dbb magazin Forschung und Technik | Wo Deutschland Spitze ist Interview | Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt Reportage | Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) 11 | 2025 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst
STARTER Damit Deutschlands Forschung spitze bleibt Um die technologische Spitzenposition der Bundesrepublik zu sichern, müssen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik eng zusammenarbeiten. Die Hightech Agenda der Bundesregierung soll dazu beitragen, Deutschland als führenden Standort für Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien, Mikroelektronik, Biotechnologie und klimaneutrale Mobilität zu etablieren. Ein zentraler Aspekt: Innovationsökosysteme, die es ermöglichen, in hochdynamischen Bereichen nicht nur international wettbewerbsfähig zu bleiben, sondern auch eine Spitzenposition auszubauen. Essenziell ist weiter, Spitzenforschende aus aller Welt an deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu holen. Nicht zuletzt müssen Innovationsprozesse soziale und ökologische Dimensionen integrieren, zum Beispiel bei der Klimaforschung und der Entwicklung umweltfreundlicher Energiespeicher. Damit das funktioniert, sind zukunftsfähige Strukturen nötig: die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Forschung und Lehre; eine Schulbildung, die insbesondere naturwissenschaftlich-technisch Interessierte bestmöglich fördert; gute Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für Fachkräfte; die Beseitigung bürokratischer Hürden. Als Unterbau müssen die digitalen und technologischen Infrastrukturen mit der Entwicklung Schritt halten. Deutschland kann seine Spitzenposition in der Forschung nur behaupten, wenn notwendige Investitionen konsequent umgesetzt werden. Werden die Weichen jetzt richtig gestellt, bleibt Deutschlands Forschung nicht nur spitze, sondern sichert sich auch künftig eine Führungsrolle. br 12 4 14 TOPTHEMA Forschung und Technik AKTUELL NACHRICHTEN Volker Geyer trifft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 4 Gespräch mit Kanzleramtsminister Thorsten Frei 5 Forderung für die Einkommensrunde Autobahn GmbH 2026: 7 Prozent mehr, mindestens jedoch 300 Euro 6 NKR-Jahresbericht: Gut, aber nicht gut genug 7 FOKUS ARBEITSWELT New Work und Agiles Arbeiten: Stimmige Ergebnisse sind wichtiger als ein starrer Plan 9 INTERVIEW Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt: „Wir machen unser Land zum führenden Standort für neue Technologien“ 12 REPORTAGE Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH): Die Vermesser der See 14 VORGESTELLT Batterieforschung am HZB: „Polysulfide sind der Endgegner“ 19 ONLINE Rechenzentren und Netze: Die stille Infrastruktur der KI-Revolution 24 INTERN VOR ORT dbb-Chef besucht Staatliche Berufsschule III Bamberg Business School: „Das Glück kommt zu denen, die ihre Chancen nutzen“ 28 SENIOREN 9. Fachtagung der dbb bundesseniorenvertretung: Generation Ü65 – unterschätzt und übersehen? 30 FRAUEN Hauptversammlung in Potsdam: Arbeiten in Teilzeit ist kein Luxus 32 JUGEND Politikaktionswoche bietet Blick hinter die Kulissen des Bundestags: „Einfache Lösungen gibt’s nicht!“ 34 SERVICE Impressum 41 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 24 © Unsplash.com/Getty Images AKTUELL 3 dbb magazin | November 2025
NACHRICHTEN Volker Geyer trifft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „Der öffentliche Dienst ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie“ Im Kampf gegen Extremismus und Demokratieverdrossenheit will sich der dbb weiterhin stark engagieren. Das hat dbb-Chef Volker Geyer in einem Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 30. September 2025 deutlich gemacht. Die aktuelle dbb-Bürgerbefragung verdeutlicht eindrucksvoll, dass ein enger Zusammenhang zwischen einem funktionierenden öffentlichen Dienst einerseits und dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unser Staatswesen andererseits besteht. Denn Demokratie erschöpft sich nicht in Wahlterminen. Sie braucht etwa eine freie Presse, eine lebendige Zivilgesellschaft und eben eine leistungsfähige und bürgernahe Verwaltung. Der öffentliche Dienst ist damit ein Grundpfeiler unserer Demokratie“, unterstrich Geyer. Wenn das Vertrauen in Staat und Demokratie erschüttert sei, spürten das auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst schnell: „Sie werden immer häufiger verbal und sogar körperlich angegangen für Missstände, die sie selbst gar nicht zu verantworten haben. Trotzdem leisten sie ihren Dienst und verteidigen die freiheitlichdemokratische Grundordnung offensiv. Nicht nur, weil es in Verträgen steht oder sie als Beamtinnen und Beamte einen Eid auf das Grundgesetz abgelegt haben. Sondern, weil sie davon überzeugt sind“, so Geyer weiter. Im Kampf gegen Extremismus und Demokratieverdrossenheit und für ein solidarisches Miteinander werde sich der dbb gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen weiterhin stark engagieren, versprach der dbb Bundesvorsitzende. _ Neue Zusammensetzung Auf Einladung von Bundesfamilienministerin Karin Prien hat der unabhängige Beirat zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf am 14. Oktober 2025 in neuer Zusammensetzung getagt. Der dbb wird im Beirat durch den Zweiten Bundesvorsitzenden und Fachvorstand Tarifpolitik Andreas Hemsing vertreten. Dieser sagte zur Auftaktveranstaltung: „In zehn Jahren kontinuierlicher Arbeit innerhalb des Beirates und seiner Arbeitsgruppen hat der dbb viel erreicht: Das Modell einer steuerfinanzierten Entgeltersatzleistung für pflegende An- und Zugehörige wurde erarbeitet sowie eine Neufassung des Angehörigenbegriffs in Angriff genommen. Auch wenn die Arbeit des Beirates stets auf offene Ohren in den Bundesministerien für Familie, Gesundheit sowie Arbeit und Soziales gestoßen ist, scheiterte eine konkrete Umsetzung bisher an haushälterischen Restriktionen. Hier werden wir nicht nachlassen und die notwendigen Reformen einfordern, denn pflegende Angehörige bilden die zentrale Stütze unserer Pflegeversicherung.“ Während einer jeweils vierjährigen Berichtsperiode arbeiten die 21 Mitglieder ehrenamtlich rund um Themen der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Dafür setzen sie unterschiedliche Schwerpunkte. In Arbeitsgruppen bereiten sie die offiziellen Sitzungen der Mitglieder vor. Diese finden zweimal jährlich statt. Die Ergebnisse jeder vierjährigen Beiratsperiode werden in einem Bericht zusammengefasst und dem Bundesfamilienministerium übergeben. Beirat zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf Volker Geyer im Gespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. © Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf besteht aus 21 Mitgliedern aus verschiedenen Organisationen, Institutionen und Wissenschaft. Andreas Hemsing, Zweiter Bundesvorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik, vertritt den dbb. © BMBFSJ 4 AKTUELL dbb magazin | November 2025
