dbb magazin 10/2025

Nachgefragt bei Dr. Carola Reimann, AOK-Bundesverband Die Chancen der Krankenhausreform ergreifen Eine Umfrage der Unternehmensberatung Roland Berger hat ergeben, dass private Krankenhäuser und Kliniken überwiegend in der Gewinnzone sind, während 89 Prozent der Häuser in öffentlicher Trägerschaft rote Zahlen schreiben. Wird dort einfach nur schlecht gewirtschaftet oder liegen die Gründe für das Defizit tiefer? Ganz sicher ist es nicht so, dass Häuser in öffentlicher Trägerschaft per se schlechter geführt werden als andere Krankenhäuser. Die roten Zahlen bei den öffentlichen Kliniken haben mehrere Ursachen. Schauen wir zunächst auf die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für den Krankenhausbereich: Sie sind im vergangenen Jahr 2024 um fast neun Prozent beziehungsweise mehr als acht Milliarden Euro auf mehr als 101 Milliarden Euro gestiegen – und der Trend zu immer höheren Ausgaben ist auch im ersten Halbjahr 2025 ungebrochen. Weitere rund 14 Milliarden Euro an jährlichen Einnahmen kommen noch von der privaten Krankenversicherung sowie von den Berufsgenossenschaften. Darüber hinaus sollen jetzt vier Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur an die Krankenhäuser fließen. Es ist also so viel Geld da wie nie zuvor – und dieses Geld wird weiter mit der Gießkanne verteilt. Damit sind wir schon beim Kern des Problems: Viele Bundesländer haben es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten leider versäumt, die Krankenhausplanung zukunftsfähig zu gestalten und an der qualitätsorientierten Zentralisierung von Krankenhausbehandlungen zu arbeiten. Wir haben dadurch ineffiziente Krankenhausstrukturen – und davon sind insbesondere die öffentlichen Klinikträger betroffen. Schon 2018 hat der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium eine „angebotsinduzierte Nachfrage im Krankenhaussektor“ kritisiert. Er hat damals die Effizienzreserven im Krankenhausbereich „ohne Einschränkung bei Dichte oder Qualität der Versorgung“ auf 20 Prozent geschätzt. Reformen, die andere europäische Länder schon vor Jahren angestoßen haben, sind in Deutschland ausgeblieben. In der Coronapandemie hat der Bund den Krankenhäusern mit umfangreichen Ausgleichszahlungen und mit Energiehilfen durch die Inflation des Jahres 2022/2023 geholfen. Obwohl die Fallzahlen der Kliniken bereits seit 2017 gesunken waren, sind die Strukturen nahezu unverändert geblieben. So versuchen heute annähernd so viele Kliniken wie 2019 sich mit 13,4 Prozent weniger Behandlungsfällen zu finanzieren. Private Träger schauen stärker auf die Rendite. Eine zentrale Logistik oder die gebündelte Beschaffung ermöglichen gerade bei großen privaten Klinikträgern sicherlich signifikante Einsparungen. Der Kern des Problems der öffentlichen Kliniken liegt aber in den ausgebliebenen Strukturreformen. Hinzu kommt, dass die Bundesländer schon seit vielen Jahren ihren Verpflichtungen zur Finanzierung der Investitionskosten der Krankenhäuser nicht nachkommen. Das erhöht den wirtschaftlichen Druck auf diese Häuser noch zusätzlich. Einen Ausweg kann die aktuell geplante Krankenhausreform bieten – aber nur, wenn sie richtig und konsequent umgesetzt wird. Hier sehen wir vor allem beim Thema Finanzierung noch Nachbesserungsbedarf: Wir brauchen dringend die Einführung einer bedarfsorientierten und fallzahlunabhängigen Vorhaltefinanzierung. Statt an historischen Fallzahlen – wie aktuell geplant – sollte sich die Vorhaltefinanzierung am medizinischen Versorgungsbedarf der Bevölkerung und an den entsprechenden Planungen der Länder orientieren. Perspektivisch brauchen wir daher ein Bedarfsbemessungsinstrument als Basis zur Ermittlung der Vorhaltefinanzierung. Die Entwicklung dieses Systems muss zeitnah von der Bundesregierung beauftragt werden, damit es rechtzeitig zur Verfügung steht. Die öffentlichen Kliniken sollten die Chancen der Krankenhausreform ergreifen und stärker als bisher auf qualitätsorientierte Konzentration ihrer Leistungen setzen. Die Leistungsgruppen bieten dafür eine gute Basis. Die Häuser müssen ihre Strukturen hinterfragen und sich auf das konzentrieren, was in den nächsten Jahren medizinisch wirklich benötigt wird. Dabei müssen Digitalisierung, Fachkräftemangel und die sich verändernden Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten mit einbezogen werden. _ Dr. Carola Reimann ist Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. © AOK BV 18 FOKUS dbb magazin | Oktober 2025

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