dbb magazin 6/2021

leserbrief Model Foto: Sergiy Akhundov/Colourbox.de Sehr geehrter Herr Gernet, mit großem Interesse haben wir Ihren Brief zur Kenntnis genommen und wollen nun gerne näher darauf eingehen. Auch wenn sich aus den Zah- len (offizielle Zahlen des Bun- deswahlleiters) rein rechne- risch keine Ungerechtigkeit ergibt, sehen wir, dass Ent- scheidungen über die Zukunft unserer Gesellschaft verstärkt ältere Menschen treffen. Mit der Wahlalterabsenkung be- kommen junge Menschen die Möglichkeit, aktiv über ihre Zukunft mitzubestimmen, zu- mal die meisten politischen Entscheidungen weitreichen- de Folgen haben und zum Teil nicht zurücknehmbar sind. Ohne eine Absenkung müssen Jugendliche in ihrem späteren Leben die Konsequenzen von Entscheidungen tragen, an denen sie nicht teilhaben konnten. Sie sehen einen inneren Zu- sammenhang zwischen Wahl- alter und Volljährigkeit. Das muss jedoch nicht sein, wie zwei Beispiele zeigen. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten darf man mit 18 Jahren wäh- len, ist jedoch erst mit 40 Jah- ren wählbar. Auch fielen akti- ves, passives Wahlrecht und Volljährigkeit in der Bundesre- publik Deutschland bis Anfang der 70er-Jahre auseinander. 1970 wurde das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre abgesenkt. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte man erst mit 25 selbst zum Abgeordneten gewählt wer- den. Erst 1975 wurde die Voll- jährigkeit von 21 auf 18 Jahre abgesenkt. Somit fielen für ei- nige Jahre Wahlalter und Voll- jährigkeit auseinander. Das Wahlalter ist an sich nichts Unveränderbares. Eine Anpas- sung darf jedoch nicht rein willkürlich geschehen. Das wäre der Fall, wenn sicher wäre, dass Jugendlichen für eine Wahlentscheidung die notwendige Reife fehlt. Das sehen wir und aktuelle Studien (beispielhaft „Wählen mit 16: Ein empirischer Beitrag zur De- batte um die Absenkung des Wahlalters“ von T. Faas und A. Leininger) jedoch anders. Diese belegen, dass das politi- sche Interesse von 15-, 16-, 18- und 24-Jährigen sich extrem ähnelt. Somit ist es nur richtig, über eine Absenkung des Wahlalters zu diskutieren. Abschließend noch zu unserer Motivation. Ja, wir unterstüt- zen Forderungen nach einem Wahlalter ab 16. Nicht um die Anliegen einzelner politischer Gruppierungen zu fördern, sondern weil die Jugend selbst ihre Zukunft gestalten können soll. Vielleicht ist es an der Zeit, jungen Menschen etwas mehr zuzutrauen und sie aktiver in Entscheidungsprozesse einzu- binden. Das hat vor 50 Jahren ja auch ganz gut geklappt. Viele Grüße, Ihre dbb bundesjugendleitung E s ist das gute Recht der dbb Bundesjugendleitung als „Lobbyorganisation“ Fürspre­ cher ihrer Klientel zu sein. Dann aber bitte mit einer sachlichen inhaltlichen Begründung. Fangen wir mit dem Zuschnitt der Altersgruppen 18 bis 30 und 60+ an. Da die aktuell noch im Berufsleben stehen­ den Personen heute schon bis zum 66. Lebensjahr arbeiten dürfen, wäre die Zahl „60“ er­ klärungsbedürftig, was fehlt. Geht man von den vorgegebe­ nen Zahlen aus, so umfasst die erste Gruppe 13 Jahrgänge, die zweite dagegen 21 Jahrgänge. Dabei gehe ich von der statisti­ schen Lebenserwartung laut Statistischem Bundesamt aus. Dass die zweite Gruppe also wesentlich größer ist, er­ schließt sich jedem, der die Grundrechenarten beherrscht. (…) Es stellt also keine Unge­ rechtigkeit dar, ersetzt kein in­ haltliches Argument, sondern ist einfach nur logisch. Im zweiten Fragenkomplex sollte man sich mal mit den verschiedenen Altersgrenzen beschäftigen, die unser Recht kennt: Rechtsfähigkeit, De­ liktsfähigkeit, Volljährigkeit und Strafmündigkeit. Die Voll­ jährigkeit setzt mit 18 Jahren ein. (…) Schon diese Grenze könnte man kritisch hinterfra­ gen, weil die Lebenswirklich­ keit zeigt, dass viele in diesem Alter noch gar nicht in der Lage sind, die wirtschaftlichen Fol­ gen ihrer Entscheidung auch zu tragen. Trotzdem ist die Forde­ rung der dbb jugend, bereits 16-Jährigen politische Einfluss­ nahme auf unsere Parlamente einzuräumen. Damit kommen wir zur Motiva­ tion derer, die diese Altersgren­ ze weiter herabsetzen wollen. Es ist ein Merkmal der Jugend, das Bestehende infrage zu stel­ len und für Veränderung zu sein, wobei Veränderung an sich noch kein Wert ist. Deshalb sollte man einmal das Augenmerk darauf richten, welche politischen Gruppierun­ gen sich von der Realisierung dieser angeblich überparteili­ chen Initiative einen Vorteil versprechen könnten! (…) Mit kollegialem Gruß Harald Gernet, seit 54 Jahren komba Mitglied Leserbrief zum Beitrag der dbb jugend bund „Wahlrecht mit 16“, dbb magazin, Ausgabe April 2021, Seite 40 29 > dbb magazin | Juni 2021

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