dbb magazin 11/2022

ARBEITNEHMERRECHTE EuGH-Urteil Wann Urlaubsansprüche nicht verfallen Der Europäische Gerichtshof (EuGH) fällt immer wieder Urteile, die wichtige Maßstäbe für die Anwendung nationalen Arbeits- und Sozialrechts setzen. Aktuell ist das mit Blick auf die Unverfallbarkeit von Urlaubsansprüchen der Fall. Besonders die europäische Arbeitszeitrichtlinie ist immer wieder Grundlage für wichtige Gerichtsentscheidungen. Der EuGH gründet seine Urteile auf die europäische Zuständigkeit für den Arbeitsschutz. Damit wird auch das deutsche Arbeitsrecht erheblich durch europäische Arbeitsschutzrichtlinien bestimmt. Die Europäische Union hat nur begrenzte sozialpolitische Kompetenzen. Sie hat aber überall da erhebliche Einwirkungsmöglichkeiten, wo es um das Funktionieren des Binnenmarktes geht. Schlechte Arbeitsbedingungen können den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren. Deshalb wurde bereits 1989 von der damaligen Europäischen Gemeinschaft die Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz angenommen. Ihre Inhalte und weitere darauf aufbauende Richtlinien prägen das deutsche Arbeitszeitgesetz und, soweit anwendbar, auch die Arbeitszeitverordnungen im öffentlichen Dienst. Die Anwendung des Begriffs „Arbeitnehmer“ ist in Europa also sehr weit gefasst. Um Schlupflöcher für Schlechterstellungen in den Mitgliedstaaten zu vermeiden, wird der Begriff Arbeitnehmer in der EU bewusst auf alle Beschäftigten angewandt. Somit gelten die europäischen Mindestschutznormen prinzipiell für alle Beschäftigten. Dies kann in Deutschland zu unbeabsichtigten Normenkollisionen zwischen dem EU-Recht und dem Beamtenrecht führen, denn nach deutschem Recht sind Beamte keine Arbeitnehmer. In der Regel werden Konflikte zwischen europäischem und öffentlichem Dienstrecht dadurch vermieden, dass die EU das öffentliche Dienstrecht als eigenständigen Rechtskreis im Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten respektiert und anerkennt, dass es darin angemessene Schutzregeln im Sinne auch der europäischen Mindestschutznormen gibt beziehungsweise dass diese durch andere, eigenständige Regelungen voll kompensiert werden. Ähnlich verhält es sich nun mit Blick auf die aktuelle EuGH-­ Entscheidung zum Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern vom 22. September 2022 (C-120/21). Das Bundesarbeitsgericht hatte dem EuGH drei bei ihm anhängige Verfahren zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das geschieht immer dann, wenn höchste deutsche Gerichte um eine Klärung europarechtlicher Fragen für ihre abschließende Entscheidung bitten. Sie sind sodann in der europarechtlichen Auslegung ihres abschließenden Urteils an die Entscheidung des EuGHs gebunden. Der EuGH entschied nun, dass die Arbeitszeitrichtlinie und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die ein Recht auf bezahlten Jahresurlaub vorsieht, so auszulegen sind, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nur dann erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch geltend zu machen. Daraus ergibt sich, dass der Urlaubsanspruch finanziell abgegolten werden muss, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft krank oder erwerbsunfähig wird beziehungsweise nach seiner Genesung bereits in Rente ist und vor Renteneintritt oder krankheitsbedingt keine Möglichkeit mehr bekam, seinen Urlaubsanspruch geltend zu machen. Für die Beschäftigten mit Arbeitsverträgen ist diese Entscheidung gewerkschaftspolitisch begrüßenswert. Für Beamtinnen und Beamte stellt sich dieser Problemkreis aber so nicht. Denn anders als für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (nach deutschem Recht) gilt für die Beamtinnen und Beamten der Grundsatz der Alimentation. Das bedeutet, dass die Beamten auch bei langer Krankheit keine Verluste bei der Besoldung haben, während die angestellten Beschäftigten nach sechs Wochen statt Arbeitslohn nur Krankengeld bekommen. Ähnlich sind wohl Fallkonstellationen zu beurteilen, in denen Ruhestand und Versorgung auf die Erkrankung folgen. Es bleibt daher zunächst abzuwarten, wie das BAG die Vorgaben des EuGH umsetzt. cm Der dbb begrüßt die Entscheidung des EuGH zum Fortbestand von Urlaubsansprüchen, da sie die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärkt. Für das Beamtenrecht in Deutschland, das dem Alimentationsgrundsatz unterliegt und einen eigenständigen Rechtskreis darstellt, ist hingegen ein gutes und weitreichendes Schutzniveau vorhanden, sodass dieses Urteil nur bedingt Anwendung finden kann. dbb begrüßt Stärkung der Arbeitnehmendenrechte Foto: Colourbox.de AKTUELL 15 dbb magazin | November 2022

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