Gespräch mit Kanzleramtsminister Thorsten Frei Ein handlungsfähiger Staat braucht das Berufsbeamtentum Die politischen Angriffe auf das Berufsbeamtentum müssen enden. dbb-Chef Volker Geyer will den Staat gemeinsam mit der Bundesregierung wieder handlungsfähig machen. Die unsäglichen Angriffe auf das Berufsbeamtentum der letzten Wochen haben zu viel Verunsicherung bei den Kolleginnen und Kollegen geführt – Stichwort Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung. In der Bundesregierung muss sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, dass das ein Irrweg ist. Dass wir gemeinsam mit Bundesinnenminister Alexander Dobrindt bei der Übertragung des Tarifergebnisses und bei der amtsangemessenen Alimentation nun in guten Gesprächen sind, sehe ich hingegen als positives Zeichen. Ein klares Bekenntnis zum Berufsbeamtentum und zum öffentlichen Dienst erwarten wir von der gesamten Bundesregierung – und zwar nicht nur in Worten, sondern auch durch Taten“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Volker Geyer nach einem Gespräch mit Kanzleramtsminister Thorsten Frei am 2. Oktober 2025. Die Diskussionen um das Berufsbeamtentum und den öffentlichen Dienst werde oft nur unter dem Kostenaspekt geführt. „Stabile Verhältnisse, unparteiische Amtsführung, streikfreie Räume: Diese Aspekte gehen in der Diskussion zu oft unter. Dabei sind sie gerade jetzt, wo das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat schwindet, enorm wichtig“, so Geyer. „Unser gemeinsames Ziel muss doch ein starker, handlungsfähiger Staat sein. Dafür reichen wir der Bundesregierung die Hand: sei es bei der sachgerechten Umsetzung der Infrastrukturinvestitionen, beim Bürokratieabbau oder der Staatsmodernisierung.“ _ Pflege- und Krankenversicherung „Steuermittel sind unverzichtbar“ Um die Beitragssätze stabil zu halten, spricht sich dbb-Vize Maik Wagner für die Verwendung von Steuermitteln aus. Der stellvertretende dbb Bundesvorsitzende Maik Wagner hat sich am 9. Oktober 2025 in Berlin mit Stephan Pilsinger (MdB), der für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss sitzt, über die anstehenden Reformen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ausgetauscht. Hintergrund sind die ersten Ergebnisse der BundLänder-Arbeitsgruppe zur Zukunft der Pflegeversicherung. Einigkeit bestand darin, dass versicherungsfremde Leistungen – etwa die beitragsfreie Familienversicherung, die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder die Beiträge für Bürgergeldempfänger – aus Steuermitteln zu finanzieren sind: „Bei aller Notwendigkeit zu mehr Eigenvorsorge muss klar sein, dass Steuermittel zumindest als Teil einer nachhaltigen Finanzierungslogik unabdingbar sind. Andernfalls würden wir uns Leistungseinschränkungen und deutliche Beitragssatzsteigerungen erkaufen“, betonte Wagner. Die derzeitige Praxis, Defizite über mehrjährige Darlehen zu kompensieren, schwäche die Nachhaltigkeit des Systems. Wagner sprach sich zudem dafür aus, organisatorische Effizienzreserven zu nutzen, bevor über weitere Belastungen der Versicherten nachgedacht wird. Positiv bewertete er die geplanten Dauerverordnungen für Arzneimittel sowie das angestrebte Primärarztsystem, die Arztkontakte verringern und Wartezeiten auf Facharzttermine verkürzen könnten. Eine klare Absage erteilt der dbb hingegen Überlegungen zu Leistungskürzungen durch die Abschaffung des Pflegegrads I oder die Erhöhung von Zuzahlungen für Arzneimittel. „Letzteres würde ausschließlich Patientinnen und Patienten treffen, während Arbeitgeber nicht beteiligt wären“, kritisierte Wagner und mahnte mit Blick auf den angekündigten „Herbst der Reformen“ zu Augenmaß und Ausgewogenheit: „Auch wenn Kröten zu schlucken sein werden, muss es darum gehen, die Belastungen für die hart arbeitende Bevölkerung im Rahmen zu halten.“ _ dbb-Vize Maik Wagner (links) und Stephan Pilsinger. © dbb Volker Geyer im Gespräch mit Kanzleramtsminister Thorsten Frei. © Marco Urban AKTUELL 5 dbb magazin | November 2025
Foto: Colourbox.de Forderung für die Einkommensrunde Autobahn GmbH 2026 7 Prozent mehr, mindestens jedoch 300 Euro Das fordert der dbb für die Beschäftigten der Autobahn GmbH des Bundes. Die Forderung sei realistisch und notwendig, sagte dbb-Tarifchef Andreas Hemsing nach der Sitzung der Verhandlungskommission am 15. Oktober 2025. Korrekturen gefordert Das Tariftreuegesetz des Bundes ist Gegenstand aktueller Beratungen im Bundestag. Der dbb fordert, Schlupflöcher zu beseitigen. „Die Intention des Gesetzes ist gut und richtig“, sagte Andreas Hemsing, dbb-Vize und Fachvorstand Tarifpolitik, am 7. Oktober 2025 in Berlin. „Wir begrüßen ein Tariftreuegesetz ausdrücklich. Es kann der Tarifflucht entgegenwirken und für mehr Tarifbindung und für mehr Anwendung von Tarifverträgen sorgen.“ Dennoch fordert Hemsing Nachbesserungen: „Die Tücke steckt im Detail, es bieten sich zu viele Schlupflöcher.“ So soll das Gesetz bei öffentlichen Vergaben erst ab einem Auftragsvolumen von 50 000 Euro greifen. Die Kontrollmöglichkeiten zur Einhaltung des Gesetzes sind nicht ausreichend. Der dbb bemängelt auch die nur eingeschränkte Haftung für Nachunternehmer. Hintergrund: Wer keine tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen gewährt, kann aufgrund geringerer Personalkosten Angebote zu günstigeren Konditionen erstellen. Das Vermeiden tariflicher Arbeitsbedingungen korrespondiert daher grundsätzlich mit der Möglichkeit, preislich bessere Angebote im Vergabeverfahren abzugeben. Dies gilt insbesondere für Lohnkostenvorteile durch untertarifliche Vergütung. Ein Tariftreuegesetz verhindert das. Im Bereich der Arbeitsbedingungen schafft es eine faire Wettbewerbsgrundlage. Es kann für die Beteiligten keinen Vorteil mehr bedeuten, sich einer Tarifbindung zu entziehen. Der Gesetzentwurf des Tariftreuegesetzes auf Bundesebene erreicht dieses Ziel nach Ansicht des dbb allerdings nicht im angestrebten Maße. Bundestariftreuegesetz Realistisch ist die Forderung, weil sie die gestiegenen Lebenshaltungskosten sowie die Leistungen der Beschäftigten widerspiegelt“, erklärte Hemsing. „Und notwendig, weil die Autobahn GmbH nicht nachlassen darf, wenn es darum geht, motivierte Fachkräfte zu halten und neu zu gewinnen.