dbb magazin 11/2025

JOB-PORTRAIT Der Pilot Über Chengdu nach Schanghai Oliver fliegt Frachtflugzeuge. Das bringt ihn zwar nicht an die gefragten Urlaubsorte der Welt, hat aber auch Vorzüge, denn Routine gibt es nicht. Jeder Flug ist anders. Einmal an Tibet vorbei und dann rechts abbiegen – so beschreibt Oliver den Weg nach Chengdu, Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan, in der mehr als 20 Millionen Menschen leben. Doch bevor er in Richtung Fernost aufbricht, braucht er Antworten, unter anderem auf folgende Fragen: Wie wird das Wetter? Sind Rollbahnen gesperrt? Und wie viel Kerosin soll in den Tank? „Es gibt eine vorgeschriebene Mindestmenge“, erklärt der 33-Jährige. „Aber wenn Unwetter drohen und Umleitungen wahrscheinlich sind, nehmen wir mehr mit.“ Nach etwa 15 Minuten ist alles veranlasst. Dann geht’s aus dem Büro zum Flugzeug. Oliver Löwe ist Pilot, er engagiert sich bei der Vereinigung Cockpit; sein Dienstort ist der Frankfurter Flughafen. Aktuell fliegt er ausschließlich Frachtflugzeuge. „Ich fliege dorthin, wo die Fracht hinwill“, sagt der gebürtige Dresdener. Unterm Strich seien die Ziele im Personenverkehr natürlich attraktiver. Aber das Frachtfliegen habe auch Vorzüge: An Bord gebe es keinen Stress mit Menschen, die sich nicht benehmen können – und keine medizinischen Notfälle, die ungeplante Landungen erfordern. Eine alte Pilotenweisheit lautet: „Fracht motzt nicht und Fracht kotzt nicht.“ Begeisterung für Technik und Simulatoren Als Kind ist Oliver oft mit seinem Stiefvater, der einen Pilotenschein hat, am Flugplatz. Die Technik, die hinter der Fliegerei steckt, fasziniert ihn schon damals. „Und ja, es ist schon etwas klischeehaft, aber ich habe auch gerne Flugsimulator gespielt“ – irgendwann habe ein Freund gesagt: „Olli, du weißt, dass man auch Pilot werden kann, oder?“ Daraufhin setzt sich der Abiturient intensiv mit dem Thema auseinander und bewirbt sich schließlich bei einer großen deutschen Fluggesellschaft. Er besteht die Aufnahmeprüfung, 2010 startet die Ausbildung zum Piloten. Parallel studiert er Wirtschaftsingenieurwesen, mit Fokus auf Luftfahrt, Systemtechnik und Management. Die Praxisausbildung führt Oliver in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Goodyear, in der Nähe von Phoenix in Arizona. Dort sitzt er erstmals alleine im Cockpit. „Ich war unfassbar nervös und mit der Situation total überfordert“, erinnert er sich. Aber die Abläufe sitzen. Er merkt, dass er die Maschine im Griff hat. Von da an kann er den Flug über die Wüste Arizonas genießen. „Es gab auch ein paar Kollegen, denen anfangs immer schlecht geworden ist. Aber wer die Aufnahmeprüfung besteht, kommt in der Regel auch durch die Ausbildung“ – mit psychologischer Unterstützung hätten die Betroffenen das Problem schnell in den Griff bekommen. 2014 schließt Oliver die Ausbildung ab, 2015 absolviert er seine ersten Linienflüge. Russischer Luftraum ist gesperrt Zurück in die Gegenwart: Der Flug nach Chengdu dauert knapp elf Stunden. Eigentlich geht es schneller, aber aktuell müssen Oliver und sein Team einen Umweg fliegen, da sie wegen des Ukrainekriegs den russischen Luftraum nicht durchqueren können. Insgesamt sind vier Piloten an Bord, die sich abwechseln. Alle haben mal Pause. Die Flughöhe beträgt 30 000 Fuß, das sind umgerechnet etwas mehr als 9 000 Meter. Im Cockpit überwachen die Piloten, ob das Flugzeug auf der einprogrammierten Route bleibt, außerdem haben sie stets den Treibstofffluss im Blick. Gegebenenfalls passen sie – nach Rücksprache mit der zuständigen Luftraumüberwachung – die Flughöhe an, um ein besseres Windfeld zu bekommen. „So lässt sich Kerosin einsparen“, erklärt Oliver. Vor der Landung gilt es, die aktuellen Bedingungen vor Ort genau zu analysieren. Wie ist das Wetter? Welche Landedistanz ist erforderlich? „Routine gibt es nicht, jeder Flug ist anders. Und das ist auch gut so, denn durch Routine schleichen sich Fehler ein.“ © privat 22 FOKUS dbb magazin | November 2025

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