dbb magazin Gesundheitssystem | Therapien gegen chronische Finanznot Interview | Katharina Schenk, Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz dbb-Regionalkonferenzen | Die Länder müssen konkurrenzfähiger werden 10 | 2025 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst
STARTER Wie das Gesundheitssystem wieder auf Kurs kommt Die Krankenhausreform steht an einem Scheideweg. Wer jetzt Ausnahmen zur neuen Qualitätslogik anhäuft, macht aus der nötigen Strukturreform einen Flickenteppich, zulasten von Patientensicherheit und Beschäftigten. Genau davor warnt der dbb: Mindestanforderungen dürfen nicht per Rechentrick erfüllt, Qualitätsstandards nicht über „Hintertüren“ weichgezeichnet werden. Sonst droht die „Rolle rückwärts“. Gleichzeitig ist die finanzielle Basis brüchig: Drei Viertel der Kliniken schlossen 2024 mit Defizit ab, wobei besonders öffentliche Häuser unter Druck stehen. Positiv: Der geplante Transformationsfonds soll mit 50 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur gespeist werden und entlastet so die Beitragszahler – aber nur, wenn er zügig kommt und verlässlich geplant wird. Die Kostenlawine rollt dennoch weiter. Digitalisierung könnte gegensteuern, doch Deutschlands Kliniken investieren im internationalen Vergleich zu wenig in IT-Betrieb und -Personal. Und: Ohne attraktive Gesundheitsberufe, zum Beispiel in der Pflege, bleibt jede Strukturreform hohl. Einheitliche Assistenzausbildung, Vergütungsanspruch und Durchlässigkeit sind Schritte nach vorn – eine Abwertung der Pflegeberufe durch zu niedrige Einstiegshürden wäre es nicht. Mehr Personal gewinnt man mit verlässlichen Dienstplänen, familienfreundlichen Strukturen und tariflich sauber hinterlegten Ausbildungsentgelten. Reformen im Gesundheitssystem sind unabdingbar, keine Frage. Dabei muss gelten, „Qualität vor Ausnahme“ gesetzlich festzuschreiben, den Transformationsfonds schnell und dauerhaft aus Bundesmitteln zu sichern, den IT-Betrieb nachhaltig zu finanzieren und eine Attraktivitätsoffensive für Gesundheitsberufe zu starten, damit das deutsche Gesundheitswesen wieder auf Kurs kommt. br 12 5 14 TOPTHEMA Gesundheitspolitik AKTUELL NACHRICHTEN Interview mit der Funke-Mediengruppe: „Beamte werden nicht so wahrgenommen, wie sie es verdient hätten“ 4 Alterssicherung: Seriöse Debatte unerlässlich 4 TARIFPOLITIK dbb Regionalkonferenzen: Die Länder müssen konkurrenzfähiger werden 5 UMFRAGE dbb Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst 2025: Was Bürgerinnen und Bürger vom Staat erwarten 8 FOKUS INTERVIEW Katharina Schenk, Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz 12 DOSSIER GESUNDHEITSPOLITIK Kosten im Gesundheitswesen: Wie Digitalisierung die Preisspirale stoppen kann 14 Krankenhausreform: Wege aus dem Defizit 16 Nachgefragt bei Dr. Carola Reimann, AOK-Bundesverband 18 E-Health: Deutschland kränkelt bei der Digitalisierung 20 Gesundheitskioske: Alles andere als „easy-going“ 24 Personal im Pflegebereich: Reformen müssen Anreize schaffen 26 ONLINE eGovernment MONITOR 2025: Das Vertrauen sinkt, die Ansprüche steigen 29 INTERN PODCAST dbb Podcast „DienstTag“: „Wir sind die Staubsaugervertreter der Bundesrepublik“ 36 SERVICE Impressum 42 KOMPAKT Gewerkschaften 44 © Unsplash.com/Alexander Mills 29 © Unsplash.com/Cj AKTUELL 3 dbb magazin | Oktober 2025