“ Deshalb rundet eine Mindestforderung nach 300 Euro mehr Einkommen die linearen Forderungen des dbb in Höhe von sieben Prozent ab. Auch die Ausbildungsentgelte müssen nach Ansicht der Gewerkschaft um 300 Euro steigen – und nach bestandener Prüfung muss die Übernahme in die Erfahrungsstufe 2 der jeweiligen Entgeltgruppe erfolgen. „Außerdem ist uns wichtig, dass eine Krankenzusatzversicherung für alle Beschäftigten abgeschlossen wird“, führte Hemsing weiter aus. „Dieser Punkt sollte angesichts der physisch oftmals sehr fordernden Arbeit unbedingt auch im Interesse der Arbeitgeberin liegen. Mit einer Krankenzusatzversicherung gewinnt die Autobahn GmbH enorm an Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit. Das sollten wir gemeinsam wollen.“ Im Rahmen der Tarifrunde gelte es, weitere Verbesserungen im Bereich des Manteltarifvertrags anzusprechen – zum Beispiel mit Blick auf die Zahlung der Zulage für höherwertige Tätigkeiten (Vertreterzulage) ab dem ersten Tag. Die dbb Verhandlungskommission hat sich einstimmig hinter diese Forderungen gestellt. „Das hat mich als Verhandlungsführer natürlich sehr gefreut“, sagte Hemsing. „Denn auch wenn unsere Argumente gut sind, durchsetzen werden wir uns nur, wenn wir geschlossen und mit langem Atem auftreten.“ In Richtung der Arbeitgeberin machte Hemsing klar: „Der Herbst der Reformen braucht einen handlungsfähigen öffentlichen Dienst. Auch dort, wo er privatisiert ist, und ganz besonders dort, wo nun endlich eindeutige Signale von der Bundesregierung gesendet wurden, dass in die oftmals marode Infrastruktur massiv investiert werden soll. Wer unser Autobahnnetz für die Bürgerinnen und Bürger und den Wirtschaftsstandort erhalten und entwickeln will, braucht die Kolleginnen und Kollegen der Autobahn GmbH!“ Hemsings klare Botschaft: „Wir sind Infrastruktur. Ohne uns bleiben die Bemühungen um eine Verbesserung in den Startlöchern stecken. Wir erwarten, dass die Verhandler aufseiten der Arbeitgeber genau das im Kopf haben, wenn wir die Einkommensrunde starten.“ Bislang waren die Einkommensrunden der Autobahn GmbH an die Einkommensrunden zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) gekoppelt. „Nun sind wir im Bereich der Autobahn selbst für unseren Abschluss verantwortlich“, sagte Hemsing. „Ich bin froh, dass unsere Verhandlungskommission die Aufgaben, die damit verbunden sein werden, vollständig angenommen hat. Denn klar muss sein: Wenn wir im neuen Jahr mit den Verhandlungen starten, ist nicht auszuschließen, dass wir unsere berechtigten Forderungen auch mit Aktionen unterfüttern müssen. Das Ganze wird kein Selbstläufer.“ Mehr: dbb.de/autobahn _ 6 AKTUELL dbb magazin | November 2025
NKR-Jahresbericht Gut, aber nicht gut genug Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) sieht erstmals seit Jahren eine deutliche Trendwende beim Erfüllungsaufwand für gesetzliche Vorgaben. Dennoch bleibt die Gesamtbelastung für Verwaltung, Wirtschaft und Bürger auf einem hohen Niveau. Das geht aus dem Jahresbericht 2025 hervor. Einfach, schnell, wirksam. Den Staat neu gestalten Jahresbericht 2025 … ist kostenlos als PDF zum Download verfügbar: t1p.de/nkr-jahresbericht. Der NKR-Jahresbericht 2025 … Im Berichtszeitraum von Juli 2024 bis Juni 2025 habe die Bundesregierung zwar auf dem zuletzt angestoßenen Kurswechsel der Vorgängerregierung aufgebaut und große Entlastungsmaßnahmen umgesetzt: Der Erfüllungsaufwand sinke um 3,2 Milliarden Euro und gehe damit erstmals deutlich zurück. Die größte Entlastung verzeichne die öffentliche Verwaltung mit 1,7 Milliarden Euro. Die Wirtschaft profitiere von knapp einer Milliarde Euro Rückbau, die Hälfte davon aus sinkenden Bürokratiekosten. Bürgerinnen und Bürger würden um 500 Millionen Euro entlastet. Gleichwohl bleiben die Belastungen insgesamt auf zu hohem Niveau: 64 Milliarden Euro Bürokratiekosten pro Jahr und 13,2 Milliarden Euro zusätzlicher Erfüllungsaufwand seit 2011. Gesetzesvorhaben, die EU-Recht umsetzen und in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr vom Bundestag beschlossen werden konnten, sorgen jedoch für neue Belastungen. „Allein in der 20. Legislaturperiode ist ein Plus von acht Milliarden Euro Erfüllungsaufwand aufgelaufen – das entspricht dem Gesamtzuwachs der zehn Jahre davor. Dieser Berg muss konsequent abgetragen werden“, forderte der Vorsitzende des NKR, Lutz Goebel, am 2. Oktober 2025. Das nötige Problembewusstsein habe die neue Bundesregierung bereits unter Beweis gestellt: „Wie kaum eine Regierung zuvor will sie den Erfüllungsaufwand und die Bürokratiekosten senken, den Staat modernisieren, die Verwaltung digitalisieren und die Gesetzgebung praxistauglicher gestalten. Mit dem neuen Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung und der vorgelegten Modernisierungsagenda sind dafür die richtigen Weichen gestellt“, so Goebel weiter. Dafür seien eine konsequente Umsetzung und ein klarer Kurs nötig. Besonderen Handlungsbedarf gebe es unter anderem in den Bereichen Folgekostenabschätzung, verbindliche Gesetzgebungsstandards und Gesetzgebungsqualität sowie frühzeitige Einflussnahme auf EURegulierung. dbb-Chef Volker Geyer teilt diese Einschätzung. „Wir sind endlich auf dem richtigen Weg“, sagte er am 2. Oktober 2025 nach der Veröffentlichung des Berichts. „Die Empfehlungen des NKR zur besseren Rechtsetzung unterstützen wir weiterhin nachdrücklich“, so Geyer, „flächendeckende Praxischecks inklusive einer frühzeitigen Beteiligung der Betroffenen und insbesondere der Kommunen, die für die Umsetzung von vielen Gesetzen zuständig sind. Wichtig ist, für die Einbindung der Betroffenen ausreichend Zeit im Gesetzgebungsprozess einzuplanen. Die absurd kurzen Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen bei teils hochkomplexen Gesetzen untergraben die Einbindung der Zivilgesellschaft.“ Auch die Forderung des NKR nach einer schnelleren Umsetzung der Registermodernisierung hält der dbb für richtig. Geyer: „Wir haben wiederholt darauf hingewiesen, dass das Vorhaben zentral für den digitalen Staat ist. Es wäre außerdem sinnvoll, das Onlinezugangsgesetz (OZG) und die Registermodernisierung enger miteinander zu verknüpfen, um Synergieeffekte zu nutzen.“ Der dbb begrüßt ausdrücklich, dass der NKR in seinem Gutachten klarstellt, dass Bürokratierückabbau keine blinde Deregulierungsagenda sein soll. „Es geht hier nicht darum, pauschal Stellen abzubauen oder bestimmte Eurobeträge einzusparen, sondern um einen digitalen, handlungsfähigen und leistungsfähigen Staat.“ _ Model Foto: Andrea De Martin/Colourbox.de AKTUELL 7 dbb magazin | November 2025
