dbb magazin 11/2023

Wer Bürgermeister Marcus Meyer (parteilos) fragt, woher in seiner Gemeinde die Begeisterung für Nachhaltigkeit kommt, bekommt eine Gegenfrage: „Wie kann man sich nicht dafür begeistern?“ Sich mit dem Thema zu befassen, das ist aus seiner Sicht alternativlos, wenn die Transformation der Gesellschaft voranschreiten soll: „Es ist ein Gehen mit der Zeit. Wir wollen Vorbild sein und die Richtung mitbestimmen“ – das Schöne sei, dass sich nahezu alle Themen, mit denen sich eine Gemeinde beschäftigen muss, nachhaltig betreiben lassen. „Das macht es spannend und vielfältig.“ Flecken Steyerberg liegt in Niedersachsen, eine Autostunde nordwestlich von Hannover. Etwa 5 300 Menschen leben hier, auf acht Ortsteile verteilt. Für ihr Engagement hat die Kommune viel Aufmerksamkeit bekommen: 2022 war sie Finalist beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis, dieses Jahr erhielt sie die Auszeichnung „Nachhaltige Kommune 2023/24“. Ein ehrenamtlich organisiertes Car-Sharing-Netzwerk, an dem mehr als 80 Bürgerinnen und Bürger teilnehmen, Fernwärmenetze, von denen das dritte aktuell im Bau ist, und Windräder, die sich im Gemeindeeigentum befinden – das sind nur einige der umgesetzten Nachhaltigkeitsprojekte, über welche die Verwaltung auf einer eigens angelegten Website informiert. Abwärmenetze und ein Masterplan In Flecken Steyerberg greifen viele Zahnräder ineinander: Bereits seit den Achtzigern gibt es eine Ökosiedlung, den Lebensgarten Steyerberg, die viel Expertise zu einer ressourcenorientierten, ökologischen Lebensweise beisteuert. Mit einem „Masterplan 100 Prozent Klimaschutz“ hat der Gemeinderat 2016 erforderliche Verwaltungsstrukturen geschaffen, unter anderem wurde eine Stabsstelle für Klimaschutz und Nachhaltigkeit eingerichtet. „Und wir sind eine kleine, gut vernetzte Einheitsgemeinde, entsprechend kurz sind die Entscheidungswege“, sagt Bürgermeister Meyer. Einheitsgemeinde bedeutet, dass die einzelnen Ortschaften keinen eigenen Haushalt verwalten – „das beschleunigt vieles, wir kommen schnell vom Planen ins Machen, das stärkt die Akzeptanz. Die Leute sehen, dass was passiert.“ Die beiden fertigen Fernwärmenetze versorgen 60 beziehungsweise 80 Haushalte – das dritte soll 420 Anschlüsse umfassen. Die Abwärme kommt von einer Chemiefabrik, auch eine Biogasanlage speist ein. Letztere hat in den vergangenen Jahren zu Unrecht einen schlechten Ruf bekommen, meint Meyer: „Klar, der Flächenverbrauch ist groß, um eine Biogasanlage zu füttern. Aber das relativiert sich, wenn man nicht nur das Potenzial für elektrischen Strom, sondern auch für Wärme mitdenkt.“ Was der Bürgermeister anderen Gemeinden rät, die nachhaltiger werden möchten? „Wesentlich ist, die eigenen Stärken und Potenziale zu identifizieren“ – im Fall von Flecken Steyerberg ist das unter anderem die Industrieanlage, die viel Abwärme produziert. „Dann kommt es darauf an, die entscheidenden Akteure einzubinden. In unserem Fall hat sich schnell die Erkenntnis etabliert, dass man gemeinsam besser vorankommt.“ Schwarzwald, nordwestlich von Freiburg, hier fließt die Kinzig – und im Kinzigtal liegt Hofstetten, etwa 1 800 Menschen leben in der Gemeinde. Anfang September haben die jüngsten Gemeindemitglieder die neuen Räumlichkeiten der Kita „Sterntaler“ bezogen. Das Besondere an dem Gebäude: Wände, Decken und Dachstuhl bestehen aus Holz, ebenso die Verkleidungen der Fassade, Dämmungen und Fensterrahmen. Kurzum: nahezu alle oberirdischen Bauteile. „Die Offenheit für Holz als Baustoff war von Beginn an da“, sagt Bürgermeister Martin Aßmuth. Dies hänge mit der ländlich geprägten Gemeindestruktur zusammen, außerdem sitzen zahlreiche Waldbesitzer im Gemeinderat – insofern sei eine Affinität für den Rohstoff Holz gegeben. „Wir wollten eine Kita, die in ein Schwarzwalddorf passt, also keinen futuristischen Schnickschnack. Denn bei uns hat der Holzbau eine lange Tradition.“ Entscheidend sei auch gewesen, dass Holz in Sachen Nachhaltigkeit viele Vorteile bietet, erläutert der Bürgermeister: Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und schont damit Ressourcen. Holz speichert Kohlenstoff und trägt somit zur Dekarbonisierung des Bausektors bei. Holz schafft ein angenehmes Raumklima. „Durch den Einsatz von Holz konnten wir die Verwendung anderer, ökologisch weniger vorteilhafter Baustoffe reduzieren“, sagt Aßmuth. Damit entfielen problematische Bauabfälle. Nachhaltige Holzbauweise EH40 – die Abkürzung steht für „Effizienzhaus 40“. Ein solches verbraucht höchstens 40 Prozent des laut Gebäudeenergiegesetz (GEG) zulässigen Energiewerts pro Jahr. Der nachhaltige Holzbau schneide 44 Prozent besser ab als die EH40-Norm, berichtet der Bürgermeister. Im Jahr spare das Gebäude jährlich 30 Tonnen Kohlenstoffdioxid ein im Vergleich zum Neubaustandard. Und beim Primärenergiebedarf seien es 70 Prozent. „Dieses Ergebnis erreichen wir durch die sehr gut gedämmte Gebäudehülle und die Fotovoltaikanlage auf dem Dach.“ Darüber hinaus seien die Wärmebrücken im Gebäude reduziert, sodass weniger Wärme verloren geht. Wie es mit der Langlebigkeit des Gebäudes aussieht? Aßmuth: „Großzügige Dachüberstände gewährleisten eine maximale Lebensdauer der Holzteile.“ Und wenn später doch einmal Bauteile ausgetauscht werden müssen, besteht in vielen Fällen die Option, diese einzeln zu demontieren. Denn viele Bauteile sind verschraubt. So ist gewährleistet, dass die Kinder in Hofstetten noch lange etwas von ihrer neuen Kita haben. cdi Fast ausschließlich aus Holz: die Kita „Sterntaler“. © Hofstetten (Baden) FOKUS 17 dbb magazin | November 2023

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