dbb magazin 9/2021

europa trophenschutz offensichtlich überfordert oder zumindest offenbart, dass die Zusammen­ arbeit über die staatlichen Ebe­ nen hinweg nicht gut genug funktioniert. Die Bundeswehr kann, was ihren Kernauftrag angeht, allenfalls gut planbare Routineaufgaben erledigen. Der Beispiele wären mehr. Diese Missstände haben eine Reihe von Ursachen, die sich kurzgefasst mit ultraliberalen Moden, Stichwort schlanker Staat, und typisch deutschen Obsessionen, Stichwort schwarze Null, beschreiben lassen. Hinzu kommt, dass der deutsche Föderalismus eben nicht nur Stärken hat, beispielsweise mit Blick auf den Wettbewerbsföderalis­ mus, sondern auch Schwächen. Großprojekte wie die Moder­ nisierung der digitalen Infra­ struktur geraten zwischen die Mühlsteine teilzuständiger politischer Ebenen. Wo der deutsche Föderalismus zu Zei­ ten ruhigen und evolutiven Wandels lange systemstabili­ sierend war, scheint er sich an­ gesichts disruptiver Prozesse lähmend auszuwirken. < Reformstau besteht nicht nur im Inland Wie lange es brauchen wird, wie viel Kraft und Geld es kosten wird, die Verwaltung wieder in allen zentralen Auf­ gabenbereichen besser aufzu­ stellen, ist eine offene Frage. Fest steht aber, dass der neue Bundestag, die von ihm getra­ gene parlamentarische Mehr­ heit und die neue Regierung nicht nur Reformstau im Inland auflösen müssen. Denn viele der zu lösenden Aufgaben sind aufs Engste mit europäischen oder sogar atlantischen Fragen verbunden. Diese zu beant­ worten, wird es strategischen Weitblicks und des Verant­ wortungsbewusstseins für die Zukunft Europas bedürfen. Dass diese aktuell auf euro­ päischer Ebene mehr schlecht als recht und ohne große An­ teilnahme der Öffentlichkeit mit gelosten Bürgerinnen und Bürgern diskutiert wird, ist unzureichend. Die schockierenden Ereignisse in Afghanistan zeigen, wie schnell Handlungsfähigkeit eingefordert werden kann. Die mitnichten überwundene Migrationskrise wird Deutsch­ land und Europa schon bald wieder auf die Probe stellen. Das gilt für den europäischen und den innergesellschaftlichen Zusammenhalt, die Festigkeit der Werte, wie sie in Grundge­ setz, europäischen und interna­ tionalen Verträgen verankert sind, aber auch mit Blick auf die Fähigkeit staatlicher Stellen, in­ nere Sicherheit und öffentliche Ordnung zu garantieren. Deutschland und Europa ste­ hen zunehmend unter dem Druck Chinas und Russlands. Die Türkei, eigentlich ein sehr wichtiger NATO-Partner, zieht es immer mehr in die Sphäre autoritärer Kräfte, die längst schon innerhalb der EU wirken. Wenn die neue Regierung den politischen Westen, der sich gerade in Afghanistan eine gefährliche, vielleicht fatale Blöße gegeben hat, nicht ge­ meinsammit europäischen Partnern, auch Großbritannien, Kanada und allen voran den USA durch kluge und entschie­ dene Politik wiederzubeleben imstande sieht, wird auch Undenkbares denkbar. Deutschland und Europa stehen in zahlreichen kleinen und großen Fragen auf dem Prüfstand. Strategische Orien­ tierung und entschlossene demokratische Führung wer­ den dringend gebraucht. Eine personell und materiell gut ausgestattete öffentliche Verwaltung mit attraktiven Arbeitsbedingungen gehört auf allen europäischen Ebe­ nen, von der Kommune bis zur EU selbst, zu den Grundvor­ aussetzungen für eine einiger­ maßen sichere Zukunft auf der Grundlage der nach 1945 erreichten zivilisatorischen Fortschritte. Erwartungen für eine Welt imWandel Europas Zukunft? Wir sind gefragt! „Die Welt ist imWandel“, sagt die Lady Galadriel in Tolkiens Herrn der Ringe. „Ich spüre es imWasser. Ich spüre es in der Erde. Ich rieche es in der Luft.“ Geht es uns nicht ganz ähn­ lich, wenn wir heute unsere Sinne auf die uns umgebende Welt ausrichten? Man braucht keine Elfenkönigin zu sein, um zu ahnen, dass die 20er-Jahre turbulent werden. Ein reales Staatsoberhaupt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, sprach schon vor einigen Jahren von einer aus den Fugen geratenen Welt. Die Frage ist nicht, ob es große Veränderungen geben wird. Die Frage ist, ob wir uns unserem Schicksal ergeben oder ob wir versuchen, Einfluss auf den Lauf der Dinge zu nehmen. Auch die unwahrscheinlichsten Geschöpfe, frei nach einem Bonmot des Zauberers Gandalf, können Großes bewirken. Mit Blick auf Deutschland, Europa und unseren Ort in der Welt, sind das wir: die Bürgerinnen und Bürger. In Deutschland wird am 26. September gewählt. Das ist schon mal eine konkrete Möglichkeit der Einflussnahme. Jede Stimme zählt. Wählen ist die erste, in Deutschland frei­ willige, Bürgerinnen- und Bürgerpflicht. Das gilt auch für uns im öffentlichen Dienst, und viele von uns helfen ehrenamt­ lich in den Wahllokalen. Das ist etwas, worauf wir zu Recht stolz sein können. Und um was geht es in Europa? Das Europäische Parlament wurde erst 2019 gewählt. Da können wir gerade nicht viel ausrichten. Trotzdem gibt es auch auf europäischer Ebene die Chance echter Teilhabe. Wir können dort nämlich Ideen bei­ steuern für das Europa von morgen. Die Frage nach der Zu­ kunft Europas, auf die unsere Staats- und Regierungschefs seit Langem schon keine Antwort mehr finden, ist Gegen­ stand der Konferenz zur Zukunft Europas. Und hier stehen wir als Bürgerinnen und Bürger im Fokus, also auch Sie, liebe Leserinnen und Leser! Auf der Online-Plattform https://futureu.europa.eu/ können wir alle, individuell, aber auch mit unseren Gewerkschaften oder sonstigen Verbänden und Vereinigungen unsere Mei­ nung zu Europa sagen und unsere Ideen zu seiner Zukunft mitteilen. Die Konferenz zur Zukunft Europas, an der 449 De­ legierte, darunter Politikerinnen und Politiker aller Parlamen­ te und geloste Bürgerinnen und Bürger teilnehmen, soll auf Grundlage dieser Eingaben konkrete Reformvorschläge erar­ beiten. Die Regierungen mögen diesen Prozess ohne großen Enthu­ siasmus begleiten. Wir haben aber die Chance, den Konfe­ renzdelegierten mitzuteilen, welches Europa wir wollen und welche Erwartungen wir vor dem Hintergrund einer Welt im Wandel an eine gute Zukunft in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand haben. cm 35 dbb > dbb magazin | September 2021

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