dbb magazin 9/2023

Wie viele Menschen sind bundesweit im Maßregelvollzug untergebracht? Diese Frage lässt sich nicht genau beantworten, da die Länder für den Maßregelvollzug zuständig sind. Das Statistische Bundesamt erstellt eine bundesweite Übersicht lediglich, wenn das Bundesjustizministerium diese anfordert. Sie basiert auf Zahlen der Statistischen Landesämter. Die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2020. Demnach waren 10 838 Menschen im Maßregelvollzug unterbracht, davon 6 161 in einem psychiatrischen Krankenhaus und 4 677 in einer Entziehungsanstalt. Dabei ist allerdings Rheinland-Pfalz nicht berücksichtigt, die Zahlen aus Niedersachsen stammen aus dem Vorjahr. Was sich mit Sicherheit sagen lässt: Meistens sind es Männer, die in den Maßregelvollzug müssen – der Frauenanteil lag 2020 bei knapp acht Prozent. Und: Im Vergleich zu 1995 hat sich die Zahl der Menschen im Maßregelvollzug mehr als verdoppelt. Damals waren es 4 275. Faktencheck recht zu beharren und seine Frustrationstoleranz ausbaut. „Der Maßregelvollzug ist ein Mikrokosmos, eine Probebühne für das Leben da draußen“, erklärt Dirk Hesse, der Ärztliche Direktor der Klinik. Diese Probebühne müsse in einem ansprechenden Umfeld stehen. Denn: „Eine Therapie im Tigerkäfig funktioniert nicht. Und abgesehen davon will niemand von uns in einer Betonwüste therapieren.“ Lebenswertes Umfeld statt Betonwüste Dieses Credo verkörpert das gesamte Klinikgelände: Wiesen mit Gänseblümchen, ein Teich mit einer geschwungenen Brücke, es gibt einen Spielplatz, den Patienten mit ihren Kindern an den Besuchstagen nutzen können. Auch der Innenhof des Hochsicherheitsbereichs lädt zum Verweilen ein: Überall gibt es Sitzecken, teils unter mächtigen Bäumen, die bei warmem Wetter Schatten spenden, an den Stämmen Vogelhäuschen. Dezent mahnen das verschlossene Tor und die einzigen sichtbaren Zäune, welche die Krisenstation 16 abschirmen, dass die Freiheit Grenzen hat. Und wenn man so will, auch das massive Panzerglas vor den Fenstern – das durchsichtige Gitter. In den vergangenen zehn Jahren ist es zwei Patienten gelungen, die Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, die Klinik spricht von sogenannten „Entweichungen“. Der jüngste Fall ist gar nicht lange her, er hat sich im vergangenen Juni ereignet. Wie dem 33-Jährigen Mann, der in Zusammenhang mit einer gefährlichen Körperverletzung eingewiesen wurde, die Flucht gelingen konnte, ist zum aktuellen Zeitpunkt unklar. Im Maßregelvollzug Moringen verbringen die Menschen, die wegen einer psychischen Erkrankung eingewiesen sind, im Durchschnitt rund neuneinhalb Jahre. „Persönlichkeitsstörungen sind in der Behandlung sehr langwierig, das kann auch deutlich länger dauern“, berichtet Hesse. Bei Schizophrenien hingegen sei es möglich, mit Medikamenten schnelle Fortschritte zu erzielen. Die Patienten könnten nach drei bis vier Jahren wieder draußen sein, auch nach einem Tötungsdelikt. Wieder draußen sein – das bedeutet keineswegs, dass die Betroffenen unbeaufsichtigt sind. Viele leben in betreuten Wohngemeinschaften. Ambulanzen stehen mit ihnen in engem Austausch, meistens noch fünf Jahre nach der Entlassung. „Es gibt auch Menschen, die wir niemals entlassen, weil von ihnen Dirk Hesse ist ärztlicher Direktor der Klinik. Credo für den Therapieerfolg: Natur statt Beton. 28 FOKUS dbb magazin | September 2023

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