dbb magazin 7-8/2022

digitalen Transformation setze Verwaltungsinnovation voraus, was Prozesse und Organisation gleichermaßen betreffe. Zum anderen, führte die Verwaltungsexpertin aus, dürfe der „Impact“ von Transformationsprozessen auf die Organisation nicht vernachlässigt werden, damit die Beschäftigten Innovationen mittragen. Als Rahmenbedingungen für das Verwaltungshandeln umriss Borggräfe die Komplexe Pandemie, Klimakrise, Digitalisierung, Diversität, Urbanisierung und demografischer Wandel: Bisher konzentriere man sich auf digitale Anwendungen und deren Implementierung. Es müsse aber ebenso betrachtet werden, wie sich digitale Anwendungen auf die Führungskultur auswirken und wie neue Kommunikationstools Verwaltungsstrukturen und Prozessorganisation verändern. Die Schlüssel zum Gelingen der Transformation böten Diversität, Agilität und Zukunftsfähigkeit: „Diverse Teams treffen nachweislich die besseren Entscheidungen. Durch Diversität ist es möglich, Spannungen innerhalb der Belegschaft, bei der Einbindung der Bürgerinnen- und Bürgerperspektive sowie auf Prozessebene zu bewältigen. Agile Formate des Verwaltungshandelns schaffen Möglichkeiten, Neues auszuprobieren und zu implementieren. Zukunftsfähigkeit richtet letztlich einen Suchscheinwerfer auf die Strukturen der Verwaltung, um Innovationspotenzial zu erkennen.“ Yollu-Tok: Mobile Arbeit ist kein Allheilmittel Die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit in der digitalen Transformation der Arbeitswelt war Thema von Aysel Yollu-Tok, die den Themenkomplex „NewWork“ um Erkenntnisse und Aspekte auch aus der häuslichen Situation erwerbstätiger Frauen ergänzte. Die promovierte Volkswirtin, die an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) lehrt und dort zugleich Direktorin des Harriet Taylor Mill-Instituts für Ökonomie und Geschlechterforschung (HTMI) ist, präsentierte Ergebnisse ihrer Forschungen zur „Care-Arbeit“ und setzte dazu Akzente aus dem aktuellen Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, den sie als Vorsitzende mit verantwortet. „Frauen leisten immer mehr Care-Arbeit.“ Diese Aussage zog sich wie ein roter Faden durch den Vortrag. In der „Rushhour des Lebens“ – also im Alter von Mitte 30 bis Mitte 40 – klaffe der größte „Gender Care Gap“ zwischen den Geschlechtern, erläuterte YolluTok: „Frauen leisten dann durchschnittlich fünf Stunden und 18 Minuten Care-Arbeit täglich, Männer dagegen nur zwei Stunden und 31 Minuten.“ Auch beim Einbezug anderer Lebensabschnitte weist die Forschung kaum bessere Werte auf: 2017 leisteten in heterosexuellen Paarhaushalten die Frauen 66 Prozent der Sorgearbeit. Selbst während der Homeoffice-Phase der Coronapandemie, erhöhte sich die Betreuungsarbeit bei den Vätern im Durchschnitt von zwei auf vier Stunden, während sie bei den Müttern von durchschnittlich fünf auf 7,5 Stunden kletterte. „Die gesundheitliche Selbstgefährdung bei Männern geht auf bezahlte Erwerbsarbeit zurück, während Frauen im Homeoffice ihre unbezahlte Sorgearbeit ausweiten: Männer werden für die Selbstgefährdung bezahlt, Frauen aber nicht“, zitierte Yollu-Tok ein Ergebnis aus dem Dritten Gleichstellungsbericht. Fazit der Wirtschaftswissenschaftlerin: Mobile Arbeit biete gute Chancen für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit. „Sie ist aber kein Allheilmittel. Hierfür müssen sowohl Geschlechterstereotype abgebaut werden, die Frauen eine ,natürliche‘ Begabung für Sorgearbeit zuschreiben, als auch sozial- und steuerrechtliche Regelungen reformiert werden.“ Spörrle: Asymmetrien entgegenwirken Matthias Spörrle, Professor für Wirtschaftspsychologie unter anderem an der Hochschule für Angewandtes Management in Erding und der Privatuniversität Schloss Seeburg, lenkte den Blick „Geschlechterstereotype, die Frauen eine Begabung für Sorgearbeit zuschreiben, müssen abgebaut werden.“ Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok „Das Verhältnis zwischen gestaltenden Männern und Frauen bei der digitalen Revolution liegt derzeit bei 90 zu 10.“ Prof. Dr. Matthias Spörrle 30 INTERN dbb magazin | Juli/August 2022

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