dbb magazin 6/2021

blickpunkt schen Entwicklung aber hoff­ nungslos hinterher, bestätigte auch Jungwirth: „Es liegt daran, dass das ganze Prozedere ein Flickenteppich ohne schlüssiges Gesamtkonzept ist. Solange das nicht stattfindet, kann das nicht funktionieren.“ Beim Di­ gitalfunk sei zum Beispiel auf das falsche Pferd gesetzt wor­ den, Diensthandys erfüllten höhere Anforderungen an den Datenschutz als an die ermitt­ lungstechnische Praxis, und Ta­ blets kenne die Polizei nicht. „Wenn ich dann noch vier ver­ schiedene inkompatible Syste­ me bedienen muss, um eine Strafanzeige aufzunehmen und zu verarbeiten, sieht man, wo wir bei der Digitalisierung ste­ hen.“ Aus der Not heraus wür­ den Kolleginnen und Kollegen dann zum Privathandy greifen, was ernsthafte dienstrechtliche Konsequenzen haben könne. < Technik ohne Personal nutzlos Die Polizei leide aber nicht nur am technischen Rückstand, son­ dern auch am personellen, er­ gänzte Kusterer. IT-Fachleute seien teuer, die Bezahlungsstruk­ turen nicht auf deren finanzielle Erwartungen ausgelegt. „Be­ sonders in Ballungsräumen ist das ein Problem. Die großen Wirtschaftsunternehmen in Baden-Württemberg bezahlen ganz andere Hausnummern als die Polizei, und es ist eng be­ grenzt, was man über Zulagen regeln kann.“ Daher müsse be­ sonders im Tarifbereich der Poli­ zei viel mehr Luft nach oben geschaffen werden, um zumin­ dest mit dem Beamtenbereich konkurrieren zu können. „Von Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Wirtschaft wage ich da gar nicht zu reden.“ Dem pflichtete auch Oliver Auras, Erster Kriminalhaupt­ kommissar und stellvertreten­ der Landesvorsitzender der DPolG, bei: „Die ganze Technik nutzt ohne Personal nichts, Personalgewinnung ist ent­ scheidend.“ Dabei sei echte Cy­ berkriminalität nur ein Aspekt einer Fülle polizeilicher Aufga­ ben. „Letztlich steht Personal­ gewinnung bei zeitgemäßen Aufstiegschancen und einer angemessenen Vergütung als wichtigste Ressource ganz oben auf meiner Wunschliste, dann sollten wir über Technik sprechen, denn technisch sind wir noch in der Steinzeit. Es werden digitale Spitzenleis­ tungen gefordert, die wir mit Hammer und Meißel umsetzen müssen. Außerdem leiden wir unter einer Vorschriftenflut, die kaum noch zu bewältigen ist.“ Die Probleme betreffen auch Kolleginnen und Kollegen, die während der Pandemie öfter von zu Hause aus arbeiten. „Auch hier war die Polizei sehr schlecht aufgestellt. Zu viele Kann-Regelungen im Arbeits­ schutz waren nur unzurei­ chend umsetzbar und auch die technischen Voraussetzungen waren oft nicht ideal für die mobile Arbeit“, bestätigte Ed­ mund Schuler, Tarifbeschäftig­ ter bei der Polizei und stellver­ tretender Landesvorsitzender der DPolG. Auch Schuler wuss­ te darüber hinaus von techni­ schen Defiziten bei der tägli­ chen Arbeit zu berichten. „Bei uns wurde eine falsche Soft­ ware für das Zeitmanagement eingesetzt. Die zahlreichen Softwarefehler mussten alle mit viel Manpower vom Voll­ zugs- und Verwaltungsperso­ nal behoben werden. Die Soft­ ware war monatelang nicht vernünftig nutzbar.“ „Die Polizei soll dieses Land schützen, muss aber auf veral­ tete Technik vertrauen. Was das angeht, sind selbst einige Schwellenländer besser aus­ gestattet. Da stimmt etwas nicht“, stellte dbb Chef Ulrich Silberbach klar. „Wir verlangen, dass die Beschäftigten für die Innere Sicherheit sogar ihr Leben riskieren sollen, sind aber nicht einmal bereit, de- ren Selbstschutz zu garantie­ ren.“ Silberbach kritisierte, dass es immer schwerer werde, Poli­ tik und Bevölkerung – trotz al­ ler TV-Berichterstattung und zahlreicher Talkshows zur Si­ cherheitsthematik – zu bewe­ gen, die desolate Situation bei der Polizei im operativen Bereich wirklich wahrzuneh­ men. „Wir müssen die Politik drängen, dass sie über ihre Sonntagsreden hinaus für gute Sicherheitsbedingungen sorgt. Deshalb sollten wir jetzt im Superwahljahr auf den Tisch klopfen und deutlich sagen, dass dieses Land täglich ein Stück mehr verroht.“ Die an Einsatzkräften verübten Gewalttaten würden nicht nur immer grässlicher, sondern auch zahlreicher: „Doch bisher finden wir leider nicht das Ge­ hör, dass unsere Kolleginnen und Kollegen eigentlich ver­ dient haben“, sagte Silberbach. < Nicht jedes Radiergummi ausschreiben Der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt stellte seine Wertschätzung für die Kollegen aus Baden-Württemberg an den Beginn seines Eingangs­ statements. „Du diskutierst heute mit Vertretern des Lan­ desverbandes Baden-Württem­ berg. Das ist nicht nur der mit­ gliederstärkste, sondern auch der erfolgreichste Landesver­ band der DPolG, mit hohen Zu­ wachsraten und abenteuerlich guten Ergebnissen bei den Per­ sonalratswahlen. Die Bäume wachsen gewerkschaftlich nicht überall in den Himmel – in Baden-Württemberg schon“, wandte sich Wendt augenzwin­ kernd an den dbb Chef. Wendt lobte aber auch das große En­ gagement, mit dem sich der dbb allen Themen der Inneren Sicherheit zuwende und, dass „die Befindlichkeiten der Kolle­ ginnen und Kollegen bei der Polizei ihm ganz besonders am Herzen liegen“. „In einer direkten Konkurrenz­ situation in den Dienststellen werden wir es nicht durchhal­ ten, dass wir IT-Spezialisten weit besser bezahlen, um sie überhaupt einstellen und spä­ ter halten zu können. Wir müs­ sen Polizistinnen und Polizisten < Wie hier in Nordrhein-Westfalen sind auch in Baden-Württemberg speziell auf die Polizei angepasste iPhones im Einsatz. © Jochen Tack © Polizei NRW 27 dbb > dbb magazin | Juni 2021

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==