dbb magazin 12/2019

portrait Bewährungshelfer Marc-Alexander Seel Ich bin nicht deren Kumpel Bewährungshelfer sind für verurteilte Täter oft das Scharnier zwischen Gefängnis und Gesellschaft. Sie sind zuständig für eine ambulante Resozialisierung und erfüllen somit eine Schlüsselfunktion für den Staat. Jedoch produzieren sie selten große Schlagzeilen, weswegen sie häufig übersehen werden – von der Öffentlichkeit und gelegentlich auch vom Dienstherrn. Auf seinem Schreibtisch hat er einen kleinen Aufsteller plat- ziert. Ein dezentes Schild steht da in Verlängerung der linken Armlehne des Stuhls seiner Probanden mit der Aufschrift „Ich bin nicht unhöflich, ich bin umsichtig“. „Ich bin nicht deren Kumpel“, Marc-Alexander Seel zeigt auf das Schild, „ich gebe zum Bei- spiel auch wenig Persönliches preis.“ Seel ist seit 2011 Be- währungshelfer und weiß da- her, wie wichtig der nötige Ab- stand zu seinen Probanden ist – und wie man ihn hält. Ohne Distanz, so betont der studier- te Sozialarbeiter, gehe es nicht in der Bewährungshilfe. „In manchen Fällen trieft Blut aus der Akte“, schildert er seinen Alltag, „da braucht man den Abstand allein aus Gründen der psychischen Hygiene.“ „Probare ist lateinisch für prü- fen“, sagt Seel – und das ist ge- nau, was er im saarländischen Neunkirchen tut. Er prüft, ob sein Klient die Auflagen auch einhält, die seitens des Ge- richts an ihn gestellt wurden. „Das ist unsere Kernaufgabe“, skizziert Seel sein Berufsbild, „deswegen nennen wir unsere Klienten, also die zu Prüfen- den, eben Probanden.“ 72 dieser Probanden betreut Seel derzeit von seinem Schreibtisch im „Kompetenz- zentrum der Justiz für am­ bulante Resozialisierung und Opferhilfe“, kurz KARO. Die Ar- beitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelfer hat als zu- mutbare Arbeitsbelastung eine Obergrenze von maximal 60 Probanden pro Bewäh- rungshelfer festgesetzt. Den- noch sei gerade „etwas Zeit um Luft zu holen“, meint Seel mit einem verkniffenen Lä- cheln. „Wir hatten auch alle schon bis zu 120 Probanden gleichzeitig pro Betreuer“, sagt er mit Blick auf seine Kollegen. Es sei eben wie überall in der Justiz, fährt Seel fort. Alle Be- rufsgruppen seien überlastet. Daher könne er der zweiten Aufgabe, die der Beruf des Bewährungshelfers mit sich bringt, ab und an nicht so nach- gehen wie er es gerne würde: der Beratung. „Ich habe im Schnitt eine halbe Stunde für ein Gespräch mit jedem Pro- banden“, erklärt der 43-jährige Saarländer, „aber manche ha- ben einen großen Betreuungs- bedarf.“ Gerade Menschen mit sozialen Problemen kämen häufig vorbei, weil sie einen Ansprechpartner brauchen. Oft helfe er auch bei Behördengän- gen oder der Formulierung von Anträgen, weil die Probanden von der deutschen Bürokratie nicht selten überfordert sind. „Es gibt dann auch immer wie- der Fälle, bei denen ich einen Antrag vom Gericht zur Beur- teilung zugeschickt bekomme, den ich vorher selbst geschrie- ben habe – im Beisein meines Probanden“, erzählt Seel. Andere Klienten hingegen be- nötigen viel Kontrolle. „Man- che Probanden entziehen sich der Bewährungsaufsicht“, er- zählt Seel, „oder sie entpuppen sich als notorische Lügner was ihre Lebensführung betrifft.“ Da falle es dann natürlich auch schwerer zu überprüfen, ob die Bewährungsauflagen eingehal- ten oder missachtet werden. << Klare Worte schaffen Kontakt zum Probanden In der Regel allerdings kann Seel die Menschen, die vor ihm sitzen, davon überzeugen, sich ihm anzuvertrauen. „Die meisten“, sagt er, „haben mir gegenüber zumindest ein ein- geschränktes Vertrauen.“ Ge- schuldet sei das nach Seels Ansicht auch der Tatsache, dass er versucht, so transpa- rent wie möglich zu sein. „Ich sage meinen Probanden klar und deutlich, wie ich sie ein- schätze und welche Haltung ich gegenüber ihrem Verhalten und ihrer Tat habe“, betont er. << „Ich sage meinen Probanden klar und deutlich, wie ich sie einschätze und welche Haltung ich gegenüber ihrem Verhalten und ihrer Tat habe“, bringt der studierte Kriminologe und Sozialarbeiter Marc-Alexander Seel auf den Punkt, wie er an seine Aufgaben als Bewährungshelfer herangeht. © Dominique Roth (2) 20 dbb > dbb magazin | Dezember 2019

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