NACHRICHTEN Alterssicherung Seriöse Debatte unerlässlich Die Bundesregierung plant, eine Kommission zur Reform der Alterssicherungssysteme einzusetzen. Der dbb bietet seine Unterstützung an, denn nicht nur aufgrund des demografischen Wandels ist eine seriöse Debatte über die Stabilität der Alterssicherungssysteme dringend notwendig. Das gelte gerade mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung, sagte dbb-Chef Volker Geyer nach einem Gespräch mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Bas, am 9. September 2025 in Berlin. „Die Menschen im Land sind aufgrund globaler Krisen und der wirtschaftlichen Stagnation im Land ohnehin verunsichert und verlieren das Vertrauen in den Staat. Das hat unsere dbb Bürgerbefragung gerade erst wieder gezeigt. Deshalb ist es umso wichtiger, die Diskussion um mögliche Reformen sachlich und fachlich fundiert zu führen. Die von der Bundesregierung geplante Kommission ist dafür der richtige Ort. Wir stehen bereit, um unsere Expertise einzubringen.“ Die von Bas vorgeschlagene Einbeziehung der Beamtinnen und Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) lehnt der dbb weiter entschieden ab. Geyer: „Bereits die Rentenkommission, die der vorherige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eingesetzt hat, kam zu dem Ergebnis, dass das die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung voraussichtlich sogar eher erschweren würde.“ Der wenn überhaupt kurzfristigen Entlastung der GRV stünde außerdem eine deutlich höhere Belastung des öffentlichen Haushalts gegenüber, weil die Besoldung der Beamtinnen und Beamten entsprechend angepasst werden müsste – inklusive der Beiträge zur GRV und Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung. „Damit würde also kein einziges Problem gelöst, sondern nur neue geschaffen“, so Geyer. _ dbb-Chef Volker Geyer und der Zweite Vorsitzende des dbb und Fachvorstand Tarifpolitik, Andreas Hemsing, im Gespräch mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Bas. © Jan Brenner Interview mit der Funke-Mediengruppe „Beamte werden nicht so wahrgenommen, wie sie es verdient hätten“ Ob als Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger oder Dienstherr für seine Beamtinnen und Beamten: Der Staat soll wieder ein verlässlicher Partner sein, fordert der dbb-Chef. Aus Sicht der Menschen funktioniert der Staat nicht mehr so, wie sie es erwarten. Das Bürgeramt ist nur ein Beispiel: Die Terminvergabe dauert viel zu lang, überall fehlt Personal“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Volker Geyer im Interview mit der Funke-Mediengruppe am 18. September 2025 mit Blick auf das schwindende Vertrauen der Bevölkerung in die Leistungsfähigkeit des Staates. Pauschale Kritik an Beamtinnen und Beamten weist Geyer in diesem Zusammenhang entschieden zurück: „Sie arbeiten jeden Tag sehr hart, leisten Überstunden und geben ihr Bestes, damit dieser Staat überhaupt funktioniert.“ Vielmehr müsse der Staat sich gegenüber seinen Beamtinnen und Beamten wieder mehr als verlässlicher Partner erweisen, so der dbb Bundesvorsitzende: „Der Staat muss dazu verpflichtet werden, verbindlich Rücklagen zu bilden, um die Pensionen sicher finanzieren zu können. Das fordern wir seit Jahrzehnten. Und das ist zum Teil ja auch geschehen. Daran haben sich über einen gewissen Besoldungsverzicht übrigens auch die Beamtinnen und Beamten beteiligt. Aber es mangelt an Verlässlichkeit. SchleswigHolstein zum Beispiel löst diesen Fonds jetzt auf und stopft mit diesem Geld aktuelle Haushaltslöcher. Ein völlig falscher Weg!“ _ Model Foto: Peopleimages/Colourbox.de 4 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2025
