dbb magazin 12/2021

Digitalisierung Verwaltung muss es selbst in die Hand nehmen Deutschlands Verwaltung hinkt in Sachen Digitalisierung hinterher, obwohl in den letzten Jahr- zehnten so viele Milliarden in den digitalen Staat gesteckt wurden wie in kaum einem anderen Land der Welt. Auch die künftige Bundesregierung wird wieder neue Maßnahmenpakete und Projekte aufrufen, die alles besser machen sollen. Ist das der richtige Weg? D igitalisierung ist kein Produkt, das Sie einfach irgend­ wo einkaufen können, sondern ein Prozess. Ein Kultur­ wandel.“ Eine durchaus zutreffende Beraterplattitüde, die vermutlich die meisten in der Verwaltung so oder ähnlich schon einmal gehört haben. Beraterinnen und Berater, die mit solchen Plattitüden in die Verwaltung kommen, sind aber Teil des Problems. Verwaltungen, die sich externe Unterstützung für die Digitalisierung suchen müssen, sind es ebenso. Dieser verhängnisvollen Allianz zugrunde liegt der politische Irr­ weg, Digitalisierung eben genau nicht als den Kulturwandel zu be­ greifen, der erforderlich ist, um sie in der Verwaltung erfolgreich umzusetzen. Stattdessen wird der moderne Staat weiter als „Pro­ jekt“ angegangen: Es werden keine neuen Stellen für Menschen mit IT-Know-how geschaffen, son­ dernMillionen für externe Projekt­ unterstützung ausgegeben. Die Leitung von Digitalprojekten geht regelmäßig an eine Referatslei­ tung, die schon andere Projekte erfolgreich durchgeführt hat – wer Förderleitlinien schreiben kann oder mal Pressesprecher war, der bekommt dieses Digitalisierungs­ ding doch bestimmt auch hin. Was aber sollen nun Menschen ohne Vorerfahrung mit solch hochkomplexen und technisch anspruchsvollen Themen in so einer Projektsituation anderes ma­ chen als sich externe Hilfe zu holen? Also fragt man zum Beispiel Capgemini an – für Konzept und Ausschreibung. Und wenn sie schon mal dabei sind, können sie direkt die Projektsteuerung mit­ machen. Capgemini hat für die technische Umsetzung gute Er­ fahrungen mit IBM. Also holt man die dafür ins Boot. Und PwC übernimmt die Rechtsberatung – hat man ja schon immer so ge­ macht. Nun sind Beratungsunternehmen darauf aus, weitere Folgeauf­ träge zu bekommen. Es entwickelt sich ein Kreislauf, der nur schwer zu durchbrechen ist. Kein böser Wille, sondern einfach systemimmanent. Doch genau deswegen passiert bei den Digita­ lisierungsprojekten Folgendes nicht: der Kulturwandel, den die Verwaltung so dringend braucht. Weitestgehend alle Fachkom­ petenzen sind externalisiert. So scheiterte bereits eine ganze Reihe von Vorhaben auf Bundesebene: die ID-Wallet, das Online­ zugangsgesetz oder die nationale Bildungsplattform. Und während ein gescheitertes Projekt in Digitalunternehmen oft wegen des Lernprozesses gefeiert wird, ist es in der Verwal­ tung gleich doppelt gescheitert. Denn wie soll eine Organisation etwas lernen, wenn sie am Prozess des Scheiterns nicht einmal wirklich beteiligt war? Scheitern hilft nur, wenn da auch jemand ist, der daraus etwas lernen kann. Wenn der nächste Anlauf zur Verwaltungsdigitalisierung also klappen soll, müssen wir Menschen mit entsprechendemWissen tatsächlich überall in die Strukturen holen. In jedes einzelne Refe­ rat. Und sie dafür natürlich auch angemessen bezahlen. Aber vor allemmüssen wir auf diese Men­ schen dann auch hören und ihnen die Freiräume geben, tatsächlich Prozesse und Strukturen radikal zu verändern. Ausgestattet mit entsprechenden Freiräumen soll­ ten diese Expertinnen und Exper­ ten dann möglichst zielorientiert Lösungen für wichtige Aufgaben­ stellungen finden. Das heißt: Ab­ kehr von politisch gesteuerten Projekten wie etwa „einen Aus­ weis in der Blockchain“ hin zu ei­ nem Prozess, in dem die Politik zwar die Ziele und Rahmenbedin­ gungen vorgibt – beispielsweise „sich sicher überall digital aus­ weisen können“ –, dann aber eine oder mehrere Lösungen ent­ wickelt werden können. Selbst wenn eine davon scheitert, ist das zwar ärgerlich, aber immerhin haben die Menschen in der Verwal­ tung dabei dann etwas gelernt. Und so können in verschiedensten Iterationen Wissen aufgebaut und Lö­ sungen gefunden werden, die tatsäch­ lich für alle funktionieren. Diesen Kulturwandel brauchen wir und die Verwaltung muss ihn endlich be­ wusst in die eigene Hand nehmen und alle Strukturen an die digitale Welt an­ passen, statt verzweifelt zu versuchen, an Bestehendem festzuhalten. Lilith Wittmann MEINUNG ... Lilith Wittmann ist Softwareentwicklerin, IT-Sicherheitsexpertin und Aktivistin aus Ber­ lin. 2020 nahm sie am ersten Fellowship-Pro­ gramm der bundesei­ genen Digitalagentur „Work4Germany" teil. Die Autorin ... Wenn der nächste Anlauf zur Verwal- tungsdigitalisierung klappen soll, müs- sen wir Menschen mit entsprechendem Wissen überall in die Strukturen holen. In jedes einzelne Referat. Und sie dafür natürlich auch angemessen bezahlen. Foto: Cherezov Kirill/Colourbox.de dbb magazin | Dezember 2021 18 FOKUS

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