dbb magazin 12/2021

H err Reinhardt, die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland kann man bisher schwerlich als Er- folgsgeschichte bezeichnen. Was machen andere Länder, gerade in der Europäischen Union, besser? Es ist in der Tat für die Vorkämpfer der Verwaltungsdigitalisie­ rung immer schwer zu akzeptieren, dass wir im Vergleich nicht so gut dastehen. Man muss ganz klar sagen: An vielen Stellen in der Verwaltung wurde Exzellentes geleistet. Was uns bisher aber nicht so gut gelungen ist, ist die guten Einzellösungen in die Fläche zu brin­ gen. Genau das funktioniert in vielen anderen Ländern deutlich besser. Wir sehen dort einheitliche nationale Programme, auf die alle staatlichen Ebenen unter höchster Schirmherrschaft einge­ schworen werden. Durch das „Zur-Chefsache-Machen“ entsteht dort einfach mehr Zug zum Tor. Zwei Zitate von CIOs anderer europäischer Länder gehen mir dabei nicht aus dem Kopf: 1 „Wir müssen selbst gar nicht viel erfinden, wir nehmen einfach die guten Ideen und Konzepte aus Deutschland und setzen diese um“ und 2 „Die Deutschen haben eine besondere Fähigkeit darin, auch einfache Dinge kompliziert zu machen ) “ ( und komplizierte noch komplizierter, Ergänzung Marc Reinhardt) . Der Föderalismus, beziehungsweise die ebenenübergreifen- de Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommu- nen, wird oft als Hemmschuh bei der Digitalisierung ge- nannt. Sehen Sie das auch so? Anknüpfend an die genannten Zitate: Der Föderalismus ist als staatliches Organisationsprinzip eine besondere Stärke der Bundesrepublik Deutschland, um die uns viele Länder benei­ den. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Föderalismus eine erhöh­ te Komplexität und hohe Anforderungen an konstruktives Zusammenwirken. Hier können wir sicherlich besser werden und müssen aufpas­ sen, dass wir komplexe Dinge nicht zu komplizierten Dingen machen. Wir müssen die Stärken des Föderalismus nutzen, zum Beispiel durch Arbeitsteilung, Pilotierung alternativer Lö­ sungsmodelle und Ausschöpfen des unglaublich reichen Erfah­ rungsschatzes. Gleichzeitig müssen wir uns klar werden, dass Mammutvorhaben – wie die Digitalisierung – nur gemeinsam und koordiniert erfolg­ reich sein können. Und das meine ich auch im Sinne der verfas­ sungsrechtlich verankerten Schaffung von „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“. Wenn wir die Stärken des Föderalismus aus­ spielen, kann erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung einen enor­ men Beitrag dazu leisten, dass Menschen überall in Deutschland einen leistungsfähigen, modernen Staat erleben. Verstehen wir diese aber nicht zu nutzen und interpretieren Föderalismus im Sinne eines Klein-Klein und jeder für sich, verspielen wir nicht Marc Reinhardt, Vizepräsident der Initiative D21 Die Verwaltung muss die kritischen Entscheidungen in der Hand behalten Marc Reinhardt © Weinhold/LUMENTIS dbb magazin | Dezember 2021 14 FOKUS INTERVIEW

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