dbb magazin 12/2021

STANDPUNKT Frauen im Ehrenamt Mut zusprechen reicht nicht Es ist kein Geheimnis, dass Gleichstellung in der Politik noch längst nicht erreicht ist. Bürgermeis- terinnen zum Beispiel muss man mit der Lupe suchen. Nicht einmal jedes dritte Mandat in der Kommunalvertretung ist mit einer Frau besetzt. Im Bundestag sind mittlerweile zwar mehr weibliche Abgeordnete als in der letzten Legislaturperiode vertreten, aber immer noch lediglich etwas weniger als 35 Prozent. Politisches Engagement beginnt zudemweit vor demMandat. E in Blick in die Parteienlandschaft offenbart das Problem. Frauen engagieren sich noch immer zurückhaltender als Männer in Parteien. Dabei gilt: Je konservativer die Grundhaltung ist, desto weniger Frauen machen mit. Ähn­ lich ernüchternd sieht es bei den Gewerkschaften aus. Vor allem in einflussreichen Positionen sind Frauen dort kaum anzutreffen. Die ehrenamtliche Arbeit von Frauen in Gewerkschaft und Spit­ zenorganisation muss folglich die gebotene Anerkennung und ge­ zielte Förderung erfahren. Wer noch immer glaubt, man müsse Frauen einfach nur Mut zuspre­ chen, beherzt nach dem poli­ tischen Amt zu greifen, macht es sich leicht und verkennt die Beharrlichkeit tradierter Struktu­ ren. Vielmehr muss jede Organi­ sation für sich aktiv werden und strukturelle Veränderungen durchsetzen, die Frauen die Ge­ werkschafts- und Parteiarbeit erleichtern. Wie kann das gelingen? Aus meiner Sicht müssen politische und gewerkschaftliche Organisationen anerkennen, dass es geschlechtsspezifisch unterschiedliche strukturelle Zugangs­ barrieren zu ehrenamtlichem Engagement gibt. Allem voran müssen Vorurteile gegenüber Frauen im Amt abgebaut wer­ den. Fragen wie „Schaffst du das als Mutter?“ oder „Traust du dir das auch wirklich zu?“ wollen Frauen in Politik und Gewerk­ schaft nicht mehr gestellt bekommen. Hier sind die Amtstragenden gefragt, selbstkritisch zu prüfen, inwieweit sich Ansprache, Teilhabemöglichkeiten, Mitglieder­ werbung, Wahlmodi, Nominierungsverfahren, Umgangsformen, Hierarchiedenken und Sitzungsverhalten geschlechterdiskrimi­ nierend auswirken. Wichtige Hilfestellungen, um die Hürden zu überwinden, können hybride Partizipationsformate und Mento­ ring-Programme geben, die den gegenseitigen Austausch flexib­ ler gestalten und als beidseitigen Zugewinn für die ehrenamt­ liche Arbeit fördern. Darüber hinaus sind Frauenorganisationen und -netzwerke in der Arbeitswelt, in Gewerkschaften und politischen Parteien wichtige Innovationsräume, die noch viel stärker als bisher in die Gesamtorganisation eingebunden werden müssen, um die weiterhin bestehenden Fälle von mittelbarer und intersektio­ naler Diskriminierung zu benennen und zu korrigieren. Frauen­ netzwerke übernehmen eine wichtige Transferfunktion zwi­ schen den traditionellen Geschlechterwelten. Sie überwinden Hindernisse und öffnen Türen zu einer vielfältigen Organisa­ tionskultur – wenn man sie denn lässt. Aber auch der Gesetzgeber hat noch Spielräume, um insbeson­ dere Frauen den Schritt ins – vor allem politische und ge­ werkschaftliche – Ehrenamt zu erleichtern. Dazu zählt zum Beispiel die Ausweitung von gesetzlichen Freistellungsmög­ lichkeiten, rentenrechtliche An­ erkennung oder steuerrechtli­ che Ausnahmeregelungen zur besseren Wertschätzung dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgaben des Ehrenamtes. Nicht zu vergessen ist die Förderung einer familienfreundlichen Arbeitskultur, die das Verständnis der fairen Teilung von Sorge­ tätigkeiten voraussetzt. Die klassische geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung bricht im Berufsleben zwar zusehends auf. Die gesellschaftlichen Rollenbilder hinken der Entwicklung je­ doch hinterher und wirken sich im Privaten unterschiedlich auf unsere Zeitressourcen aus: Frauen übernehmen weiterhin durchschnittlich 52 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Da bleiben am Tag auch weniger Stunden fürs (politi­ sche) Ehrenamt übrig. Hierauf muss die Bundesregierung mit einer modernen Zeitpolitik reagieren – damit Frauen aus der Rolle der „kari­ tativ-engagierten Mutter“ selbstbe­ stimmt heraustreten können und die nötigen Freiräume für ihre persönliche Entfaltung im politischen und gewerk­ schaftlichen Ehrenamt finden. Milanie Kreutz ist seit Juni 2020 Vor­ sitzende der dbb bun­ desfrauenvertretung, Die dbb bundesfrauen­ vertretung vertritt die Interessen der rund 400000 in den Fachge­ werkschaften des dbb organisierten Frauen. Die Autorin … Vorurteile gegenüber Frauen im Amt müssen abgebaut werden. Fragen wie „Schaffst du das als Mutter?“ oder „Traust du dir das auch wirklich zu?“ wollen Frauen in Politik und Gewerkschaft nicht mehr gestellt bekommen. Foto: Tashatuvango/Colourbox.de dbb magazin | Dezember 2021 24 INTERN

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