TARIFPOLITIK dbb-Regionalkonferenzen Die Länder müssen konkurrenzfähiger werden Vor den Tarifverhandlungen hat die dbb Spitze mit den Mitgliedern diskutiert, bevor am 17. November die Forderungen zur Einkommensrunde 2025/2026 für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder erhoben werden. Neben einer linearen Einkommenserhöhung standen bei den Kolleginnen und Kollegen die Attraktivität der Arbeitsplätze und eine nachhaltige Personalpolitik im Fokus des Interesses. Andreas Hemsing, Zweiter Vorsitzender und Fachvorstand Tarifpolitik des dbb, fasste am 2. September 2025 die Diskussion in Köln zusammen: „Die Kolleginnen und Kollegen sehen deutlichen Handlungsbedarf, was ihre Bezahlung angeht. Die Länder müssen auf dem Arbeitsmarkt wieder konkurrenzfähiger werden. Gleichzeitig hat sich aus Sicht der Beschäftigten über die Jahre ein enormer Handlungsstau bei vielen Einzelthemen aufgebaut.“ Hier wirken sich auch die ausgebliebenen Verhandlungen zur Tarifpflege aus, zu denen die Tarifgemeinschaft deutscher Länder nicht bereit war. Hemsing weiter: „Wir sehen, dass Entlastung und Arbeitszeitsouveränität große Themen sind. In der Einkommensrunde 2025 mit Bund und Kommunen sind wir hier erste Schritte in die richtige Richtung gegangen. Die Landesbeschäftigten haben die klare Erwartung, dass die Länder hier mehr tun und sich als moderne Arbeitgeber präsentieren.“ Tarifergebnisse zeit- und wirkungsgleich übertragen Roland Staude, Erster Vorsitzender des DBB NRW, brachte die spezifische Perspektive der Landesbeamtinnen und -beamten in Nordrhein-Westfalen in die Diskussion ein: „Wie bei jeder Einkommensrunde ist für den dbb klar, dass die Tarifergebnisse zeit- und wirkungsgleich auf die Beamtinnen und Beamten sowie die Versorgungsempfängerinnen und -empfänger in den Ländern und Kommunen übertragen werden müssen.“ Zu Äußerungen von NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann über die Gleichstellung von Pensionen mit Renten stellte Staude fest: „Die Forderung zeugt von wenig Kenntnis von Besoldung und Versorgung. Auch in der Landesregierung dürfte inzwischen einschlägig bekannt sein, dass jede Kürzung im Bereich der Pensionen laut Bundesverfassungsgericht automatisch zu einer Erhöhung der Besoldung während der aktiven Phase führt. Minister Laumann mag das Arbeitsrecht beherrschen, aber im Beamtenbereich hat er noch große Defizite.“ Leistung angemessen würdigen Auf der Regionalkonferenz am 3. September 2025 in Mainz erklärte Andreas Hemsing: „Klar ist, dass zur Steigerung der Attraktivität und zum Ausgleich der Preissteigerungen unsere Kernforderung in dieser Einkommensrunde die lineare Entgelterhöhung sein muss.“ Bewegung forderte der dbb Vize auch in puncto Arbeitsentlastung. Ziel müsse es sein, die Arbeit für Bürger und öffentlichen Dienst gleichermaßen attraktiver zu machen und junge Menschen für diese Tätigkeiten zu gewinnen. Peter Mertens, stellvertretender Landesvorsitzender und Vorsitzender der dbb arbeitnehmervertretung rheinlandpfalz, unterstrich: „Unsere Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst der Länder leisten tagtäglich einen unverzichtbaren Beitrag für unsere Gesellschaft. Die Tarifverhandlungen mit den Ländern bieten die Chance, diese Leistungen angemessen zu würdigen und die Teilhabe an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sicherzustellen.“ Redebeiträge der Beschäftigten waren auf den Regionalkonferenzen wie hier in Köln ausdrücklich erwünscht. Der Zweite Vorsitzende und Fachvorstand Tarifpolitik des dbb, Andreas Hemsing, leitete die Regionalkonferenzen. © Friedhelm Windmüller (8) AKTUELL 5 dbb magazin | Oktober 2025
