dbb magazin 10/2019

30 Jahre nach der Wende – Geschichtsunterricht am Leipziger Kepler-Gymnasium Seid ihr Ossis? Ortsbesuch im Leipzi­ ger Kepler-Gymnasium: Wir sprechen mit Schü­ lern und Lehrkräften über den Geschichts­ unterricht und ihre Wahrnehmung der DDR 30 Jahre nach der Wende. Gespräch in der Redaktion – eine annäherungsweise Rekon­ struktion: „Ich habe gehört, dass die Schüler und Schülerin­ nen heute kaum noch etwas über die Wende in der Schule lernen. Und das im Jahr 30 nach demMauerfall!“ Eine Kol­ legin entgegnet: „Eine Bekann­ te aus Ostdeutschland hat mir erzählt, sie kenne Jugendliche, die sich heute noch als benach­ teiligte Ossis fühlen, die eh kei­ nen Job finden. Ich hätte nicht gedacht, dass das noch so ist.“ Aber ist das wirklich so? Die Entscheidung ist schnell ge­ troffen. Wir müssen nachfra­ gen. Und zwar bei denen, die es betrifft: Schülerschaft und Lehrkräfte. Schnitt. Wir befinden uns in der Johannes-Kepler-Schule, ein Gymansium im Südwesten Leipzigs. Die Sonne scheint durch die Fenster des Klassen­ zimmers im ersten Stock des zwischen 1904 und 1906 errich­ teten Schulgebäudes. Mit uns am Gruppentisch sitzen die Ge­ schichtslehrerin Eva Jannasch und ihre Kollegen Eric Buch­ mann und Thomas Langer. Mit ihnen Leon und Luise, beide in der Jahrgangsstufe 12, beide im Leistungskurs Geschichte – und beide unter 18 Jahre alt. Deshalb schreiben wir nicht die vollen Namen. Und, seid ihr Ossis? „Das ist nicht meine Wahrnehmung“, sagt Luise. „Also ich fühle mich auch nicht als Ostdeutscher oder irgendwie benachteiligt“, sagt Leon auf die zugespitzte Frage, „eher als Deutscher oder als Sachse oder als Leipziger.“ Er und Luise sind im Jahr 2002 geboren. Die DDR kennen sie nur aus Erzählungen. Den Leis­ tungskurs Geschichte haben sie eher nach Ausschlussprinzip gewählt, erzählen beide. Leon ergänzt, er habe sich aber schon immer für Geschichte interessiert und einmal eine Schularbeit über die Wirt­ schaft in der DDR geschrieben. In der Schule haben sie die DDR behandelt und fühlen sich in­ formiert. „Wir haben mit unse­ ren Eltern oder in der Familie über die Vergangenheit gere­ det, aber da waren jetzt keine großartigen Abweichungen zu dem, was wir in der Schule ge­ lernt haben. Es ging oft um an­ dere Themen“, erzählt Leon. „Naja, und so oft rede ich mit meinen Eltern nicht im Detail über das, was wir in der Schule haben“, sagt Luise. << Von Bürgerkomitee bis „Wendehals“ Neben der Tastatur liegt später beim Verfassen dieses Textes eine Broschüre. Sie beinhaltet ein Lexikon und den Leitfaden für eine Befragung mit Zeitzeu­ gen. Luise und Leon haben mit an der Broschüre gearbeitet. Im Lexikon werden zeitgeschicht­ liche Begriffe wie „Maueröff­ nung“, „40. Jahrestag der DDR“, „Währungsunion“ oder „Das Tian’anmen-Massaker“ behan­ delt. Der Personenteil reicht von Genscher und Gorbat­ schow, Krenz und Kohl, Christi­ an Führer und Kurt Masur bis zu den Bürgerkomitees und dem „Wendehals“. Sie stellt in wenigen Punkten einen Über­ blick über die Geschichte der späten 1980er-Jahre dar. Doch zurück in unser Klassenzimmer: Eva Jannasch war die Ge­ schichtslehrerin der 10 b und hat die Broschüre betreut. „Das Thema DDR wird in der 10. Klasse und in der Sekun­ darstufe II im Grundkurs je ein Mal sowie im Leistungskurs Geschichte drei Mal behan­ delt; innenpolitisch, außen­ politisch und wirtschaftlich“, erzählt sie. „Der Lehrplan gibt in der Be­ handlung der beiden deut­ schen Staaten einige Punkte vor“, sagt Eric Buchmann. „Das sind bei der DDR die Staats­ gründung 1949, der Volksauf­ stand 1953, der Mauerbau 1961. Und dann ist man relativ schnell bei den Problemen der 1980er-Jahre, die zur Wende reportage << Leon << Luise © Jan Brenner (6) 18 dbb > dbb magazin | Oktober 2019

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