MEINUNG Berufsbeamtentum Diese Keile haben die Beamten nicht verdient Bei aller Kritik an ihren Privilegien muss man bedenken, dass die Staatsdiener auch auf einiges verzichten. Darauf verweist Michael Schwarz in seinem Essay. Beamte brauchen derzeit vor allem eines: gute Nerven. Es begann mit der Aussage von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die sich so deuten ließ, als brauche Deutschland keine beamteten Lehrer und Rathausmitarbeiter mehr. Es folgte der Chor derjenigen, die das immer schon sahen. Und die sich auch noch ganz andere Dinge vorstellen können, weil Beamte und ihre Privilegien ohnehin nicht mehr in die Zeit passten. Gerne wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die Verfassungsrichter, die die finanziellen Ansprüche der Beamten wiederholt bestätigt haben, ja auch so etwas wie Beamte seien, jedenfalls besoldungstechnisch. Und dass eine Krähe einer anderen kein Auge aushackt. Mal abgesehen davon, dass damit einem Gericht Kumpanei unterstellt wird, das gerade nicht im Ruf steht, nach anderen als juristischen Kriterien zu entscheiden, gibt es eine Reihe von Gründen, die es eigentlich verbieten sollten, dass diese Leier immer wieder ertönt. Zum einen sind da die Einschränkungen, die Beamte hinnehmen müssen: das Streikverbot, die Pflicht zur politischen Mäßigung. Zum anderen muss man doch, wenn man die Privilegien der einen aufzählt, auch die Privilegien der anderen nennen. Die fetten Prämien etwa, die bis vor Kurzem in der Automobilindustrie gezahlt wurden. Oder die Betriebsrenten, die zusammen mit der gesetzlichen Rente eine Altersversorgung ergeben, die sich mit einer Pension durchaus messen kann. Okay, diese Zeiten könnten bald vorbei sein. Wohin die Automobilindustrie steuert, weiß keiner. Und es ist alles andere als sicher, dass der Reichtum, den das Auto Baden-Württemberg bescherte, auf Dauer besteht. In der Not müssen alle zusammenstehen. Auch die Beamten. Andererseits brauchen sich die Staatsdiener in der Hinsicht nicht zu verstecken. Anders als ihre angestellten Kollegen verharren sie oft jahrelang in unteren Besoldungs- stufen, obwohl sie längst anspruchsvollere Tätigkeiten ausüben. Und sie geben sich mit Kompromissen zufrieden, die man durchaus als faul bezeichnen kann, etwa dem „Vier-Säulen-Modell“, mit dem Baden-Württemberg die Vorgaben des Verfassungsgerichts erfüllte, ohne auch nur einen Cent zu viel auszugeben. Das Vier-Säulen-Modell sieht unter anderem vor, dass Beamte für jedes Kind einen Familienzuschlag erhalten, der zusätzlich zum Kindergeld fließt. Und dass es ab dem dritten Kind für den Dienstherrn besonders teuer wird. Der Eindruck, der dabei entsteht, ist fatal: Dem Staat sind Beamtenkinder mehr wert als die Kinder von Arbeitern und Angestellten. Dabei ist die Schieflage vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Grundsicherung, früher „Hartz IV“, heute „Bürgergeld“ genannt, in den vergangenen Jahren um mehr als 25 Prozent gestiegen ist. Und dass demzufolge auch die Beamtenbesoldung in den unteren Einkommensstufen steigen musste, weil die Bezüge eines Beamten laut Verfassungsgericht 15 Prozent über dem eines Sozialhilfeempfängers liegen müssen. Dieses Problem ließe sich aus der Welt schaffen, wenn alle Beamten mehr Geld bekämen. Doch dann wird es richtig teuer. Die Rede ist von zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr. Also hat das Land die Zuschläge ab dem dritten Kind deutlich angehoben – auf inzwischen 987,17 Euro. Kostenpunkt: 200 Millionen Euro. Gleichzeitig versucht das Land mit einem weiteren Trick – der Annahme, dass jeder verheiratete Beamte einen Ehepartner hat, der dazuverdient – den Alimentationsgrundsatz neu zu interpretieren. Nun muss der Beamte einen Antrag stellen, wenn er tatsächlich Alleinverdiener ist. All dies ist ziemlich kompliziert. Komplizierter jedenfalls, als mit erhobenem Zeigefinger auf die Beamten und ihre Privilegien zu deuten. Im Übrigen spricht jedoch nichts dagegen, über die Unterschiede, die Beamte von Normalsterblichen trennen, zu diskutieren. Zumal es sich beim Beamtenstatus um einen deutschen Sonderweg handelt: Österreich und die Schweiz haben sich davon weitgehend verabschiedet. Und niemand wird wohl behaupten, dass die Alpenrepubliken darniederlägen, weil sie ihre Staatsdiener wie normale Beschäftigte behandeln. Wichtig ist jedoch, nicht einseitig zu argumentieren. Zumal alle Frontalangriffe dem deutschen Berufsbeamtentum nichts anhaben konnten. Denn dann schließen sich die Reihen. Vorne kämpft der Beamtenbund, dahinter steht die Politik, die weiß, was sie an ihrer Beamtenschaft hat. Sofern man sie einigermaßen anständig behandelt. _ Michael Schwarz betreut beim Staatsanzeiger – Wochenzeitung für Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg – das Ressort Politik und Verwaltung. Der Beitrag erschien zuerst im Staatsanzeiger vom 2. Oktober 2025. Der Autor Model Foto: Thai Noipho/Colourbox.de 8 AKTUELL dbb magazin | November 2025
ARBEITSWELT Was bedeutet agiles Arbeiten? Unternehmensberaterin Kerstin Sarah von Appen lehrt ein Konzept, das zwar in der IT-Branche wurzelt, aber auch für den öffentlichen Dienst geeignet ist. Ein Unternehmen gibt eine neue Software in Auftrag, das Briefing ist mit den Entwicklern abgestimmt und sie machen sich an die Arbeit. Sie investieren viel Mühe und Zeit, machen Überstunden. Nach einigen Monaten präsentieren sie dem Kunden das Ergebnis. Alle sind stolz. Doch prompt folgt die Ernüchterung: Der Kunde ist unzufrieden. Er fühlt sich missverstanden, die Umsetzung und das Design der Software gefallen ihm nicht und im Unternehmen haben sich neue Bedürfnisse ergeben. Beide Seiten sind frustriert. „Solche Situationen sind in der Tat frustrierend, in der IT sind sie früher oft vorgekommen“, sagt Kerstin Sarah von Appen, Unternehmensberaterin in Berlin. Die Branche habe erkannt: Sie muss viel enger mit den Kundinnen und Kunden zusammenarbeiten. Auf dieser Grundlage ist das Manifest für agile Softwareentwicklung entstanden. Die Leitgedanken dabei sind: Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge. Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als das Vertragliche. Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das strikte Befolgen eines Plans. Ein funktionierendes Produkt ist wichtiger als umfangreiche Dokumentation. Schon längst haben diese Leitgedanken über die IT-Branche hinaus Wirkung entfaltet. Welche Chancen agiles Arbeiten für den öffentlichen Dienst bietet, darüber hat das dbb jugend magazin #staatklar mit Kerstin Sarah von Appen gesprochen. Sie ist Expertin für Change-Management und berät Führungskräfte in Unternehmen und Verbänden. Außerdem hat sie das Buch „New Work Unplugged. Die Arbeitswelt von morgen heute gestalten“ veröffentlicht. Frau von Appen, agiles Arbeiten hat seine Wurzeln in der Softwareentwicklung: Warum sollten sich Akteure außerhalb der IT überhaupt damit beschäftigen? Es macht enorm viel Sinn, sich damit zu beschäftigen, um Arbeit anders zu gestalten. Agiles Arbeiten hilft, fokussiert und schnell Ergebnisse zu erzielen. Und zwar Ergebnisse, die wirklich gebraucht werden. Damit will ich nicht sagen, dass jetzt alle ausschließlich auf agiles Arbeiten umstellen sollen. Es kommt immer auf den Kontext an. Die Softwarebranche gehörte zu den Ersten, die merkten, dass es mit althergebrachten Vorgehensweisen nicht weitergeht. Und viele andere haben mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass es gut funktioniert. Was ich als große Stärke sehe: Agiles Arbeiten ist wertebasiert, es gibt fünf zentrale Werte. Das Konzept geht mit Respekt einher, mit Selbstverantwortung und Mut – dem Mut, Probleme anzusprechen und Dinge anders zu machen. Weiterhin spielt Transparenz eine große Rolle. Allen Beteiligten ist jederzeit klar, wer aus welchem Grund gerade woran arbeitet. Und nicht zuletzt ist der Fokus von BedeuNew Work und agiles Arbeiten Stimmige Ergebnisse sind wichtiger als ein starrer Plan Im Projektmanagement beliebt, auch beim agilen Arbeiten gefragt: bunte Post-its. © Unsplash.com/Vitaly Gariev FOKUS 9 dbb magazin | November 2025
tung: Man konzentriert sich auf das, was innerhalb eines definierten Zeitraums erledigt sein muss. Diese Werte würden wahrscheinlich die meisten Menschen teilen. Ja, das sehe ich auch so. Aber die Praxis zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, diese Werte zu leben. Gehen wir wirklich transparent miteinander um oder horten wir Wissen? Übernehmen wir Verantwortung oder sagen wir einfach, das betrifft mich nicht? Und fokussieren wir uns wirklich auf die Kernaufgabe oder schweifen wir ständig nach rechts und links ab? Der Fokus bezieht sich beim agilen Arbeiten auch auf bestimmte Zeiträume, sogenannte Sprints. Was hat es damit auf sich? Sprints ermöglichen die Entwicklung in kurzen Zyklen. Sie dauern üblicherweise zwei oder vier Wochen. Je nach Erfahrung kann man diesen Rhythmus auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden. Entscheidend ist, dass es diese klar definierten Zeiträume gibt, in denen sich die Beschäftigten klar definierten Entwicklungsschritten und Aufgaben widmen. Man sagt nicht: Liefert bitte innerhalb eines halben Jahres das fertige Produkt. Im Gegenteil, nach jedem Sprint erfolgt ein Austausch mit allen Beteiligten. Dadurch kann weniger schiefgehen. Führungskräfte, Auftraggeber und die Beschäftigten selbst haben immer wieder die Möglichkeit, zu sagen, was gut läuft, ob sich Probleme offenbaren und wo gegebenenfalls Ressourcen fehlen. Der Austausch dient dann auch dazu, die Ziele und Inhalte für den nächsten Sprint zu besprechen. Dann beginnt der Prozess von vorn. Dieses schrittweise Vorgehen, auch iteratives Vorgehen genannt, bildet den Kern der agilen Arbeitsweise. Es sichert den Fokus und ermöglicht gleichzeitig Flexibilität, um sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, die bei der Planung noch nicht präsent waren. Effizienz ist ein Thema, das den öffentlichen Dienst beschäftigt. Wie kann agiles Arbeiten Effizienz fördern? Das schrittweise Vorgehen hilft dabei, mögliche Anpassungen integrieren zu können, und verhindert, dass Beschäftigte in die falsche Richtung arbeiten – das ist für die Effizienz von enormer Bedeutung! Und die Frage ist ja immer auch, woran man am Ende gemessen wird: am Einhalten eines starren Plans oder an stimmigen Ergebnissen? Letzteres ist das, worauf es im Endeffekt ankommt. Viele bringen Effizienz vor allem mit Wirtschaftlichkeit in Verbindung … Agiles Arbeiten hilft, schnell greifbare Ergebnisse zu haben, das trägt sicher auch zur Wirtschaftlichkeit bei. Aber viel wichtiger ist: Vor allem wirkt es sich positiv auf die Beschäftigten aus! Der regelmäßige Austausch, mit dem gemeinsamen Ziel vor Augen, steigert den Zusammenhalt und die Motivation. Die Beschäftigten sind eigenverantwortlich an den Themen dran und spüren den Fortschritt. Damit geht eine offene Fehlerkultur einher, weil regelmäßige Anpassungen schon Teil des Prozesses sind. Und wenn dann auch noch ein respektvoller Umgang und Transparenz im Arbeitsalltag gelebt werden, ist viel gewonnen. Stellen wir uns vor, eine Behörde will einen neuen Service etablieren. Wie profitieren die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie dabei agil vorgeht? Ich habe schon sehr positive Erfahrungen mit Behörden gemacht. Mitunter hat die Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern aber etwas sehr Regelhaftes, frei nach dem Motto: Sie müssen sich jetzt so und so verhalten und dieses und jenes tun. Das agile Arbeiten beinhaltet, dass die Zielgruppe, für die ein Service bestimmt ist, eingebunden wird. Man ist offen dafür, dass möglicherweise herauskommt: Nein, das ist noch nicht das Ergebnis, mit dem die Menschen zufrieden sind. Wenn Behörden diesen Aspekt konsequent mitdenken, weht ein konstruktiver Wind durch die Flure, von dem alle profitieren! Was steht agilen Arbeitsweisen – jenseits von starren Strukturen – im Wege? In der Organisationsentwicklung sprechen wir von verschiedenen Fallen. Eine davon ist die sogenannte Erfahrungsfalle. „Das haben wir doch immer schon so gemacht“ – mit diesen Worten lässt sich die Falle prägnant zusammenfassen. Die damit einhergehende Haltung kann man mit einem Waldweg vergleichen, den man immer wieder entlangläuft. Man kennt sich aus, aber vergisst, mal nach links und rechts zu schauen, verliert den Blick für neue Wege, die möglicherweise besser sind. Das ist im Übrigen ein Phänomen, dem man nicht bloß im öffentlichen Dienst, sondern auch in der freien Wirtschaft begegnet. Auf einzelne Personen bezogen heißt das zum Beispiel: Der eine lässt sich möglicherweise nicht so gerne in die Karten schauen und hat ein Problem damit, Wissen zu teilen und seine Arbeitsschritte offenzulegen. Und der andere empfindet in dem Moment, in dem Beschäftigte plötzlich sehr frei arbeiten sollen, einen Kontrollverlust. Das gilt vor allem für Führungskräfte, die zum MikroDie Frage ist ja immer auch, woran man am Ende gemessen wird: am Einhalten eines starren Plans oder an stimmigen Ergebnissen? Der regelmäßige Austausch ist fester Bestandteil des agilen Arbeitens. © Unsplash.com/Eliott Reyna 10 FOKUS dbb magazin | November 2025