Sascha Alles, Landesvorsitzender des dbb saar, zog als Fazit aus der Diskussion: „Aufgrund der Überalterung fehlt eine Vielzahl von Beschäftigten. Es kann nicht sein, dass die Kolleginnen und Kollegen dies allein auf ihren Schultern tragen müssen. Die Überlastung der Beschäftigten muss zu Konsequenzen bei der Arbeitszeitgestaltung führen. Daneben erwarten wir aber natürlich auch eine spürbare Erhöhung der Entgelte sowie der Besoldung und Versorgung.“ Vertrauen zurückgewinnen Auf der Leipziger Regionalkonferenz beklagten dbb Mitglieder am 8. September 2025 neben Mehrbelastungen auch den Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in staatliche Akteure. Hemsing: „Wir fordern die Angleichung zwischen Ost und West. Für die Landesbeschäftigten ist es wichtig, die Differenzen zum TVöD aufzuheben. Außerdem fehlt es im öffentlichen Dienst mittlerweile an allen Ecken und Enden an Personal – dem muss entgegengesteuert werden.“ Der Personalmangel beeinträchtige am Ende auch das Vertrauen in einen funktionsfähigen Staat. „Hier müssen auch die Länder dringend gegensteuern, die Arbeit im öffentlichen Dienst muss attraktiver werden.“ Frank Schönborn, Vorsitzender des tbb beamtenbund und tarifunion thüringen, fügte hinzu: „Eine moderne, wertschätzende Personalpolitik erfordert stetige Anpassungen bei der Bezahlung.“ Beschäftigte, ob verbeamtet oder tarifbeschäftigt, leisteten tagtäglich unverzichtbare Arbeit – ob bei der Polizei, in den Schulen oder in der Verwaltung. Sie alle litten noch immer unter inflationsbedingten Kaufkraftverlusten. „Der Tarifabschluss muss daher selbstverständlich auf die Beamtinnen und Beamten sowie Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger übertragen werden.“ Mehr Nachhaltigkeit gefordert Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erwarten von der anstehenden Einkommensrunde eine bessere Bezahlung und ein nachhaltiges Personalmanagement. Das haben Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg, Bremen, MecklenburgVorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen am 11. September 2025 auf der dbb Regionalkonferenz in Hamburg deutlich gemacht. Für Andreas Hemsing ist klar: „Wenn Bürgerinnen und Bürger den Mangel in Kitas, Schulen oder der Verwaltung spüren, kann das weder der Anspruch der Beschäftigten noch der Arbeitgeber sein. Deshalb ist es wichtig, gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen, damit sich die Länder wieder als moderne, verlässliche Arbeitgeber zeigen. Der öffentliche Dienst steht vor einem immensen Veränderungsprozess, den es zusammen zu meistern gilt“, so Hemsing. Von den zu eröffnenden Perspektiven sollen auch Landesbeamtinnen und -beamte profitieren. Der Vorsitzende des dbb hamburg, Thomas Treff, betrachtet die Einkommensrunde als Chance, die Bezahlung in den Landesdiensten für alle Statusgruppen Kolleginnen und Kollegen auf der Regionalkonferenz in Leipzig. Großes Auditorium in Hamburg. Rege Beteiligung auch in Stuttgart. 6 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2025
zukunftsgerecht weiterzuentwickeln. „Dafür brauchen wir einen langen Atem und klare Signale an die Beschäftigten, die hier bei uns im Norden das Land tagtäglich am Laufen halten.“ Gerade im Bereich Besoldung und Versorgung wünschten die Kolleginnen und Kollegen mehr Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein, ohne dass dabei das Beamtentum infrage gestellt wird. Auf der Regionalkonferenz am 16. September 2025 in Stuttgart unterstrich Andreas Hemsing die Bereitschaft des dbb, bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit den öffentlichen Arbeitgebern zusammenzuarbeiten, damit sich die Servicequalität nicht weiter verschlechtert. Kai Rosenberger, Landesvorsitzender des BBW, pflichtete Hemsing bei: „Wir müssen gemeinsam mit der Arbeitgeberseite die Chance nutzen, bestehende Reallohnverluste der vergangenen Jahre in dieser Einkommensrunde zu kompensieren.