dbb magazin 1-2/2023

Bei der Digitalisierung der Verwaltung – insbesondere beim Onlinezugangsgesetz – räumte Faeser ein: „Hier muss der Staat auf allen Ebenen besser und schneller werden.“ Hier dürften Prozesse allerdings nicht einfach digitalisiert, sondern müssten zuvor grundlegend verbessert werden. „Angesichts von 40 000 Behörden im Land und alleine 11000 Städten und Gemeinden ist das allerdings weiter eine Mammutaufgabe.“ Prof. Dr. Udo Di Fabio, Bundesverfassungsrichter a. D., hat ein Plädoyer für den öffentlichen Dienst als Stabilisator für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehalten. Der Verfassungsrechtler war der Tagung digital zugeschaltet und skizzierte in seiner Keynote den Zusammenhang zwischen Daseinsvorsorge und Vertrauen in staatliche Institutionen. So erlahme die öffentliche Aufmerksamkeit zum Beispiel regelmäßig, nachdemGesetze beschlossen seien. Um deren Vollzug werde sich danach kaum noch gekümmert. „Dabei haben Verwaltungsdienstleistungen eine ganz elementare Bedeutung für das Ansehen des Staates. Funktionieren Verwaltungen nämlich für längere Zeit nicht richtig, erodiert das Vertrauen der Bevölkerung in Rechtsstaat und Demokratie.“ Daher sei der öffentliche Dienst ein „Grundelement der Demokratie und eine Forderung des Sozialstaatsprinzips.“ Das werde besonders dort deutlich, wo Defizite entstünden. Zum Beispiel, wenn die öffentliche Sicherheit nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden könne. „Davon sind zuerst die sozial Schwächeren betroffen. Aber der Rechtsstaat hat das Verfassungsversprechen einzulösen, dass alle Menschen vor demGesetz gleich sind. Dies kann er nur einlösen, indem er Sicherheit für alle gewährt.“ Aktuell sei in Deutschland die Tendenz zu beobachten, dass der öffentliche Dienst durch überbordende Gesetzgebung überfordert sei, so Di Fabio weiter. Im Gegenzug müsse daher sichergestellt werden, dass „Personal, Mittel und Besoldung passen, damit Dienstherrn und Arbeitgeber ihre Beschäftigten motivieren können, für den Gesetzesvollzug zuständig zu sein“. Unter diesem Gesichtspunkt sieht auch Di Fabio die Personaldecke derzeit als zu dünn an. „Und schauen wir auf die Demografie, stehen uns die Engpässe sogar noch bevor.“ Da der öffentliche Dienst beim Kampf um Nachwuchskräfte nicht mit der Wirtschaft Schritt halten könne, sei es unausweichlich, dass der Staat die Aufgaben seines „stabilisierenden Elements öffentlicher Dienst“ so zuschneide, dass Gesetze auch umgesetzt werden können. Außerdem könne der öffentliche Dienst seine Attraktivität für Nachwuchskräfte steigern, erklärte der Bundesverfassungsrichter a. D., indem er das Ethos, das viele junge Menschen bewege, für den Staat zu arbeiten, auch entsprechend wertschätze: „Die Überzeugung, etwas Wichtiges für die Gesellschaft zu tun, ist ein starker Antrieb.“ Das müsse sich aber auch in einer schnellen Rechtsprechung bei Gewaltdelikten gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes widerspiegeln, denn letztlich sei „jeder Angriff auf die Beschäftigten ein Angriff auf die demokratische Kultur“. Insgesamt habe sich die Bundesrepublik zu sehr an das „tragende Fundament öffentlicher Dienst“ gewöhnt, ohne von Zeit zu Zeit auf Bruchstellen zu achten. „Wir haben zu viel Vertrauen in eine scheinbar ewig funktionierende Infrastruktur entwickelt, zu wenig investiert und sich verändernde Rahmenbedingungen ignoriert.“ Eine Diagnose, die auch Verwaltungsdienstleistungen und Verfahren umfasse. Solle am Ende nicht aus vielen kleinen Krisen eine große Staatskrise werden, müsse die Politik wieder stärker in den Fokus nehmen, „dass der öffentliche Dienst die verfassungsrechtliche Grundlage für das öffentliche Gemeinwesen bildet und gleichzeitig eine Garantie für entsprechende Infrastrukturen und Dienstleistungen gewährt“. Publizist Albrecht von Lucke erläuterte die Zusammenhänge zwischen einem geschwächten Staat und zunehmender Radikalisierung. Übertrage die Politik der Verwaltung Aufgaben, die jene nicht bewältigen könne, schwäche sie sich gleichzeitig selbst. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Staates werde für alle sichtbar, machte von Lucke deutlich. Die Silvesternacht mit ihren gewalttätigen Krawallen und Attacken auf Einsatz- und Rettungskräfte habe quasi als Signatur der Zeit „Der öffentliche Dienst ist Grundelement der Demokratie.“ Udo Di Fabio „Nie erscheint der Staat angreifbarer, wenn er die eigenen Leute nicht schützen kann.“ Albrecht von Lucke 10 FOKUS dbb magazin | Januar/Februar 2023

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