dbb magazin 11/2025

sich im Gotlandbecken. Zum Vergleich: Der Atlantik ragt stellenweise mehr als 8 000 Meter hinunter. Gerade die geringe Wassertiefe ist es, was die Arbeit auf der Deneb so wichtig macht. Alles, was im Meer liegt, kann schneller zur potenziellen Gefahr für die Schifffahrt werden. Wetterereignisse, Strömungen, Sedimentverlagerungen – die Umwelt beeinflusst den Meeresboden und bewirkt, dass sich Objekte verlagern oder überhaupt erst freigelegt werden. Allein in der deutschen Ostsee gibt es etwa 700 kartierte Stellen: Angefangen bei riesigen Gesteinsbrocken, die seit der Eiszeit ihr Dasein fristen, über verlorene Ladung, etwa Container und Autos, bis hin zu gesunkenen Fischerkuttern, Sportbooten oder auch Munitionsresten. „Wir finden jedes Jahr etwas Neues“, berichtet Thies. „Die Technik entwickelt sich immer weiter, die Auflösung wird immer besser und das Bild vom Meeresboden immer detailreicher.“ Für jedes Seegebiet definiert ein Aufgabenplan bestimmte Zeitintervalle, in denen die Crew Messungen vornehmen muss. Diese liegen zwischen einem und 25 Jahren. Sie richten sich nach der Meerestiefe, der Bedeutung des betroffenen Seegebiets und dem Verkehrsaufkommen. Thies: „Im Watt kommt es mitunter schnell zu auffälligen Veränderungen, anderswo sieht der Meeresboden noch heute aus wie schon vor 1 000 Jahren.“ Ein Ort, den die Deneb regelmäßig ansteuert, befindet sich vor der Küste Rügens, wo am 14. Januar 1993 die polnische Fähre Jan Heweliusz gesunken ist. Es handelt sich um eines der schwersten Schiffsunglücke, die sich in der Ostsee ereignet haben. Das Schiff war von Swinemünde nach Ystad unterwegs, als es in ein schweres Unwetter geriet. In der Nacht meldete die Besatzung Probleme mit der Ladung. An Bord waren 28 Lastwagen und zehn Eisenbahnwaggons, die mutmaßlich nicht ausreichend gesichert waren. Das Schiff bekam Schlagseite und kenterte. 55 Menschen – diese Zahl beruht auf Passagierlisten – starben, nur wenige Besatzungsmitglieder konnten sich retten. „Das Wrack liegt in einem viel befahrenen Bereich, auch von Schiffen mit hohem Tiefgang“, berichtet Thies. „Deshalb müssen wir dort regelmäßig nach dem Rechten schauen.“ Dabei kommen auch Taucher zum Einsatz. Die beiden Berufstaucher, die zur Crew gehören, spielen eine Schlüsselrolle. „Klar, die Technik wird immer besser, aber manches können wir mit dem Sonar nicht erkennen“ – beispielsweise dünne Masten, Leinen und Netze. Und die Technik kann keine Aussagen darüber treffen, ob sich bestimmte Teile, beispielsweise von einem Wrack, lösen können. Deshalb machen die Taucher Videoaufnahmen, die das Team später auswertet. Außerdem messen sie ebenfalls die Tiefe als Referenz zu den Werten, die das Echolot ermittelt. Für den Fall, dass es zu Unfällen kommt und die Taucher zu schnell auftauchen müssen, gibt es an Bord eine Druckkammer. Sie simuliert im Notfall das geregelte Auftauchen, sodass sich Stickstoffbläschen im Körper des betroffenen Tauchers zurückbilden, die schlimmstenfalls Lähmungen verursachen können. Gleichzeitig lassen sich die Bedingungen simulieren, die bei einem Tauchgang vorherrschen. Entsprechend dient die Druckkammer auch dem Training. Eine Runde „roffen“ gefällig? Es gibt auch Szenarien, bei denen die Taucher nicht ins Wasser können. „Das ist aber nicht weiter schlimm, weil ich dann eine Runde roffen kann“, sagt der Kapitän und lacht. „Roffen“ – damit ist in diesem Fall das Steuern eines kleinen U-Boots gemeint: Das Unterwasser-ROV (Remotely Operated Vehicle) ist ferngesteuert und von den Dimensionen her mit einem großen Reisekoffer vergleichbar. Er ist hinten mit vier Propellern für den Antrieb ausgestattet, vorne sind eine Kamera und ein Sonar montiert. Die Bilder werden live auf einen Bildschirm übertragen – manch einer zuckt kurz zusammen, wenn aus dem Nichts eine Scholle an der Linse vorbeischießt. Eingesetzt wird das „ROV“, wenn die Situation für die Taucher möglicherweise zu gefährlich ist. Oder wenn unklar ist, ob sich ein Tauchgang überhaupt lohnt: „Mit dem ROV können wir die Lage in zehn Minuten auskundschaften, ein Tauchgang dauert mit allem Drum und Dran etwa 1,5 Stunden.“ Thies und sein Team sind auch zur Stelle, wenn andere in Seenot geraten: Rettungsschiffe sind zwar ebenfalls mit Sonartechnik ausgestattet, die Crew der Deneb ist jedoch mit dem Umgang und der Auswertung der Bilder wegen der täglichen Praxis extrem routiniert – „quasi wie ein Arzt mit Röntgen- oder Ultraschallbildern“, sagt der Kapitän. Deshalb operiert die Deneb im Notfall auch über die Seevermessung hinaus und leistet Amtshilfe; an Bord gibt es ein separates Beiboot als Rettungsmittel. Dieses Jahr hat die Crew unter anderem den Teilnehmer einer Segelregatta aus dem Wasser gezogen, der mit seinem Trimaran gekentert war. „Am Morgen haben wir die Segler noch vorbeifahren sehen, als wir am Darß vor Anker lagen“, erinnert sich Thies. Ein dänischer Hubschrauber hat den Verunglückten abBSH-Referatsleiter Patrick Westfeld, Kapitän Andreas Thies und Seevermessungstechniker Mathias Hollmichel diskutieren an Bord der Deneb aktuelle Bilder des Echolots (von links). Moderne Technik liefert gestochen scharfe Bilder: Scan des 1849 gesunkenen Raddampfers Friedrich Franz II. © BSH © BSH 16 FOKUS dbb magazin | November 2025

RkJQdWJsaXNoZXIy Mjc4MQ==