“ Personal ist von entscheidender Bedeutung „Die Beschäftigten des Staates sollen immer Aufgaben übernehmen und sind immer mehr Stress ausgesetzt, so kann es nicht weitergehen“, sagte dbb-Chef Volker Geyer am 17. September 2025 beim Abschluss der Regionalkonferenzen in Nürnberg. „Wir müssen alles dafür tun, um mehr Personal zu gewinnen. Nur so können wir die Beschäftigten entlasten. Nur so können wir den Bürgerinnen und Bürgern die Qualität in der Daseinsvorsorge bieten, die sie verdienen – egal ob es um die Bildung in den Schulen geht oder um die Sicherheit auf den Straßen. Die Formel ist simpel: Ohne attraktive Arbeitsbedingungen und ohne konkurrenzfähige Gehälter gibt es kein Personal. Das hat für uns in der kommenden Einkommensrunde oberste Priorität!“ Andreas Hemsing zog sein Fazit aus den Regionalkonferenzen: „Wir dürfen uns weder im Vergleich zu Bund und Kommunen noch gegenüber der Privatwirtschaft abhängen lassen. Der öffentliche Dienst muss den Anspruch haben, attraktive und konkurrenzfähige Arbeitsplätze zu bieten. Nur mit fairen und modernen Rahmenbedingungen können wir den öffentlichen Dienst zukunftssicher gestalten, Fachkräfte halten, junge Talente gewinnen und die Leistungsfähigkeit unserer Verwaltung langfristig sichern. Andernfalls verschärfen sich die Personalengpässe, was am Ende nicht nur die Beschäftigten, sondern die gesamte Gesellschaft trifft. Darauf werden wir die Arbeitgebenden nachdrücklich hinweisen.“ Rainer Nachtigall, Vorsitzender des Bayerischen Beamtenbundes (BBB), warnte vor den Folgen eines schwachen Abschlusses: „Ein Ergebnis unterhalb des TVöD gefährdet nicht nur die Attraktivität des Freistaats als Arbeitgeber, sondern wirkt sich auch auf die Beschäftigten aus“, sagte er. „Die Folge wären höhere Fluktuation, längere Einarbeitungszeiten und zusätzliche Belastungen für die Teams vor Ort. Bayern muss deshalb in der TdL aktiv mitgestalten und für ein Ergebnis sorgen, das gleichzeitig auf Beamtinnen, Beamte und Versorgungsempfänger übertragen wird. In Bayern stehen wir zusammen – jede Statusgruppe trägt Verantwortung, und gemeinsam sind wir gefordert.“ _ Lebhafte Diskussion in Mainz. dbb-Chef Volker Geyer sprach auf der Regionalkonferenz in Nürnberg. Kolleginnen und Kollegen in Nürnberg. AKTUELL 7 dbb magazin | Oktober 2025
UMFRAGE dbb Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst 2025 Was Bürgerinnen und Bürger vom Staat erwarten Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat sinkt das fünfte Jahr in Folge. Dabei haben die Deutschen klare Vorstellungen davon, wie es besser geht. Bürgernähe ist gefragt, die öffentliche Verwaltung soll einfacher, schneller und digitaler werden. 73Prozent der Deutschen halten den Staat mit Blick auf die zahlreichen Baustellen der Nation für überfordert. Die Asyl- und Flüchtlingspolitik, soziale Sicherungssysteme, Rente, Schul- und Bildungspolitik, Steuer- und Finanzpolitik, innere Sicherheit sowie Gesundheitsversorgung werden am häufigsten als Themenfelder genannt, bei denen der Staat nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Das zeigt die Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst, die das Meinungsforschungsinstitut forsa auch 2025 für den dbb durchgeführt hat. 70 Prozent glauben auch nicht