dbb magazin 9/2023

BUCHTIPPS Demokratie in die Köpfe Die Experten Julian Nida-Rümelin und Klaus Zierer erklären, wie Bildung gelingt und warum Werte dabei eine so wichtige Rolle spielen. Die Debatte um die Bildungsmisere und Bildungspolitik schwelt schon viele Jahre. Die Hiobsbotschaften hinsichtlich des Lehrer(innen)mangels, des schlechten Abschneidens der Schülerinnen und Schüler bei der PISA-Studie oder die mangelhafte Ausrüstung der Schulen reißen nicht ab. Das zentrale Moment bildungstheoretischer Entwicklungen ist die Aufgabe der Schule, demokratische Werte und Handlungsmuster zu vermitteln. Nur so werden die tragenden Säulen unserer Gesellschaft in zukünftigen Generationen, die heutigen Schülerinnen und Schüler, gestärkt. Die Autoren gehen in einen dringend nötigen bildungspolitischen Diskurs und fordern Demokratiebildung an den Schulen – jetzt! Vor allem Schulen sind gefordert, diese Aufgabe nicht einfach laufen zu lassen oder in die Hände von Big Data und der Digitalisierung der Schulen sowie der Vermittlung von manchmal fragwürdigen Lehrplänen zu legen. Denn wo die Verantwortung der Gemeinschaft fehlt, machen sich schnell falsche Propheten breit. Demokratiebildung braucht neben Vorbildern immer auch eine Begleitung in Form von Reflexion und Konfrontation. Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft und ihre Bildung sollte in unserer Gesellschaft Priorität haben. Wie wir das erreichen, erklären die beiden Autoren in diesem aufrüttelnden Debattenbuch. Julian Nida-Rümelin lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München im berufsbegleitenden Masterstudiengang Philosophie – Politik – Wirtschaft, als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin und als Gastprofessor an ausländischen Hochschulen. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Europäischen Akademie der Wissenschaften sowie Direktor am Bayerischen Institut für digitale Transformation. Er ist Vorstand der Parmenides Foundation. Klaus Zierer ist Erziehungswissenschaftler und seit 2015 Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Sein Buch „Ein Jahr zum Vergessen – Wie wir die drohende Bildungskatastrophe nach Corona verhindern können“ versteht sich als pädagogischer Weckruf, der nicht nur die Folgen der Coronapandemie in den Blick nimmt, sondern grundsätzlich für eine Weiterentwicklung des Schulsystems entlang humanistischer Grundsätze und empirischer Forschungsergebnisse plädiert. ■ Der Osten: eine westdeutsche Erfindung Was bedeutet es, eine Ost-Identität auferlegt zu bekommen? Eine Identität, die für die wachsende gesellschaftliche Spaltung verantwortlich gemacht wird? Der Attribute wie Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, Rassismus, Verschwörungsmythen und Armut zugeschrieben werden? Dirk Oschmann zeigt in seinem augenöffnenden Buch, dass der Westen sich über 30 Jahre nach dem Mauerfall noch immer als Norm definiert und den Osten als Abweichung. Unsere Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden von westdeutschen Perspektiven dominiert. Pointiert durchleuchtet Oschmann, wie dieses Othering unserer Gesellschaft schadet, und initiiert damit eine überfällige Debatte. „Das vorliegende kleine Buch stellt die erweiterte Fassung eines Artikels zur innerdeutschen Gemengelage dar, den ich am 4. Februar 2022 unter dem Titel ,Wie sich der Westen den Osten erfindet‘ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht habe. Art und Fülle der öffentlichen und privaten Reaktionen lassen es geboten erscheinen, nicht nur die Argumentation zu ergänzen und zu präzisieren, sondern auch die Vor- und Nachgeschichte des Artikels zu beleuchten“, schreibt Oschmann im Vorwort. „Obendrein legen sie nahe, einer vereinzelt auftretenden Fehldeutung ausdrücklich und von vornherein zu widersprechen, nämlich, dass ich einer spezifischen ,Ost-Identität‘ das Wort reden würde: Das Gegenteil ist der Fall. Hier geht es, mit einem Wort des französischen Sozialphilosophen Jacques Rancière, um ,DesIdentifizierung‘. Darüber hinaus wurde dem Artikel gelegentlich ein ,Mangel an Differenzierung‘ vorgeworfen. Differenzieren heißt hier aber nichts anderes, als den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen zu wollen. Es ist freilich höchste Zeit, den Wald in Erinnerung zu rufen. Das erscheint umso wichtiger, als es dabei um den krisenhaften Zustand der Demokratie selbst geht, ja um ihre Überlebenschancen in Deutschland.“ Dirk Oschmann, geboren 1967 in Gotha, ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Leipzig. ■ Julian Nida-Rümelin, Klaus Zierer: Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet. S. Hirzel Verlag 2023, 197 Seiten, ISBN 978-3-7776-3372-5, 26 Euro. Dirk Oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung. Ullstein Verlag 2023, 224 Seiten, ISBN 9783550202346, 19,99 Euro. 18 FOKUS dbb magazin | September 2023

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