dbb magazin 10/2019

blickpunkt Digitalisierung der Verwaltung X-Road to the future – Estland geht online 15 Minuten zur E-Residency, drei Minuten für die E-Steuererklärung, 150 Minuten für die Online- Gründung einer Firma? Estland ist jetzt E-Estonia. Ein Zukunftsmodell auch für Deutschland oder die smarte Selbstvermarktung eines kleinen Landes im Nordbaltikum? 1996 hat die Regierung in Tallinn das Projekt E-Estonia gestartet. Zwei Jahre später waren alle Schulen im Land online. Vor 15 Jahren wurde das „Grundrecht auf Internet“ in der Verfassung verankert. Seit 2005 können die estni­ schen Wähler ihre Stimme per Mausklick abgeben, bei den letzten Europawahlen nutzten 47 Prozent der Bürgerinnen und Bürger diesen Weg. „Fresh Air und Free WiFi“, ver­ sprechen die estnischen Werbe­ broschüren. Angeblich liegt die Abdeckung mit kostenlosem Netzzugang im Land bei 98 Pro­ zent. 99 Prozent aller Bankge­ schäfte, 99 Prozent der ärztli­ chen Rezepte und 95 Prozent aller Steuererklärungen werden über das Internet erledigt. 2002 wurde die ID-Card mit digitaler Signatur und Identifizierungs­ chip eingeführt, die inzwischen 98 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger nutzen. << Schöne, neue Datenwelt Wie funktioniert diese schöne, neue Datenwelt nun aber kon­ kret? Die ID-Karten der Bürge­ rinnen und Bürger sind mit elektronischen Chips versehen, auf denen persönliche Daten und eine individuelle Zahlen­ folge gespeichert sind. Aus der Kombination beider Identifizie­ rungsmerkmale ergibt sich die jeweilige digitale Signatur. In Verbindung mit einer weiteren PIN ermöglicht dieses Siche­ rungssystem den Nutzern den Zugriff auf 99 Prozent aller staatlichen Dienstleistungen. Seit 2007 steht hierfür sogar eine mobile Handy-App zur Verfügung. Die Estinnen und Esten kön­ nen so ziemlich alle alltägli­ chen Behördenkontakte am Bildschirm zu Hause erledi­ gen: Kfz-Zulassung, Wohnort­ wechsel, Steuererklärung, Betriebsgründungen, Bauge­ nehmigungen, Reisedokumen­ te beantragen oder eben die Wahl ihres Parlaments. Die medizinischen Unterlagen und Rezepte der Patienten sind zentral gespeichert und stehen – Genehmigung durch die betreffende Person vor­ ausgesetzt – den behandeln­ den Ärzten oder Apothekern direkt zur Verfügung. Rückgrat und Schlüssel zum Verständnis von E-Estonia ist die „X-Road“, eine staatlich gesicherte Plattform zum Da­ tenaustausch für Bürger, Ver­ waltung und Privatwirtschaft. Die persönlichen Daten wer­ den jeweils immer nur dort gespeichert, wo sie erhoben werden (Once-Only-Prinzip): Personendaten bei den Mel­ destellen, Steuerdaten bei den Finanzämtern, medizinische Informationen beim Hausarzt und so weiter … Solange die Bürgerinnen und Bürger den Zugriff auf ihre Daten für bestimmte Nutzer nicht blocken, können die In­ formationen bei Bedarf von anderen Behörden, Banken, Ärzten oder Versicherungen eingesehen werden. Über alle Zugriffe wird ein detailliertes Logbuch geführt, sodass jeder Este und jede Estin jederzeit nachprüfen kann, wer auf die eigenen Daten Zugriff genom­ men hat. Die baltischen Gesprächspart­ ner sind auf die Einwände der skeptischen Deutschen in Sa­ chen Datenschutz und Cyber­ sicherheit vorbereitet: „Miss­ brauch wird hart bestraft“, erklärt Kristi Kivilo vom Regie­ rungsbüro für Digitale Inklusion. „Da jeder Datenabruf mit der eigenen digitalen ID hinterlegt werden muss, findet man even­ tuelle Missetäter schnell. Das kommt aber so gut wie nie vor.“ << Schutz vor Cyberattacken Zudem, so Tobias Koch vom Showroom E-Estonia, bewache die estnische Data Protection Agency mit über 1000 Cyber- „Polizisten“ die digitalen Netz­ werke. Die Gelassenheit der Esten ist umso erstaunlicher, als ihr Land 2007 Opfer einer ziemlich verheerenden Cyber­ attacke war. Regierung, Parla­ ment und Rundfunk waren << Tobias Koch: Mit Cyberpolizisten schützt sich Estland gegen Hackerangriffe. © dbb (3) 10 > dbb magazin | Oktober 2019

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