daran, dass sich unter der neuen Bundesregierung daran etwas ändert. „Union und SPD müssen jetzt geschlossen auftreten und abliefern“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Volker Geyer bei der Vorstellung der Ergebnisse am 3. September 2025. „Sie müssen die Dinge, die den Menschen wichtig sind und die ja teilweise auch bereits im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, jetzt professionell abarbeiten. Wenn davon wieder nichts im Alltag der Menschen ankommt, folgt auf den ungebremsten Sinkflug des Vertrauens ein ganz harter Aufprall.“ Konsequente Aufgabenkritik gefordert Die Bürgerinnen und Bürger haben ganz klare Vorstellungen davon, was verbessert werden muss: Vorschriften sollen verringert und vereinfacht, ihre Anliegen deutlich schneller bearbeitet und mehr staatliche Dienstleistungen online erledigt werden können. Erstmals seit der Erhebung der Daten findet eine Mehrheit der Befragten zudem, dass der öffentliche Dienst die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu viel Geld kostet. „Wir fordern deshalb schon lange, dass endlich die notwendigen gesellschaftlichen Debatten geführt werden: Welche Aufgaben muss und kann der Staat zukünftig noch erfüllen? Antworten muss die Politik geben und mit Bürgerinnen und Bürgern verhandeln. Angesichts knapper Kassen und vor allem des immer drastischeren Personalmangels führt an dieser Diskussion kein Weg vorbei“, erklärte der dbb-Chef, der außerdem große Erwartungen an das neue Digitalministerium hat. „Wenn es Karsten Wildberger gelingt, Digitalisierung und KI-Einsatz in der Verwaltung endlich flächendeckend voranzubringen, spart das nicht nur Kosten und entlastet die Kolleginnen und Kollegen. Es erfüllt auch die klare Forderung der Bürgedbb-Chef Volker Geyer und forsa-Geschäftsführer Peter Matuschek (links) stellten die Ergebnisse der Bürgerbefragung in Berlin vor. © Marco Urban 8 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2025
rinnen und Bürger nach einem digitalen öffentlichen Dienst mit schnellen und bürgernahen Serviceleistungen.“ „Dass die offensichtlich vorhandenen Probleme bislang eher ausgesessen wurden, hat nicht zuletzt auch Konsequenzen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und das Prestige ihrer Berufe“, erklärte Geyer mit Blick auf das in der forsa-Umfrage enthaltene Berufe-Ranking. Selbst die traditionell beliebten Feuerwehrleute, Polizistinnen und Polizisten, Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas sowie Müllwerker haben erstmals seit Erhebung der Daten – wenn auch nur im geringen Ausmaß – an Ansehen verloren. „Das wird den Kolleginnen und Kollegen, die mehrheitlich überragenden Einsatz trotz widriger Bedingungen zeigen, nicht gerecht. Wirklich dramatisch wird es aber, wenn dieser Ansehensverlust in Extremfällen in Hass und Gewalt umschlägt“, so Geyer. Mit 30 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben vier Prozent mehr als im Vorjahr schon einmal beobachtet, dass Beschäftigte des öffentlichen Dienstes behindert, belästigt, beschimpft oder angegriffen wurden. Besonders betroffen sind dabei neben Einsatzkräften von Polizei und Rettungsdiensten auch Fahrerinnen und Fahrer von Bussen und Straßenbahnen. Die Hälfte aller Beschäftigten wünscht sich mehr Schutz und Unterstützung von ihren Arbeitgebern und Dienstherren. „Der Staat darf seine Beschäftigten nicht alleinlassen. Das bedeutet: umfassende Prävention, lückenlose Dokumentation, volle Unterstützung für Betroffene und konsequentes Verfolgen von Täterinnen und Tätern.