der Bevölkerung wächst die Unzufriedenheit darüber, dass die digitalen Potenziale in der deutschen Bürokratie nur unzureichend ausgeschöpft werden und der Abstand zu anderen Ländern eher größer als kleiner wird. In der deutschen Verwaltung wird neben Digitalisierung und Automatisierung vorwiegend der Fachkräftemangel eine zentrale Rolle spielen. Es geht um die Frage, wie das stetig wachsende Aufgabenvolumen, das auch aus zunehmender Regelungsdichte resultiert, mit weniger Personal gestemmt werden kann. Da der kümmerliche Digitalisierungsfortschritt momentan keine Abhilfe schafft, passiert das aktuell vielfach, indem manche Vorschriften schlicht nicht mehr oder nicht so strikt angewendet werden, um überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Wir nennen das „kalten Aufgabenabbau“ oder „autonomen Bürokratieabbau“ – ein Phänomen, das angesichts volatiler rechtlicher Vorschriften und ständiger Rechtsänderungen und einer daraus resultierenden regulativen Überforderung der Rechtsadressaten nicht nur in Unternehmen, sondern auch in den Vollzugsbehörden zu beobachten ist. Eine weitere Herausforderung stellt die sogenannte Polykrise dar, eine Situation, in der Krisen nicht mehr nacheinander, regional, sektoral und zeitlich begrenzt auftreten, sondern sich überlappen, wechselseitig verstärken und geradezu kaskadieren. Das bringt neuartige Herausforderungen für die Verwaltung mit sich. Die klassisch-bürokratischen, legalistisch geprägten und vom dominanten Prinzip korrekter Rechtsanwendung geleiteten Entscheidungsmechanismen geraten dabei an ihre Grenzen. In Zukunft wird es noch stärker als bisher erforderlich sein, pragmatisch, flexibel und nach dem „trial-and-­ error“-Prinzip zu handeln, was eine andere Fehlerkultur voraussetzt. Übervorsichtiges Verwaltungshandeln, das einer ausschließlich an der Gerichtsfestigkeit orientierten Rechtsanwendungskultur folgt, scheint in Stresssituationen und bei neuartigen Herausforderungen eher kontraproduktiv. Was die Verwaltungsdigitalisierung angeht, kann es nur darum gehen, bekannte Digitalisierungshürden abzubauen und Digitalisierungstreiber auszubauen. Das ist einfacher gesagt als getan, wie auch aus unserer eigenen verwaltungswissenschaftlichen Forschung hervorgeht. Allerdings zeigen andere – auch föderale – Länder, dass es möglich ist. Daran sollte sich Deutschland orientieren und zum Beispiel auf die Registermodernisierung in Österreich schauen oder auf die Bürgerkonten und einheitlichen Personenkennzahlen, die nutzerorientiertes Verwaltungshandeln in der Mehrzahl der EU-Länder bereits heute ermöglichen. Die Registermodernisierung muss priorisiert werden, denn eine funktionierende Registerlandschaft bildet die Grundvoraussetzung für das Once-Only-Prinzip und damit medienbruchfreie digitale Verwaltungsdienstleistungen bis hin zur Automatisierung. Bislang fehlt jedoch ein föderales Zielbild, da einzelne Projekte in verschiedenen Ressorts und auf unterschiedlichen föderalen Ebenen verteilt sind. Digitalisierung und Standardisierung müssen zusammengedacht und Standards in Verbindung mit Datenformaten und Schnittstellen verbindlich vorgegeben werden. Im Rechtsetzungsprozess, den der NKR im Rahmen seines Prüfmandats besonders im Blick hat, müsste noch konsequenter sichergestellt werden, dass die Verwaltungsdigitalisierung nicht mit neuen Schriftformerfordernissen, uneinheitlichen Rechtsbegriffen oder Medienbruch behafteten Prozessen zusätzlich behindert wird. Hierzu prüft der NKR seit 2023 den Digitalcheck, den die Ressorts für alle neuen Regelungsvorhaben verpflichtend durchführen müssen. Das Fachkräfte- und Personalproblem wiegt im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung besonders schwer. Verwaltungsbeschäftigte müssen deshalb bereits in der Ausbildung verstärkt in Projektsteuerung und IT geschult werden. Weitere Hebel sind die Flexibilisierung des Laufbahnsystems, um den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber attraktiver zu machen und den Wechsel zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu vereinfachen, was andere europäische Länder seit Langem praktizieren. ■ © NKR 22 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2024

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