dbb magazin 1-2/2020

die andere meinung << Der Autor ... ... Günther M. Wiedemann arbeitet als freier Journalist. Die Beobachtung der Ge­ werkschaften ist dabei seit vielen Jahren sein Arbeits- schwerpunkt. © Colourbox.de Das gelingt nicht vielen: Den eigenen „Verein“ schlechtreden und dafür dann sogar Lob statt Tadel ernten aus den eigenen Reihen. Der Vor- sitzende von dbb beamtenbund und tarifunion beherrscht diese seltene Kunst. Weil er den pas- senden Ton und die richtige Stimmungslage trifft bei seiner Zustandsbeschreibung des öffentlichen Dienstes. Der ist für ihn ein Sanierungsfall. Ulrich Silberbach wählt schon seit Längerem drastische Wor- te, wenn er die Situation in Be- hörden und staatlichen Betrie- ben beschreibt. Inzwischen spricht er sogar davon, dass „der Staat immer häufiger ver- sagt“. Eines seiner Beispiele: Tatverdächtige werden aus der U-Haft entlassen, weil Gerich- te wegen Personalmangels nicht fristgerecht Prozesse starten können. Unakzeptabel. Der dbb Vorsitzende greift mit seiner Zustandsbeschreibung geschickt die Einschätzung in der Bevölkerung auf. 60 Prozent halten den Staat bei der Erfül- lung seiner Aufgaben für über- fordert. Für Silberbach „ein alar- mierendes Anzeichen für den Vertrauensverlust in die Leis- tungsfähigkeit unseres Staates“. Kein Staatsdiener muss des- halb jedoch das Gefühl haben, er persönlich werde kritisiert für unzureichende Leistung. Der Schwarze Peter landet bei der Politik, die, so der Vorwurf, den öffentlichen Dienst mit der Rotstift-Politik in diese missli- che Lage gebracht hat. Natürlich kann manches besser werden im öffentlichen Dienst. Baugenehmigungen dauern viel zu lange. Steuerbescheide ver- steht Otto Normalverbraucher schon lange nicht mehr. Mehr Personal in Kindergärten, Schu- len oder Kliniken wäre auch gut. Gleichwohl bewegt sich Ulrich Silberbach mit seiner These vom Sanierungsfall auf dün- nem Eis. Unterm Strich sind die staatlichen Dienstleistungen in der Regel besser als es dieses Etikett umschreibt. Das weiß keiner so gut wie der dbb Vor- sitzende. Denn er sagt auch: „Deutschlands öffentlicher Dienst ist einer der besten in der ganzen Welt.“ Deshalb stellt sich die Frage: Was treibt ihn zu diesem et- was einseitigen Bild? Die Ant- wort ist simpel: Im Herbst ste- hen Tarifverhandlungen an für die 2,7 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen. Es gehört zum taktischen Hand- werkszeug guter Unterhändler, vor Beginn solcher Runden für ein Klima zu sorgen, welches es erleichtert, Forderungen durch- zusetzen. Der dbb Vorsitzende erklärt den öffentlichen Dienst noch aus einem zweiten, strategi- schen Grund zum Sanierungs- fall, der er so noch nicht ist. Er will mit der Überzeichnung verhindern, dass die von ihm beschriebene punktuelle Situa- tion Allgemeinzustand wird. Es geht um eine langfristige Kon- zeption für den öffentlichen Dienst. Diese Debatte muss in der Tat geführt werden. Das vom dbb vorgelegte Thesenpa- pier „Aufbruch. Der öffentliche Dienst der Zukunft“ ist dafür eine gute Ausgangsbasis. Es sind vor allem zwei Heraus- forderungen zu meistern: De- mografie und Digitalisierung. Beide sind durchaus in einem engen Zusammenhang zu se- hen. Alle Arbeitgeber leiden darunter, dass im neuen Jahr- zehnt die Babyboomer in den Ruhestand gehen und zahlen- mäßig deutlich kleinere Jahr- gänge ins Arbeitsleben star- ten. Schon heute fehlen in Bund, Ländern und Kommunen nach dbb Ermittlungen über 300 000 Mitarbeiter. Der öf- fentliche Dienst muss deshalb als Arbeitgeber attraktiver werden, wenn er imWettstreit um die Arbeitskräfte von mor- gen nicht hoffnungslos unter die Räder kommen will. Junge Menschen, die privat mit modernster Technik in der digi- talen Welt unterwegs sind, die gewinnt man nicht für Jobs mit antiquierten Arbeitsmitteln und rückständigen Arbeitsab- läufen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Öffentliche Ar- beitgeber müssen so modern aufgestellt sein, dass ihre Ar- beitsplätze begehrt sind. Bei der Digitalisierung hinkt der Staat aber trotz vieler schö- ner Sonntagsreden der Politik noch viel zu weit hinterher. „Wir sind Entwicklungsland“, analysiert Ulrich Silberbach zu- treffend. Die jetzt in der Dis- kussion befindliche Gründung eines Bundesministeriums für Digitalisierung wird daran we- nig ändern. Ein Wasserkopf hilft nicht, wenn es an der Basis stockt. Es ist erschreckend, wie weit die Kommunen im Rück- stand sind bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes von 2017. Hier ist mehr Tempo nötig. Denn eine digitale Ver- waltung kann Arbeitskräfte einsparen und Mitarbeitern Freiräume schaffen für Kun- denbetreuung. Keiner weiß dies besser als die Beschäftigten. Deshalb ist es gut, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer, Ulrich Silber- bach und Verdi-Chef Frank Wer- neke einen Tarifvertrag Digitali- sierung abschließen wollen. Kommunen und Länder müssen mit ins Boot. Der Vertrag muss die Weiterbildung für die digita- le Arbeitswelt regeln und den Rahmen für mobiles Arbeiten (Homeoffice) abstecken. Damit kann der Staat Vorreiter werden bei der Vereinbarkeit von Fami- lie und Beruf – und an Attrakti- vität zulegen. Diese Chance gilt es zu nutzen. Auch im digitalen Zeitalter benötigen Wirtschaft und Gesellschaft einen agilen öffentlichen Dienst. Günther M. Wiedemann Öffentlicher Dienst Vom Sanierungsfall zum Vorbild? 20 > dbb magazin | Januar/Februar 2020

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