“ Tätlichkeiten nehmen zu Wie aus der Sonderumfrage zu Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes hervorgeht, meint wie bereits in den Jahren 2019 und 2023 auch aktuell eine Mehrheit der Menschen (84 Prozent), dass die Gesellschaft zunehmend verroht und der Umgang untereinander rücksichtsloser und brutaler wird. Nur zwölf Prozent der Befragten sind nicht dieser Ansicht. Diese Einschätzung findet sich bei Ost- und Westdeutschen sowie bei Männern und Frauen in ähnlichem Maße. Befragte unter 30 sowie diejenigen mit weiterführender Schulbildung wie Abitur und Studium teilen diese Einschätzung etwas seltener als der Durchschnitt aller Befragten. Bei den von Gewalt betroffenen Personengruppen haben die Befragten am häufigsten Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten (60 Prozent) oder auf Rettungskräfte und Notärztinnen und -ärzte (56 Prozent) beobachtet. 43 Prozent haben mitbekommen, wie Bus- oder Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer im Dienst beschimpft, behindert oder angegriffen wurden. Jeweils 36 Prozent haben dies bei Ordnungsamtmitarbeitenden oder Feuerwehrleuten beobachtet, jeweils 30 Prozent bei Lehrkräften und bei Beschäftigten im Sicherheitsdienst. 28 Prozent beobachteten Übergriffe auf Lokführerinnen und Lokführer oder Zugbegleiter. Zeuge von Angriffen auf Mitarbeitende im Jobcenter der Agentur für Arbeit wurden 17 Prozent, 16 Prozent haben Angriffe auf Erzieherinnen und Erzieher beobachtet. Von den im öffentlichen Dienst Beschäftigten haben 50 Prozent angegeben, bei ihrer Tätigkeit schon selbst behindert, beschimpft oder tätlich angegriffen worden zu sein. Das sind auch die am häufigsten genannten Arten der Übergriffe: 82 Prozent gaben an, beleidigt worden zu sein, 73 Prozent wurden angeschrien. Jeder dritte Betroffene (32 Prozent) gab an, körperlich bedrängt worden zu sein. 18 Prozent wurden geschlagen, 17 Prozent bespuckt. _ Die dbb Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst 2025 und der Sonderteil Gewalt gegen Beschäftigte kostenlos im Download: dbb.de/mediathek Webtipp dbb Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst 2025 Foto: Colourbox.de Einschätzungen, Erfahrungen und Erwartungen der Bürger AKTUELL 9 dbb magazin | Oktober 2025
NACHRICHTEN Handlungsfähigkeit des Staates Der Reformdruck steigt Im Juli 2025 hat die Initiative für einen handlungsfähigen Staat ihren Abschlussbericht vorgelegt und mehr Digitalisierung sowie eine praxistaugliche Gesetzgebung gefordert. Der dbb Bundesvorsitzende Volker Geyer hat sich mit den Akteuren getroffen. Um das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen, seien schnelle und entschlossene Reformen unabdingbar: „Die Digitalisierung steht mit ganz oben auf der Prioritätenliste, denn sie erleichtert die Interaktion des öffentlichen Dienstes mit den Bürgerinnen und Bürgern. Es geht darum, Barrieren abzubauen und Brücken aufzubauen, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte Geyer am 4. September 2025 beim Treffen mit dem früheren Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der zu den Mitbegründern der Initiative gehört. Das sei ohne ausreichend Fachkräfte unmöglich, denn „wer gutes Personal will, muss für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Dazu gehören eine konkurrenzfähige Bezahlung und attraktive Arbeitszeitmodelle. Es versteht sich von selbst, dass es mit der Handlungsfähigkeit des Staates schwierig wird, wenn an allen Ecken und Enden Personal fehlt.