dbb magazin 11/2021

interview Dr. Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates (NKR) Gesetze müssen praxistauglich sein dbb magazin Vor wenigen Tagen wurde – quasi zum Ende Ihrer Amtszeit als Vorsitzender des Normen­ kontrollrates – Ihr Buch „Büro­ kratie, Regulierung, Verwal­ tung in der Krise – Update für Deutschland“ vorgestellt. Welche Bilanz ziehen Sie nach 15 Jahren? Welche Updates braucht die Bundes­ republik? Festzuhalten ist, dass die erste Große Koalition unter Führung von Angela Merkel mit der Einrichtung des Nationalen Normenkontrollrates im Jahr 2006 einen wichtigen, mutigen Schritt gemacht hat. Denn die Einsetzung eines politisch un­ abhängigen Gremiums, das den regierungsinternen Ge­ setzgebungsprozess begleitet und im Blick auf die Berech­ nung gesetzliche Folgekosten kontrolliert, war etwas Neues, das etwa bei den Fachbeamten in den Ministerien nicht gerade auf große Begeisterung gesto­ ßen ist. Fortan musste darge­ legt werden, welche Kosten mit einem Gesetzentwurf ver­ bunden sind. Erst nach Einho­ lung der Stellungnahme des NKR konnte ein Gesetzentwurf im Bundeskabinett beschlos­ sen werden. So waren Regie­ rung und Parlament erstmals in der Lage, informierte Ent­ scheidungen zu treffen. Dieser Mut zur Transparenz gesetzlicher Folgekosten hat sich ausgezahlt. Mit der inzwi­ schen selbstverständlichen Kostentransparenz für jeden Gesetzesentwurf, mit der „One in, one out“-Regel zur erfolgrei­ chen Begrenzung gesetzlicher Folgekosten für Unternehmen und mit der systematischen Ex-post-Evaluierung aller we­ sentlichen gesetzlichen Rege­ lungen hat Deutschland in Europa heute ein echtes Allein­ stellungsmerkmal erreicht. Auch in der Verwaltung hat ein Umdenken begonnen. Jedem Ministerialbeamten ist heute bewusst, dass die Folgen eines Regelungsvorhabens darge­ stellt und begründet werden müssen. Gleichzeitig spüren wir im NKR die enormen Herausfor­ derungen, vor denen Deutsch­ land steht. Spätestens seit der Flüchtlingskrise und der Coro­ na-Pandemie hat das Bild eines gut organisierten und gut re­ gierten Landes Risse bekom­ men. Angefangen bei der Digi­ talisierung der öffentlichen Verwaltung über die konkreten Abstimmungsprozesse zwi­ schen Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen bis hin zu Infrastrukturvorha­ ben und den zugehörigen Ge­ nehmigungsverfahren – all die­ se Beispiele haben uns in den vergangenen fünf Jahren mehr als deutlich gemacht, dass Deutschland für die Zukunft nicht gut gerüstet ist. Staat und Verwaltung müssen um­ fassend modernisiert werden. Der NKR hat wiederholt hervor­ gehoben, dass die frühzeitige Einbindung von Verbänden und Vollzugsebenen zentral für eine bessere und praxistaugliche Rechtsetzung ist. Was muss hier in der neuen Legislaturpe­ riode konkret passieren? Brau­ chen wir einen „Praxistauglich­ keitstest“ für Gesetze? Zu viele, auch bedeutsame Gesetzesvorhaben wurden in dieser Legislaturperiode im Eil­ verfahren abgestimmt, ohne Betroffene und Vollzugsbehör­ den angemessen einzubezie­ hen. Fachkenntnis und Praxis­ < Johannes Ludewig © Bundesregierung/Steffen Kugler 14 dbb > dbb magazin | November 2021

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