dbb magazin 9/2021

bundestagswahl 2021 Dauerstress. Mit unserer Investi­ tionsoffensive von jährlich über 120 Milliarden Euro in die öffentli­ che Daseinsvorsorge und den Ausbau sozialer Dienstleis­ tungen schaffen wir mehr Beschäftigung im öffentlichen Dienst. So werden in den nächsten Jahren, zum Beispiel allein im Bereich der Sozial- und Erziehungsdienste, 200000 zusätz­ liche Erzieher*innen und 100000 zusätzliche Lehrer*innen und Sozialpädog*innen gebraucht. Zudem stärken wir die Kommunen und ihre Verwaltung und bauen den ÖPNV massiv aus. Für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen wollen wir mehr Mitbestimmungs­ möglichkeiten – auch auf individueller Ebene und auch für Beamt*innen. Unerlässlich aus unserer Perspektive sind beruf­ liche Entwicklungsmöglichkeiten, auch jenseits formaler Lauf­ bahnen und Hierarchien. Bündnis 90/Die Grünen: Der öffentliche Dienst muss für Nach­ wuchs noch attraktiver werden, neben den unter Frage 2 schon genannten Maßnahmen insbesondere auch dadurch, indem die Familienverträglichkeit mit entsprechenden Betreuungsangebo­ ten erhöht wird. Auch soll statt hergebrachter Präsenzkultur die Tätigkeit im Homeoffice massiv gefördert beziehungsweise aus­ geweitet werden, wobei die teilnehmenden Beschäftigten vor Karrierenachteilen geschützt sein müssen. Vor allem Personal­ abteilungen und Einstellungskommissionen sollen möglichst geschlechtergerecht und vielfältig besetzt sein, um einen dis­ kriminierungsfreien Auswahlprozess zu sichern. Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind zunehmend Gewalt ausgesetzt. Was für Lösungskonzepte und Ideen haben Sie zu diesem Thema? CDU/CSU: Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter und andere Ein­ satzkräfte stehen täglich mit ihrer Arbeit und oft auch mit ihrem Leben für unser aller Sicherheit ein. Um diejenigen besser zu schützen, die uns schützen, werden CDU und CSU die Mindest­ strafe für tätliche Angriffe auf sechs Monate, für heimtückische Attacken auf ein Jahr Haft erhöhen und damit als Verbrechen einstufen. Wenn der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährli­ ches Werkzeug bei sich führt, soll eine Strafe bis zu zehn Jahren verhängt werden können. Eine zunehmende Gewaltbereitschaft richtet sich beispielsweise auch gegen Behördenmitarbeiter in Jobcentern, Bürgerämtern und gegen andere öffentliche Bediens­ tete. Auch sie wollen wir besser im Dienst schützen. Dadurch stärken wir die Achtung und den Respekt vor staatlichen Behör­ den und ihren Mitarbeitern. Dringend notwendig ist hier eine umfassende Bestandsaufnah­ me, auf deren Grundlage eine nachhaltige Strategie gemeinsam mit den Spitzenverbänden der Gewerkschaften zur Bekämpfung dieses Phänomens entwickelt und umgesetzt werden kann. Ein erster Schritt hierzu ist mit dem Beginn der umfassenden Studie des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung aus Speyer bereits getan. Hierauf gilt es aufzubauen und einen dauerhaften Prozess zur Eindämmung der Gewalt gegen Be­ schäftigte im öffentlichen Dienst auf den Weg zu bringen. SPD: Es ist mit Sorge zu sehen, dass die Hemmschwelle spürbar gesunken ist, was Gewalt und Drohungen gegenüber Beschäf­ tigten des öffentlichen Dienstes angeht. Es gibt hier einen klaren Handlungsauftrag an die Politik. Sowohl Bund, Länder als auch Kommunen stehen in der Verantwortung, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. Neben besserer statistischer