management neigen. Ein wichtiges Schlagwort ist sicher auch Absicherungsdenken, also die Angst, etwas falsch zu machen. Daraus folgende Absicherungsschleifen gehen zulasten der Agilität. Aber gerade in der Verwaltung spielt die Einhaltung von Gesetzen eine zentrale Rolle – da müssen gewisse Absicherungsmechanismen greifen. Bürokratie soll, das ist zumindest ein Ideal, auch Verlässlichkeit schaffen und so vor Willkür schützen. Klar ist natürlich, dass Recht und Gesetz jederzeit eingehalten werden müssen. Und klar ist auch, dass agile Arbeitsweisen sich nicht für alle Bereiche eignen. Es gibt immer – in Unternehmen, Behörden und Organisationen – Prozesse, die über längere Zeit gewachsen sind, gut und verlässlich funktionieren und ihre Berechtigung haben. Aber es gibt eben auch Bereiche, in denen es sich lohnt, die besagten alten Wege zu verlassen – vor allem, wenn es darum geht, Neues zu entwickeln, zum Beispiel einen neuen Service. Welche Rolle spielen Führungskräfte, wenn es darum geht, agile Arbeitsweisen zu etablieren? Sie spielen die entscheidende Rolle, weil sie es sind, die hinter den neuen Arbeitsweisen stehen müssen und neue Herangehensweisen vorleben. Und das bestenfalls, indem sie die Beschäftigten mitnehmen, neue Wege aufzeigen, in nachvollziehbaren Schritten vorgehen und Feedback einholen. Agilität lässt sich also idealerweise mit Agilität umsetzen? Sozusagen! Es ist wirklich wichtig, dass sich auch Top-Level-Führungskräfte mit dem Konzept befassen. Sonst funktioniert es nicht oder wird falsch verstanden. Führungskräfte müssen innerhalb der Sprints loslassen können und die Teams arbeiten lassen. In den Besprechungen am Ende eines jeden Sprints ist es wiederum ihre Aufgabe, ausdrücklich auch kritische Fragen zu stellen: Funktioniert es wirklich? Haben wir den Fokus noch im Blick? Oder müssen wir umdenken? Ob agiles Arbeiten gelingt, ist vor allem eine Frage der Haltung! Die Haltung ist nicht: „Seht zu, dass ihr auch ja alles richtig macht!“ Sondern vielmehr: „Hey, wie läuft es gerade? Habt ihr alles, was ihr braucht?“ Führungskräfte haben die Aufgabe, den Beschäftigten Orientierung und Rückenwind zu geben. Nehmen wir an, eine Führungskraft steht agilem Arbeiten abweisend gegenüber, aus Sorge davor, dass die Disziplin abhandenkommt. Was entgegnen Sie? In meine Seminare kommen die Teilnehmenden oft mit der Erwartungshaltung: „Wir sind hier jetzt mal total kreativ, wie cool, alles ganz agil …“ Da muss ich korrigieren: Ja, Kreativität und Freiheit haben durchaus ihren Platz, aber immer innerhalb eines bestimmten Rahmens. Fakt ist: Agiles Arbeiten ist sehr strukturiert und erfordert sogar sehr viel Disziplin! Vor allem mit Blick auf die Erledigung der Aufgaben innerhalb eines Sprints. Oder wenn es darum geht, die eigenen Fortschritte transparent zu machen … … dabei haben die meisten wahrscheinlich Flipcharts mit bunten Klebezetteln vor Augen, die ein Projekt abbilden. Wie können digitale Tools helfen, agiles Arbeiten umzusetzen? Für die Kommunikation von Beschäftigten untereinander haben sich Tools wie Teams und Slack inzwischen flächendeckend etabliert, für das Projektmanagement gibt es beispielsweise Trello und Jira. Alle Tools lassen sich nutzen, um Aufgaben zu verteilen, Fortschritte abzubilden, Prioritäten zu verschieben und Informationen zu teilen – kurzum: alles, was agilen Arbeitsweisen entgegenkommt. Außerdem tragen die Tools auch dem Bedürfnis nach mobilem Arbeiten Rechnung. Trotzdem ist es meiner Erfahrung nach wichtig, dass Teams auch zu Treffen in Präsenz zusammenkommen – dann auch gerne mit den klassischen Flipcharts und bunten Klebezetteln! Der persönliche Kontakt stärkt den Zusammenhalt. Und was man nicht vergessen darf: Alle Tools haben nur einen Mehrwert, wenn agiles Arbeiten und Denken schon in den Köpfen verankert ist. Heißt: Die Beschäftigten müssen sie pflegen, regelmäßig ihre Fortschritte eintragen und somit die Transparenz schaffen, die das agile Arbeiten ausmacht. Die Devise lautet also: erst das Mindset, dann das Tool! Genau. Agiles Arbeiten ist eine Haltungsfrage. Wie schnell sich neue Arbeitsweisen umsetzen lassen, hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel vom Status quo der Arbeitskultur in einem Unternehmen, einer Behörde, einer Organisation. Gibt es Erfahrungswerte, die Sie teilen können? Wie lange dauert die Umstellung? Meine Erfahrung ist, dass ein tiefgreifender Kulturwandel Zeit braucht, da sprechen wir nicht von Monaten, eher von Jahren. Eingespielte Denk- und Arbeitsweisen zu verändern, neue zu etablieren, diese einzuüben und vor allem dranzubleiben – das dauert. Aber meine Erfahrung ist auch: Veränderungen lassen sich oft schneller umsetzen als man denkt! Mitunter stellen sich erste Erfolge innerhalb von Wochen ein. Und aus diesen Erfolgen entstehen nicht selten Dynamiken, aus denen sich schnell weitere Schritte ergeben. Interview: Christoph Dierking Der Beitrag erschien zuerst auf staatklar.org. Führungskräfte haben die Aufgabe, den Beschäftigten Orientierung und Rückenwind zu geben. Kerstin Sarah von Appen ist Expertin für ChangeManagement und berät Führungskräfte in Unternehmen und Verbänden. © Henrik Andree FOKUS 11 dbb magazin | November 2025
