dbb magazin 4/2023

erhalten Hausärztinnen und -ärzte vom Land bis zu 30000 Euro, wenn sie sich in einer ländlichen Region niederlassen, in der die hausärztliche Versorgung nicht oder in naher Zukunft nicht mehr gesichert ist. Um vor allem junge Medizinerinnen und Mediziner für eine Niederlassung insbesondere in ländlichen Regionen zu gewinnen, haben wir in Baden-Württemberg im Jahr 2021 die Landarztquote eingeführt. Finanzielle Anreize reichen aber nicht aus. Gemeinsammit der in erster Linie zuständigen ärztlichen Selbstverwaltung müssen Bund, Land und Kommunen weiter daran arbeiten, die Versorgungsstrukturen, die Arbeitsbedingungen und die Infrastruktur an den Bedürfnissen der nächsten Generation auszurichten. Die zu beobachtenden Privatisierungstendenzen hin zu spezialisierten medizinischen Versorgungszentren gefährden aus Sicht des dbb die Versorgung. Welche Möglichkeiten gibt es, den Staat stärker in die Verantwortung zu nehmen? Ich betrachte diese Entwicklung ebenfalls mit Sorge. Das Problem bei den Medizinischen Versorgungszentren ist aber nicht, dass der Staat Privatisierungen zugelassen hat. Das Problem liegt darin, dass Finanzinvestoren die Berechtigung erwerben können, bundesweit MVZ-Standorte zu gründen oder aufzukaufen. Auf diese Weise können sich etwa Unternehmen ohne fachlichmedizinischen Bezug in Erwartung von Rendite an solchen Zentren beteiligen. Auch wenn diese als moderne Organisationsform Vorteile bieten, birgt dieser Einfluss erhebliche Risiken für die Versorgung der Bevölkerung. Die Gesundheitsministerkonferenz hat daher im Jahr 2022 beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die möglichst rasch Vorschläge für ein Regulierungsgesetz und eine entsprechende Bundesratsinitiative vorlegen soll. Das geplante Gesetz hat jedoch nicht das Ziel, dem Staat mehr Verantwortung zu geben. Ziel ist, dass die zuständige Selbstverwaltung der Ärzteschaft und Krankenkassen die rechtlichen Befugnisse erhalten, um den Einfluss von Finanzinvestoren auf die ärztliche Versorgung zu begrenzen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das System der stationären Versorgung neu aufstellen. Der dbb fordert Entlastungen bei den Vorhaltekosten und hat eine die Fallpauschalen ergänzende Basisfinanzierung vorgeschlagen. Bevor am derzeitigen System der Fallpauschalen herumgeschraubt wird, sollte zunächst bei der Kostenverteilung angesetzt werden, wobei die Länder ihrer Pflicht nur unzureichend nachkommen. Wie stehen Sie dazu? Das sehe ich nicht so. Schlicht nur mehr Geld ins System zu pumpen, also eine ergänzende Basisfinanzierung, übertüncht meiner Meinung nach die strukturellen Probleme. Dies verschärft die finanzielle Schieflage der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Versorgungssystem sollte so weiterentwickelt werden, sodass es in der Lage ist, den Herausforderungen zu begegnen und trotzdem die Qualität der Versorgung hochzuhalten. Eine Krankenhausreform ist daher dringend notwendig. Baden-Württemberg stellt derzeit jährlich rund 455 Millionen Euro Investitionsfördermittel zur Verfügung und kommt daher seiner Verpflichtung zur Investitionskostenfinanzierung in ausreichendemMaße nach. Für unser Bundesland liegt das Problem der derzeitigen Unterdeckung in der mangelnden Betriebskostenfinanzierung: Die im Bundesvergleich überdurchschnittlich hohen Lohnkosten werden hier durch das aktuelle Vergütungssystem nicht ausreichend gedeckt. Baden-Württemberg setzt sich deshalb im Zuge der Krankenhausreform dafür ein, dass überdurchschnittlich hohe Lohnkosten in Zukunft ausreichend vergütet werden. Menschen mit Behinderung arbeiten häufig aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand. Die Inanspruchnahme von Rehabilitationsmaßnahmen bleibt vielfach hinter den Möglichkeiten zurück. Wie können Menschen mit Teilhabebeeinträchtigung länger im aktiven Arbeitsleben gehalten werden? Teilweise besteht auch bei Menschen mit Behinderungen, genauso wie bei Menschen ohne Behinderungen, der Wunsch, so lange wie möglich zu arbeiten, um Tagesstruktur und soziale Kontakte beizubehalten, oder aus finanziellen Gründen. Daher können und dürfen wir nicht einfach davon ausgehen, dass Menschen mit Behinderungen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen oder dies wollen. Sie sind wertvolle Fachkräfte, deren Expertise wir brauchen. Indem wir besser auf die jeweiligen Angebote der Rehabilitation aufmerksammachen, können wir die Menschen dabei unterstützen, länger am Arbeitsleben teilzuhaben. Wir müssen ein verstärktes Gesundheitsbewusstsein entwickeln. Neben Präventions- und medizinischen Rehaleistungen unterstützt beispielsweise die Deutsche Rentenversicherung mit Angeboten zur Teilhabe am Arbeitsleben, die mitunter auch in den Betrieben, am konkreten Arbeitsplatz ansetzen. Welche praktischen Chancen sehen Sie in der neuen EUStrategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021–2030? Menschen mit Behinderungen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, im Bereich Bildung, Beschäftigung und Freizeitaktivität sowie bei der Teilhabe am politischen Leben immer noch mit großen Hindernissen konfrontiert. Es ist deshalb richtig, dass sich die Europäische Kommission dieses Themas angenommen hat. Menschen mit Behinderungen haben etwa das Recht auf eine hochwertige Gesundheitsversorgung, einschließlich gesundheitsbezogener Rehabilitation und Prävention. Bereits 2014 haben wir dies im Gesundheitsleitbild BadenWürttemberg verankert. Um die Teilhabe an demokratischen Prozessen zu fördern, wurde in unserem Bundesland gesetzlich eine Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen innerhalb der Kommunalen Gesundheitskonferenzen verankert. Zielgruppenspezifische Themen können hier direkt durch diese Interessensvertreter eingebracht werden. Klar ist jedoch: Wir sind hier noch lange nicht am Ende. Ich erhoffe mir von der EU-Strategie deshalb weitere Impulse. ■ Menschen mit Behinderungen sind wertvolle Fachkräfte, deren Expertise wir brauchen. FOKUS 13 dbb magazin | April 2023

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