Erfassung über das Ausmaß der Probleme, müssen bedarfsorientierte Maßnahmen getroffen werden. Das können entsprechende Schulungen der Betroffenen sein in Richtung Kommunikation und Deeskalation, konkrete Handlungsleitfäden, aber auch der Einsatz von Sicher­ heitstechniken. Wir werden auf dieses Thema in der nächsten Legislaturperiode einen Schwerpunkt setzen. FDP: Die seit Jahren zunehmende Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst, insbesondere gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, ist inakzeptabel. Sie muss besser dokumentiert und statistisch genauer erfasst werden. Der Staat muss für den bestmöglichen Schutz seiner Beschäftigten sorgen. Dazu gehö­ ren neben einer angemessenen Ausstattung vorbeugende Schutzmaßnahmen wie Schulungen, die auf Konfliktsituationen vorbereiten, sowie eine schnelle und konsequente Strafverfol­ gung, wenn Beschäftigte angegriffen werden. Hier gibt es kein Regelungs-, sondern ein Vollzugsdefizit. Angreifer müssen mit al­ len verfügbaren Ressourcen ermittelt werden. Verfahrenseinstel­ lungen sollten die Ausnahme sein. Die angegriffenen Beschäftig­ ten dürfen wir nicht alleinlassen. Für sie muss eine ausreichende Für- beziehungsweise Nachsorge bereitstehen. DIE LINKE: Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte im öffent­ lichen Dienst sind für uns Ergebnis einer Vielzahl von Faktoren: Frustration über die eigene Lebenslage, Erwartungen an die „Dienstleistungsfunktion“ der öffentlichen Verwaltung, die nicht realisiert werden können, soziale Desintegration und Vereinze­ lung. Strafverschärfungen oder der Einsatz von Sicherheitsdiens­ ten sind für uns keine Lösung, sie sind bestenfalls Symptombe­ kämpfung. Die Beschäftigten brauchen Schulung und Training, um in eskalierenden Situationen weiter selbstbewusst und be­ sonnen handeln zu können, es sind Ablaufpläne und Risikoanaly­ sen zu erstellen, Hilfe und Beratung müssen jederzeit zur Verfü­ gung stehen. Verhütung von eskalierenden Situationen muss Teil von betrieblichen Unfall- und Gesundheitsplänen sein. Die Perso­ nalsituation im Publikumsverkehr muss verbessert werden (siehe oben Chancen Digitalisierung), Fluktuation muss vermieden wer­ den, damit die Bürgerinnen und Bürger „ihre“ festen Ansprech­ partner haben. Bündnis 90/Die Grünen: Körperliche Gewalt, Bedrohungen, Belei­ digungen und sonstige Straftaten gegenüber Angehörigen des öf­ fentlichen Dienstes bei der Dienstausübung sind leider vielfache Realität. Wir Grüne wollen besseren Schutz sowohl durch spezi­ fische personelle Maßnahmen (von der Polizeibegleitung für Ge­ richtsvollzieher, Bedienstete der Ordnungsämter und Rettungs­ kräfte bis zum Einsatz von Schutzdiensten in Behörden) als auch, wo nötig, durch Kontrollen und technische Vorkehrungen (zum Beispiel transparente Abgrenzungen und Alarmmöglichkeiten). Es braucht Fortbildungen, zum Beispiel in Deeskalation, um gegen Anfeindungen besser geschützt zu sein. Spezifische neue Straftat­ bestände oder höhere gesetzliche Strafandrohungen hingegen schrecken erfahrungsgemäß nicht ab, es kommt vielmehr auf kon­ sequente Strafverfolgung an. Körperliche oder psychische Gewalt (Mobbing) durch Vorgesetzte oder Kolleg*innen muss durch Anti­ diskriminierungsmaßnahmen sowie ein wirksames Beschwerde­ management präventiv wie reaktiv unterbunden werden. ? Foto: Colourbox.de 15 dbb > dbb magazin | September 2021

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