INTERVIEW Dorothee Bär, Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt „Wir machen unser Land zum führenden Standort für neue Technologien“ Frau Ministerin, wie wollen Sie mit Ihrem „1 000-Köpfe-Plus-Programm“ und der Hightech Agenda sicherstellen, dass Deutschland angesichts des akuten Fachkräftemangels in Wissenschaft, Forschung und insbesondere MINT-Berufen international wettbewerbsfähig bleibt und weiterhin genügend hoch qualifizierte Akademikerinnen und Akademiker gewinnt? Mit der Hightech Agenda Deutschland wollen wir die Forschungs- und Technologiepolitik neu ausrichten. Wir wollen verstärkt in Zukunftstechnologien investieren und damit Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung in diesen Technologien erhöhen und auch die Sicherheit und Souveränität unseres Landes stärken. In einem ersten Schritt geht es um sechs Schlüsseltechnologien, die zentral für den Fortschritt in unserem Land sind: KI, Quantentechnologien, Mikroelektronik, Biotechnologie, Fusion und klimaneutrale Energieerzeugung sowie Technologien für klimaneutrale Mobilität. Deutschland verfügt in jedem dieser Bereiche bereits über ein im internationalen Vergleich hochattraktives Wissenschafts- und Forschungssystem – das zeigen uns aktuelle Rankings –, eine hohe technologische Leistungsfähigkeit und innovative Unternehmen. In jedem dieser Bereiche braucht es allerdings rasch Maßnahmen zur Stärkung der Innovationsökosysteme, damit Deutschland ein Topforschungsstandort bleibt und wieder ein wettbewerbsfähiger und souveräner Technologie- und Innovationsstandort wird. Gedanklich eng mit der Hightech Agenda Deutschland verknüpft ist das 1 000-Köpfe-Plus-Programm, das wir im Juli gestartet haben. Die Hightech Agenda Deutschland profitiert von der Gewinnung akademischer Fachkräfte aus dem Ausland. Wenn wir bei Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz oder Mikroelektronik an der Weltspitze mitspielen wollen, ist internationaler Austausch unverzichtbar. Mit dem 1 000-Köpfe-Plus-Programm bieten wir internationalen Nachwuchskräften und herausragenden Forschenden eine Perspektive im deutschen Wissenschaftssystem. Mit unserer Förderung werden die deutschen Wissenschaftseinrichtungen unterstützt, hierfür gute Angebote zu machen. Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, dass die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) mit der Umsetzung des Programms beginnen können. Und das wirkt: Seit Juli haben die AvH und die DFG bereits 84 Förderungen bewilligt. Bis zum Jahresende rechnen wir mit bis zu 170 Bewilligungen bei Stipendienprogrammen, Forschungspreisen und Forschungsverbänden. In der vergangenen Legislaturperiode scheiterte die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Für Nachwuchskräfte bedeutet das nach wie vor mitunter prekäre Beschäftigungsbedingungen. Welche konkreten Änderungen und Maßnahmen sind jetzt geplant, damit die Novelle bis Mitte 2026 gelingt und mehr Dauerstellen sowie bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft geschaffen werden? Deutschland ist ein attraktiver Wissenschaftsstandort. Um die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland gewinnen und halten zu können, müssen wir aber auch beste Arbeitsbedingungen bieten. Dazu gehören Verlässlichkeit, Planbarkeit und Transparenz in allen wissenschaftlichen Karrierewegen. Zudem braucht es auch mehr Durchlässigkeit und Mobilität sowie eine frühe Selbstständigkeit der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode sieht vor, die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft nachhaltig zu verbessern und in diesem Zusammenhang unter anderem das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) bis Mitte 2026 zu novellieren. Wir arbeiten gerade an einem Referentenentwurf, der anschließend in das Gesetzgebungsverfahren gehen wird. Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) © Bundesregierung/Steffen Kugler 12 FOKUS dbb magazin | November 2025
Wichtig ist aber: Das WissZeitVG kann nur einen Rahmen setzen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind selbst gefordert, verlässliche und nachhaltige Personalstrukturen zu schaffen. Deshalb setzen wir uns zugleich auch dafür ein, international anschluss- und wettbewerbsfähige Personalstrukturkonzepte zu etablieren – so wie sie der Wissenschaftsrat in seinem Positionspapier in diesem Sommer vorgeschlagen hat. Es gibt dazu mittlerweile zahlreiche Initiativen und Vorschläge in der Wissenschaft. Das begrüße ich sehr, denn eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Karrierewege kann nur gemeinsam mit allen Akteuren gelingen. Wir als Bund sind bereit, uns einzubringen und unseren Beitrag zu leisten. Künstliche Intelligenz und Quantentechnologien sind entscheidende Zukunftsfelder, in denen Verwaltungen und Forschungseinrichtungen Nachholbedarf haben. Wie kann am schnellsten aufgeholt werden? Künstliche Intelligenz und Quantentechnologien sind essenziell, um auch in Zukunft bei der Digitalisierung bestens aufgestellt zu sein. Auch deshalb sind beide prioritäre Schlüsseltechnologien der Hightech Agenda Deutschland. Wir machen unser Land zum führenden Standort für neue Technologien. Besonders wichtig ist hier der Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft. In der Forschung sind wir in beiden Bereichen vorn mit dabei. Mit JUPITER steht der viertschnellste Rechner der Welt bei uns – unter anderem für das Training neuer KI-Modelle. Wir müssen Kollaborationen von Forschungseinrichtungen mit Unternehmen und auch der Verwaltung stärken. Auch unsere Verwaltung wird von neuen KI-Tools, Quantencomputing-Anwendungen und abhörsicherer Quantenkommunikation profitieren. Ein spannendes Beispiel ist IPAI in Heilbronn, wo ich vor Kurzem am Spatenstich des neuen Campus teilnehmen durfte. Dort arbeiten bereits heute verschiedenste Akteure gemeinsam daran, KI in die Anwendung zu bringen. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Bürokratieabbau und Digitalisierung für die Zukunftsfähigkeit von Forschung und Wissenschaft? Für das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt als Zukunftsministerium hat Bürokratieabbau eine sehr hohe Priorität. Wir investieren in Zukunft statt in Formulare. Jede Stunde, die nicht in unnötige Antragstellungen gesteckt werden muss, ist eine Stunde mehr für Innovation, Forschung und Umsetzung. Dazu stehe ich auch im Austausch mit meinem Kollegen Karsten Wildberger im Digitalministerium. Erste Maßnahmen zum Bürokratierückbau habe ich direkt nach meinem Amtsantritt angestoßen. So wurde die Schwelle für vereinfachte Vergabeverfahren von bisher 30 000 Euro auf 100 000 Euro erhöht. Die Zuwendungsempfänger sparen damit zeitaufwendige Begründungen und Kosten. Wir haben ausgerechnet, dass die Reform für Forschende eine jährliche Einsparung von rund einer Million Euro ergibt. Darüber hinaus ist die durchgängige („end-to-end“) Digitalisierung für Projektförderanträge und Projektadministration bereits weit fortgeschritten. Die Digitalisierung der Bescheidbekanntgabe soll bis Ende 2025 abgeschlossen sein. Im Koalitionsvertrag haben wir außerdem vereinbart, das BAföG zu reformieren, um so mit einem starken Signal den Fachkräftenachwuchs zu unterstützen. Wir müssen dazu beitragen, das Antragsverfahren zu digitalisieren und zu vereinfachen. Die konkreten Inhalte der