dbb magazin 9/2020

interview für alle. Dafür bedurfte es ei- nes breit getragenen Kompro- misses, der vieles leistet. Das ist gelungen. Die Energieunter- nehmen stellen den Kohleaus- stieg nicht mehr infrage. Die Menschen, die heute noch von der Kohle leben, bekommen eine neue Perspektive. Und in den kommenden Jahren wer- den wir mehrfach prüfen, ob Braunkohlekraftwerke schnel- ler vom Netz können. Wichtig ist: Wer Nein zu Atom und Kohle sagt, muss ganz klar Ja zu Strom aus Wind und Sonne sagen. Der öffentliche Dienst ist der größte Arbeitgeber Deutsch- lands, hat viele Liegenschaften und eine große Fahrzeugflotte. Welchen Beitrag kann er beim Umwelt- und Klimaschutz leis- ten? Und wo kann der öffent­ lichen Dienst noch „grüner“ werden? Ich will Ihnen drei Punkte nen- nen. Erstens die Beschaffung: Die öffentliche Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen kauft jährlich für geschätzte 500 Milliarden Euro pro Jahr ein. Dabei geht es um IT und Ausstattungen wie Möbel oder Kleidung bis hin zum Kantinen- essen. Das ist ein großer Hebel, den wir für den Umwelt- und Klimaschutz nutzen können. Die öffentlichen Verwaltungen können eine Vorreiterrolle ein- nehmen, indem sie sich dabei für umweltverträgliche Pro- dukte entscheiden. Eine gute Orientierung dafür ist zum Bei- spiel das Umweltzeichen „Blauer Engel“. Ein zweiter Punkt ist die ener- getische Sanierung der öffent- lichen Gebäude, von Ministe­ rien über Universitäten und Schulen bis hin zu Zollverwal- tungen oder Polizeidienststel- len. Und drittens der Bereich Mobilität: Hier steht die Um- stellung der Fuhrparke auf emissionsfreie Antriebe an; für Dienstreisen innerhalb Deutschlands haben wir im BMU schon vor Corona den Vorrang der Bahnbenutzung vor dem Flugzeug mit spürba- rem Erfolg umgesetzt. Die pan- demiebedingte Umstellung auf Videotechnik und Hybridfor- mate für Besprechungen und Veranstaltungen wird Dienst- reisen dauerhaft im großen Umfang entbehrlich machen. Die Bonn/Berlin-Diskussion, mit dem finanziell ohnehin abenteuerlichen Ansinnen ei- nes Umzugs der noch in Bonn verbliebenen Ministeriumsteile nach Berlin, hat sich durch die- se Entwicklung übrigens end- gültig erledigt. Für den Bund haben wir eine Vorreiterrolle und das Ziel ei- ner klimaneutralen Bundes­ verwaltung bis 2030 explizit im Klimaschutzgesetz fest­ geschrieben, auch in einigen Bundesländern und Kommu- nen ist dies teilweise rechtlich verankert. Umwelt- und Klimaschutz ist immer auch eine Frage der Re- gulierung. Aber auch das beste Regelwerk hilft nicht, wenn die Einhaltung nicht kontrolliert wird. Sind die Verwaltungen dafür personell gut aufgestellt? Wo sehen Sie zusätzlichen Bedarf? Den konkreten Personalbedarf im Vollzug kennen natürlich die Länder besser, aber in einigen Bereichen gibt es sicher noch klare Defizite. Neben Überwa- chung und Kontrolle betrifft dies auch Planung und Geneh- migung, wo es insbesondere aufgrund von Personalmangel teilweise sehr lange Verfahren gibt. Auch hier brauchen wir dringend mehr Personal, zum Beispiel für schnellere Verfah- ren bei der Energiewende. Auch im Naturschutz ist es si- cher richtig, dass das beste Re- gelwerk nicht hilft, wenn die Einhaltung nicht kontrolliert wird. Ebenso wichtig ist aber auch die fachliche Beratung und die Überzeugungsarbeit bei Betroffenen – auch dafür ist eine personell gut ausge- stattete Naturschutzverwal- tung wichtig. Auf Bundesebene ist die vorhandene Personal- ausstattung nicht bedarfs­ deckend. Für die Umsetzung des Naturschutzrechts sind allerdings ganz überwiegend Länder und Kommunen zustän- dig. Hier ist die Situation zum Teil noch deutlich prekärer. Was den Klimaschutz angeht, macht mein Ministerium den Kommunen seit vielen Jahren ein besonderes Angebot: Wir fördern Klimaschutz­ manager*innen in bislang rund 840 Kommunen. Sie ver- ankern den Klimaschutz auf allen Ebenen der Verwaltung und initiieren eigene Projekte. Steigende Mieten nach ener- gieeffizienter Sanierung; höhe- re Lebensmittelpreise durch neue Auflagen in der Produkti- on: Viele Maßnahmen für den Umweltschutz machen Produk- te für Bürgerinnen und Bürger teurer, das trifft besonders Geringverdiener. Wie können Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden? Letztlich sind es die Ärmsten, die unter Umweltbelastungen am stärksten leiden. Darum hat Umweltschutz immer auch eine soziale Dimension. Aber auch die notwendigen Fort- schritte beim Klimaschutz werden nur gelingen, wenn wir sie sozial gerecht gestalten. Das ist ein wichtiger Kompass für meine Arbeit. Mit dem Konjunkturprogramm ist es uns beispielsweise gelun- gen, Klimaschutz und Soziales zusammenzubringen mit zwei neuen Förderprogrammen mit einem Gesamtvolumen von 350 Millionen Euro: Mit dem Programm „Sozial und Mobil“ können soziale Dienste ihre Flotten auf Elektromobilität umstellen und mit Mitteln für „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ helfen wir Letz- teren, sich gegen die bereits spürbaren Folgen des Klima- wandels zu wappnen. Damit helfen wir nicht nur dem Kli- ma, sondern auch denen, die in der Corona-Krise viel geleis- tet haben. << Svenja Schulze . . ist seit März 2018 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Von 2010 bis 2017 war sie in Nordrhein- Westfalen Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung. Die gebürtige Düsseldorferin hat einen Magisterabschluss der Uni- versität Bochum in Germanistik und Politikwissenschaften. Sie ist seit 1988 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und war in Nordrhein-Westfalen politisch unter anderem als SPD-Generalsekretärin (2017 bis 2018), Abgeordnete des Landtags und Juso-Landesvorsitzende (1993 bis 1997) aktiv. 5 dbb > dbb magazin | September 2020

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