dbb magazin 7-8/2019

in eigener sache Die Sprachwissenschaft be­ schreibt ihren Gegenstand unter anderem als in einem stetigen organischen Wandel begriffen, auf den nicht zuletzt die Rahmenbedingungen der sie sprechenden Gesellschaft und natürlich die einzelnen Sprecher selbst entscheiden­ den Einfluss haben. So betrach­ tet kann die deutsche Sprache eigentlich gar nicht vor die viel zitierten Hunde gehen. Alles fließt. Trotzdem erreichen die Redaktion immer wieder Leser­ briefe, deren Autorinnen und Autoren genau das befürchten. Etwa, weil der Einfluss des Eng­ lischen auch vor dem öffentli­ chen Dienst nicht haltmacht. Der Artikel „Hamburg: Digital First“ aus dbb magazin Juni 2019 ist so ein vermeintliches Corpus Delicti – Verzeihung, Latein. Zu viel „Denglisch“ gebe es in der Hamburger Verwaltung und mithin auch in diesem Ar­ tikel. Es würden Worte erfun­ den, die es mit dem gemeinten Inhalt im Englischen gar nicht gebe. Auch der dbb müsse ana­ log zu deutschen Behörden arbeiten, die sich eines guten Schreibstils bemühten und im Einklang mit der reinen deut­ schen Sprache formulierten. Schließlich seien unsere Kun­ den ja ausnahmslos Angehöri­ ge der öffentlichen Verwaltung und damit auch der guten deutschen Sprache verpflich­ tet. Dazu brauche es keine Schlagworte „Digital First“ nach Trumps Muster America First und keinen Chief Digital Officer. Der gesamte Bericht wimmele nur so von völlig un­ nötigen englischen Begriffen. Als Redakteurinnen und Redak­ teure (diese offizielle, auch in den entsprechenden Tarifver­ trägen verwendete Berufsbe­ zeichnung stammt übrigens aus dem Französischen, übernom­ men in unseren Sprachgebrauch etwa zu Beginn des 18. Jahrhun­ derts) stellen wir uns der Aufga­ be, unter Benutzung der jeweils bestmöglichen, treffendsten und einnehmendsten Sprache zu vermitteln: Themen, Ereig­ nisse, Meinungen. Bestmöglich ist Sprache für uns immer dann, wenn „Sender“ und „Empfän­ ger“ auf der gleichen Frequenz unterwegs sind: Wenn der eine versteht, was der andere sagt. Kurz: Sprachwandel ist das Er­ gebnis von Kommunikation. Daher schreiben und sprechen wir heute auch nicht mehr wie in den 50er-Jahren und deshalb gibt es heute auch mehr Angli­ zismen als damals. Englisch zum Beispiel besteht im Vergleich zum Altengli­ schen zu 80 Prozent aus fran­ zösischen Wörtern. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, deswegen die englische Spra­ che in Gefahr zu sehen. Und auch Deutsch ist keinesfalls vom Aussterben bedroht, schon gar nicht durch Anglizis­ men oder „Denglisch“ – deut­ lich mehr Fremdvokabular un­ serer Sprachen kommt immer noch aus dem Griechischen und Lateinischen. Anglizismen sorgen in jüngster Vergangenheit wohl deswegen häufiger für Anstoß, weil in den vergangenen Jahren der größte Einfluss auf die deutsche Spra­ che zweifellos aus dem Engli­ schen kam. Das ist insbesonde­ re auf die vielen Entwicklungen in der Technik, aber ebenso in Wirtschaft und Geschäftsleben, im Sport wie im allgemeinen Lebensstil zurückzuführen. Anglizismen machen Kommu­ nikation im Zeitalter der Glo­ balisierung schlicht einfacher – Englisch ist die führende Ge­ schäfts-, Wissenschafts- und Techniksprache. Und nicht we­ nige Anglizismen sind tatsäch­ lich auch treffender und flotter als die deutsche Sprache – wer will schon in seiner Herren­ unterhose mit kurzem Beinteil (Boxershorts) allein daheim zum Rösten geeignete Weiß­ brotscheiben (Toastbrot) mümmeln, wenn er sich doch einfach schnell die Niethose (Jeans) anziehen und mit sei­ nem Elektrofahrrad (E-Bike) zu seinen Kumpels radeln könnte, die schon gemütlich bei Wacholderbranntwein mit Bitterlimonade (Gin Tonic) und in heißem Öl ausgebackenen Kartoffelscheiben (Chips) zu­ sammensitzen? Gerade im informationstech­ nischen Bereich (IT), aus dem der Magazinbericht stammt, legt man, auch im öffentlichen Dienst, neben der Treffsicher­ heit der Begrifflichkeiten nun auch zunehmend Wert auf ge­ nau diesen Habitus von Spra­ che: Modern, motivierend, animierend, signalisierend: Es geht voran mit der Digitali­ sierung, oder, umständlicher ohne Fremdwortstamm ausge­ drückt, mit der maschinellen Umwandlung von Schriftspra­ che und verschriftlichten Vor­ gängen in Ziffern. Wenn es so funktioniert mit der notwendigen Modernisie­ rung der Verwaltung, wenn mit dieser Sprache Brücken gebaut werden für den so dringend benötigten Berufs­ nachwuchs in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes – dann ist das doch ein sinnvol­ les Mittel zum Zweck, finden wir. Sprache lebt und integriert – Menschen wie Entwicklun­ gen. Wer wollte sich dem ver­ schließen? In eigener Sache Digitale Transformation der Verwaltung trifft auf analoge Transformation der Sprache © Colourbox.de 24 dbb > dbb magazin | Juli/August 2019

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