dbb magazin 3/2020

arbeitnehmerrechte << Vorsorge- und regelmä- ßige Untersuchungen Ärztliche, zahnärztliche oder Krebsvorsorgeuntersuchungen dienen der Vorbeugung und Er- haltung der Gesundheit. Sie sind notwendig, jedoch meistens nicht akut. Somit fehlt für den Freistellungsanspruch das Erfor- dernis der Dringlichkeit. Es kann daher bei solchen Untersuchun- gen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erwartet werden, dass sie die Termine in ihrer Freizeit wahrnehmen. Auch längere Wartezeiten auf Termine können in diesem Fall nicht als Argument geltend ge- macht werden. Selbst ein Tag Urlaub wird für solche Untersu- chungen als rechtlich zumutbar angesehen. Eine Ausnahme stel- len dabei jedoch Vorsorgeunter- suchungen bei Schwangeren dar. Das Mutterschutzgesetz regelt diesen Freistellungsan- spruch für Vorsorgeuntersu- chungen mit entsprechender Entgeltfortzahlung. << Länger andauernde Behandlungen Bei Behandlungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und regelmäßig wiederkehren, gilt Folgendes: Die Abwesenheitszeiten wäh- rend der regulären Arbeitszeit sollten sich nicht summieren, da sie sonst als erheblich im Sinne des § 616 BGB angesehen werden könnten. Patientinnen und Patienten sollten auch hier bemüht sein, Termine außer- halb der Arbeitszeit zu verein- baren. Typische Beispiele für Behandlungen, die mit einer Vielzahl von Terminen einher- gehen, sind Physiotherapien, Psychotherapien oder Hypo- sensibilisierungen bei Allergien. << Arbeitnehmerpflichten Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer verpflichten sich gegenüber ihren Arbeitgebern zur Leistungstreue. Das heißt, sie müssen alles unterlassen, was dem Zweck des Arbeitsver- hältnisses entgegensteht oder den Leistungserfolg beein- trächtigt. Dazu zählen auch Arztbesuche, die nicht von der erforderlichen Dringlichkeit ge- deckt sind. Sie sind deshalb grundsätzlich zu vermeiden und Beschäftigte sind in der Pflicht, die Arzttermine mög- lichst so zu legen, dass die Ar- beitgeberseite nicht belastet wird. In jedem Fall sind die Ar- beitgeber vor dem Termin zu informieren. Wird die Informa- tionspflicht verletzt, droht eine Abmahnung und imWiederho- lungsfall sogar die Kündigung. Die Leistungstreuepflicht darf jedoch nicht zulasten der Gesundheit der Beschäftigten gehen. Die Rechtsprechung nimmt insoweit Rücksicht auf den Konflikt von Beschäftig- ten, die weder ihre Arbeitgeber schädigen noch ihre Gesund- heit gefährden möchten, in- dem sie auf einen Arztbesuch verzichten. Nach Auffassung des BAG dürfen sich Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer in diesem Konfliktfall für die me- dizinische Betreuung entschei- den (Entscheidung des BAG vom 29. Februar 1984, Az.: 5 AZR 92/82). << Ärztliche Bescheinigung Beschäftigte sollten sich zu ih- rer eigenen Absicherung stets eine ärztliche Bescheinigung darüber ausstellen lassen, dass ein Arzttermin außerhalb der Arbeitszeit nicht möglich war. Damit befinden sie sich auf der sicheren Seite, falls die Arbeit- geberseite einen ärztlichen Nachweis darüber fordert, dass demWunsch auf Verlegung des Termins nicht entsprochen wer- den konnte. Eine Bescheinigung sollte auch über die Dauer der Anwesenheit in der Praxis aus- gestellt werden, um genaue Ab- wesenheitszeiten rechtfertigen und dokumentieren zu können. << Tarifrechtliche Bestimmungen Spezielle Regelungen können in Tarifverträgen zwischen den Tarifparteien vereinbart wer- den. Sie dürfen nach der Recht- sprechung des BAG auch für Beschäftigte schlechter sein. So könnte also in einem Tarif- vertrag bestimmt werden, dass Arztbesuche während der Ar- beitszeit nicht vergütet wer- den (Entscheidung des BAG vom 25. April 1960, Az.: 1 AZR 16/58) oder die Entgeltfortzah- lungspflicht der Arbeitgeber für Arztbesuche während der Arbeitszeit davon abhängig ge- macht wird, dass der Arztbe- such zu der festgelegten Zeit medizinisch unvermeidbar ist. Außerdem können zeitliche Höchstgrenzen vereinbart wer- den. Oftmals ist eine Abwesen- heit bis zu maximal vier Stun- den geregelt. Der Tarifvertrag für den öffent- lichen Dienst (TVöD) regelt bei- spielsweise in § 29 die Voraus- setzungen der bezahlten Frei- stellung von der Arbeit. Aufge- führt sind dort unter anderem die Geburt eines Kindes, der Tod naher Angehöriger oder ein Umzug. Der Buchstabe f beinhaltet die Freistellung im Fall ärztlicher Behandlung von Beschäftigten, wenn diese wäh- rend der Arbeitszeit erfolgen muss. Dieser Begriff umfasst ärztliche Versorgungen wie Un- tersuchungen samt Diagnose­ stellung oder Therapie. Dabei kommt es entscheidend auf die Dauer der Behandlung an. Sie darf nur eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit umfassen. Eine mehrwöchige Kur oder sta- tionäre Maßnahme fällt des- halb nicht in den Anwendungs- bereich. Grundsätzlich gilt auch hier, dass Betroffene zunächst bemüht sein müssen, Termine außerhalb ihrer Arbeitszeit wahrzunehmen. Insbesondere müssen die Möglichkeiten der Gleitzeitgestaltung ausge- schöpft werden. Nach ständi- ger Rechtsprechung des BAG liegt eine Notwendigkeit des Arztbesuchs in den Fällen vor, in denen Erkrankte keinen Ein- fluss auf die Termingestaltung haben, weil Ärzte den Zeit- punkt bestimmen. Nur wenn die Bemühungen nicht zum Erfolg führen, besteht ein An- spruch auf Freistellung unter Fortzahlung des Entgelts. Das- selbe gilt auch für die Beschäf- tigten, die auf Grundlage des Tarifvertrages für die Länder (TV-L) angestellt sind. Im Beamtenrecht ergeben sich identische Grundsätze aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 78 Bundesbeamtengesetz, § 45 Beamtenstatusgesetz). << Tipps für die Praxis Beschäftigte müssen sich grundsätzlich ernsthaft bemü- hen, Arztbesuche außerhalb ihrer täglichen Arbeitszeit wahrzunehmen. Dies gilt ins­ besondere für Beschäftigte mit Gleitzeitmodell. In akuten Fäl- len kann davon abgewichen werden. Dann steht ihnen ein Entgeltfortzahlungsanspruch zu. Gleiches gilt, wenn Ärzte keine Rücksicht auf Terminwün- sche nehmen. Eine ärztliche Be- scheinigung ist in jedem Fall zu empfehlen. Wer sich nicht be- müht, einen Arzttermin außer- halb der Arbeitszeiten zu ver- einbaren, geht das Risiko einer Vertragsverletzung ein und muss mit entsprechenden Kon- sequenzen, zum Beispiel einer Abmahnung, rechnen. © Colourbox.de/Kzenon 33 dbb > dbb magazin | März 2020

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