dbb magazin 11/2022

„Wir! Stiftung pflegender Angehöriger“ und Dr. Martin Schölkopf, Abteilungsleiter Pflegeversicherung und -stärkung im BMG, die Eckpunkte einer zukunftssicheren Pflege aus. Der Vorsitzende der dbb Bundeseniorenvertretung, Horst Günther Klitzing, würdigte die Bemühungen der Politik, die Pflege zukunftssicher aufzustellen. „Der große Wurf ist meiner Auffassung nach aber nicht erkennbar. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was Pflege ist, welcher Stellenwert ihr in der Gesellschaft eingeräumt wird“, regte der dbb Senioren-Chef an. Es sei wichtig, den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Nur die Bedingungen der professionellen Pflegekräfte zu verbessern, greife jedoch zu kurz: „Es ist auch nötig, Instrumente zu entwickeln, die der Entlastung berufstätiger pflegender Angehöriger dienen. Diesbezüglich fordern wir zusammen mit dem dbb seit Längerem, dass Pflegezeiten wie Erziehungszeiten behandelt werden.“ Der Chef der dbb Senioren zeigte sich aber auch überzeugt, dass viele Veränderungen aus der Gesellschaft selbst kommen müssten: „Wir können die Politik nicht für alles verantwortlich machen, was nicht läuft.“ Klitzing wünschte sich, dass alle Beteiligten im Bereich der Pflege ehrlicher miteinander umgehen. „Es gibt viel zu tun, und es gibt ganz gewiss nicht die eine Maßnahme, die dazu beiträgt, die Pflege zukunftssicher zu machen. Hier möchten wir uns als gewerkschaftliche Seniorenorganisation gerne einbringen.“ Brigitte Bührlen brennt der Fachkräftemangel auf den Nägeln. In Deutschland seien aktuell rund 700000 ausländische Betreuungskräfte im Einsatz. Das, so die Vorsitzende der Stiftung pflegender Angehöriger, seien aber keine Pflegekräfte im herkömmlichen Sinne. „Oft haben sie nicht die entsprechende Fachausbildung und dürften eigentlich gar nicht ‚pflegen‘. Bei im Haushalt lebenden Betreuungskräften, so Brigitte Bührlen weiter, seien zudem geregelte Arbeitszeiten schwer einzuhalten. „Natürlich muss es Ruhezeiten geben, natürlich gelten die Arbeitsschutzregeln, aber in der Alltagswirklichkeit können diese Regeln oft nicht eingehalten werden. Wenn wir das täten, säßen sehr viele pflegebedürftige Menschen nämlich plötzlich ohne Betreuung da.“ Das Argument der Haushälter, dass für bestimmte Verbesserungen in der Pflege zurzeit einfach kein Geld da sei, lässt Brigitte Bührlen nicht gelten. „Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Pflegebedürftig kann man in jedem Alter werden. Insofern sind wir alle, alle 80 Millionen Wählerinnen und Wähler, potenziell Betroffene. Wir sollten die Politik also unter Druck setzen, endlich zu liefern.“ Mit Blick auf die Zukunft der Pflegeversicherung wünscht sich die Stiftungsvorsitzende einen grundstürzenden Ansatz: „Das Bismark’sche System der Absicherung muss weg. Unser Pflegeansatz passt nicht ins 21. Jahrhundert. Wir brauchen aber ein effizientes, professionelles Pflegesystem von Fachleuten“, forderte Bührlen. Martin Schölkopf würde im Pflegefall für sich selbst eine betreute Wohngemeinschaft älterer Menschen wählen, um seine Angehörigen nicht zu belasten. Das sei eine mögliche Form der Pflege, aber parallel zu solchen Modellen würden sehr viele Ältere von ihren Angehörigen gepflegt, die einen Anspruch auf Unterstützung hätten, erläuterte der Abteilungsleiter im BMG. Diesbezüglich seien für die Zukunftssicherung der Pflege zum Beispiel Leistungen für pflegende Angehörige im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ausgeweitet worden. Zudem wurden in den vergangenen Jahren ergänzende Leistungen sowie die Familienpflegzeit eingeführt. Die aktuelle Regierungskoalition möchte die Familienpflegezeit, so Schölkopf, jetzt mit einer Lohnersatzleistung unterfüttern: „Derzeit wird mit Hochdruck an Eckpunkten für diese Maßnahmen gearbeitet. Der Haken ist, dass es natürlich etwas kostet, und da ist man schnell imMilliardenbereich.“ Daher sei auch zu klären, welche „Gegenleistungen“ dafür erbracht werden können, etwa, indem pflegende Angehörige wie in Österreich bei der Kommune angestellt werden, um diesen Teil der Pflegearbeit sicherzustellen. „Das alles ist eine Frage des politischen Gestaltungswillens.“ bas/br/cri/iba/ef/ows/zit INTERN 35 dbb magazin | November 2022

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