Reform werden derzeit erarbeitet. Ich will, dass erste Verbesserungen bereits im Studienjahr 2026/27 spürbar werden. Instandsetzungen, energetische Sanierungen, Ersatzbauten und Modernisierung: Der Investitionsstau an deutschen Hochschulen wird mittlerweile auf rund 140 Milliarden Euro geschätzt. Ein Sofortprogramm von Bund und Ländern soll die Misere lösen. Wann geht es los? Das vom Bund kreditfinanzierte Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) stellt den Ländern auf Grundlage des Länder-und-Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetzes insgesamt 100 Milliarden Euro zur Verfügung (Länderanteil SVIK gemäß Artikel 143h Absatz 2 Grundgesetz). Die Bundesregierung hat den Ländern als Kompensation für Steuerausfälle durch den Wachstumsbooster im Zuge der Investitionsoffensive insgesamt vier Milliarden Euro für die Jahre 2026 bis 2029 für Investitionen in die Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, Kitas sowie Hochschul- und Wissenschaftsinfrastruktur zugesagt. Die Umsetzung erfolgt im Wege von Finanzhilfen nach Artikel 104b Grundgesetz beziehungsweise auf Grundlage einer Bund-Länder-Vereinbarung nach Artikel 91b Grundgesetz. Für beide Themenfelder sind Mittel im SVIK vorgesehen. Ziel ist es, die vereinbarten vier Milliarden Euro ziel- und passgenau entsprechend den Einschätzungen der Länder einzusetzen. Die Modalitäten der Umsetzung werden derzeit zwischen den betroffenen Ressorts und anschließend mit den Ländern festgelegt. Demnach könnte die Verteilung der Mittel an die Länder nach dem Königsteiner Schlüssel erfolgen. Die Länder könnten dann selbst entscheiden, welchen Mittelanteil sie in die jeweiligen Förderbereiche investieren wollen. Der Bund kommt mit dieser Neujustierung in der Planung des SVIK dem dringenden Anliegen der Länder entgegen, mehr Flexibilität im Rahmen dieser Förderbereiche zu ermöglichen, die den teilweise stark divergierenden Bedarfen zwischen den Ländern angemessen Rechnung trägt. Im Wirtschaftsplan 2026 werden die Mittel so veranschlagt, dass passgenaue Lösungen möglich sind. Wenn Sie ein einziges Reformvorhaben sofort umsetzen könnten: Welches wäre es und warum? Ich habe bereits in den ersten 100 Tagen im Amt als Ministerin zwei mir besonders wichtige Vorhaben vorangetrieben und schon in die Umsetzung bringen können, die schon erwähnt wurden: die Hightech Agenda Deutschland und das 1 000-Köpfe-Plus-Programm. Da bleiben wir natürlich nicht stehen. Bei der Hightech Agenda Deutschland starten wir als Bund jetzt den gemeinsamen Umsetzungsprozess mit Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Wir wollen Forschung auf Spitzenniveau bewahren und mit unserer grundgesetzlich gesicherten Wissenschaftsfreiheit für internationale Spitzenforscherinnen und -forscher noch attraktiver werden. Ich will die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland stärken. Ganz grundsätzlich ist mir bei den Vorhaben meines Ministeriums wichtig, dass die Menschen spüren, dass die Themen meines Hauses Forschung, Technologie und Raumfahrt für jede und jeden wichtig sind und positive Auswirkungen haben. Für das Wohl und den Wohlstand der Menschen, für eine gute Zukunft für unser Land – deswegen spreche ich gerne vom BMFuTuRe. _ FOKUS 13 dbb magazin | November 2025
Verfolgung auf der Ostsee, in der Kadetrinne, einem Seegebiet nordöstlich der Mecklenburger Bucht. Die Matrosen der Lübeck legen noch einmal Kohle nach, für ein paar zusätzliche Knoten. Dampf steigt aus dem Kessel. Sie kommen immer näher an das Postschiff Friedrich Franz II heran, einen Raddampfer, der Kaufleuten aus Wismar gehört und sich auf seiner ersten Fahrt nach Kopenhagen befindet. Die Kaufleute wollen langfristig eine Schiffsverbindung zwischen den beiden Städten etablieren. Das passt den Besitzern der Lübeck gar nicht, weil sie bereits eine Linie zwischen Travemünde und der dänischen Hauptstadt betreiben. Ihr Plan: die unliebsame Konkurrenz wegrammen. Der Plan geht auf. Die Friedrich Franz II sinkt. Zwei Menschen sterben. So hat es sich am 22. Juli 1849 zugetragen. Die Ereignisse sind gut dokumentiert, es gibt Berichte der Kapitäne, auch die sich anschließende Gerichtsverhandlung ist überliefert. „Das Wrack des Raddampfers hat man allerdings lange nicht gefunden“, sagt Andreas Thies. Das sollte sich im Jahr 2020 ändern. Doch der Reihe nach: Andreas Thies ist selbst Kapitän. Heute, mehr als 170 Jahre nach den Ereignissen in der Kadetrinne, gibt er Einblicke in seine Arbeit auf der Deneb. Das Schiff gehört zur Flotte des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) und ist in der Ostsee im Einsatz. Die Crew, bestehend aus 16 Seeleuten, darunter Taucher und ein Koch, ist in der Regel zehn Tage am Stück auf See. Viele besitzen eine Doppelqualifikation, beispielsweise eine Ausbildung zum Seevermessungstechniker oder Tauchersignalmann. Je nach Bedarf können zusätzlich bis zu sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Bord kommen. Entsprechend wohnlich die Kapitänskajüte: Die Wände mit dunklem Holz verkleidet, es gibt einen Lesesessel, eine Sofaecke mit einem Tisch, ideal zum Kartenspielen. „Wir können ja nach Feierabend nicht einfach nach Hause gehen“, sagt der Kapitän. Das geht erst, wenn die Deneb nach zehn Tagen auf See wieder im Rostocker Hafen liegt, direkt neben dem Gebäude des BSH. Das ist an diesem Herbstmorgen im Oktober der Fall. Hightech auf See Wenn man so will, ist die Deneb eine schwimmende Messplattform, ausgestattet mit moderner Technik. Ohne die Arbeit der Crew wäre unklar, wo Schiffe ausreichend Wasser unter dem Kiel haben, um sicher über die Ostsee zu navigieren. Unklar wäre auch, wo am Meeresboden mögliche Gefahren lauern – etwa Wrackteile oder Steinblöcke. Und letztlich würde die Datengrundlage für Seekarten fehlen, die eben diese Erkenntnisse dokumentieren und für die Schifffahrt unverzichtbar sind. „Messen ist unsere Kernkompetenz“, berichtet Thies. Der 59-jährige Nautiker hat ebenfalls ein Studium zum Vermessungsingenieur absolviert. REPORTAGE Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) Die Vermesser der See Ohne Seekarten, in denen sichere Korridore eingezeichnet sind, wäre Seeschifffahrt kaum möglich. Für die Ostsee liefert die Crew der Deneb die erforderlichen Daten. Das Schiff ist Teil der Flotte des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). In Ausnahmefällen können auch Rettungseinsätze dazugehören. 14 FOKUS dbb magazin | November 2025
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