“ Dem Vorhaben, die Personalplanung des Bundes im neuen Ministerium für Digitales und Staatsmodernisierung zu bündeln, steht der dbb-Chef allerdings kritisch gegenüber: „Aus meiner Sicht ist das realitätsfern. Die hierfür erforderliche Kommunikation – Bedarfe abfragen und vermitteln – würde bloß zusätzliche Bürokratie verursachen. Personalplanung muss in den Bundesbehörden selbst erfolgen, weil dort das Wissen über erforderliche Kompetenzen und gefragte Tätigkeiten vorhanden ist.“ Das machte Geyer auch in einem Gespräch mit dem Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, Karsten Wildberger, am 19. September deutlich und forderte eine grundsätzliche Aufgabenkritik, weil die Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen aus personellen Ressourcen endlich sind: „Neben der Digitalisierung liegen die wirklich großen Einsparpotenziale in der Aufgabenkritik, welche Leistungen der Staat künftig erfüllen soll. Das muss die Politik mit den Bürgern verhandeln und für diese Aufgaben entsprechende Ressourcen bereitstellen. Heute werden eher immer neue Gesetze und Verordnungen erlassen, für deren Umsetzung aber Personal oder digitale Lösungen fehlen. Das ist Gift für das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.“ Geyer betonte weiter, dass die Beschäftigten an der Umsetzung der geplanten Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung beteiligt werden müssen. Als Verwaltungsexperten seien deren Ideen und Erfahrungen unabdingbar für eine erfolgreiche Modernisierung. Mit Blick auf den Finanzrahmen warnte Geyer vor zu großen Erwartungen an kurzfristige Entlastungseffekte in den öffentlichen Haushalten durch Effizienzsteigerungen. Da die öffentliche Daseinsvorsorge chronisch unterfinanziert sei, wirke selbst das Sondervermögen für die Infrastruktur nur als „Notpflaster. Das durch Modernisierungsvorhaben eingesparte Geld muss beispielsweise in eine Weiterbildungsoffensive und in attraktivere Arbeitsbedingungen investiert werden, so wie es der ‚Effizienzfonds‘ im Koalitionsvertrag vorsieht.“ Ferner gelte es, bei der Digitalisierung mehr eigene Kompetenzen aufzubauen, statt externe Berater zu betrauen. _ Karsten Wildberger und Volker Geyer © Jan Brenner Hemsing fordert Update für Mitbestimmung „Die geltenden gesetzlichen Regelungen zur Mitbestimmung in der Arbeitswelt werden dem Status quo nicht mehr gerecht“, kritisierte Andreas Hemsing, stellvertretender dbb Bundesvorsitzender, am 15. September 2025 auf der Personal- und Betriebsrätekonferenz des dbb berlin in Berlin. Die Veränderungen der Arbeitswelt durch Digitalisierung hätten einen großen Einfluss auf die Arbeit und Mitbestimmungsrechte der Personal- und Betriebsräte, so Hemsing. „Die Regelungen benötigen ein Update.“ Der dbb-Vize begrüßte deshalb die kürzlich verabschiedete Entschließung des Bundesrats, das Betriebsverfassungsgesetz grundlegend zu überarbeiten: „Ziel muss die Modernisierung der betrieblichen Mitbestimmung sein. Die Entschließung sieht nicht nur vor, das digitale Zugangsrecht für Gewerkschaften weiterzuentwickeln und OnlineBetriebsratswahlen zu ermöglichen, sondern erweitert auch die Rechte der Betriebsräte beim Datenschutz und beim Einsatz von künstlicher Intelligenz. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug und muss abliefern.“ Personal- und Betriebsräte seien „mehr als nur Ansprechpartner. Sie sind Anwälte der Beschäftigten. Sie sind es, die der Dienststellenleitung erklären, was wirklich wichtig ist, und die auf die Einhaltung von Recht und Gesetz pochen. Und Sie sorgen dafür, dass die Stimme der Beschäftigten nicht überhört wird.“ Weiterhin unterstrich Hemsing das Berufsbeamtentum als zentrale Säule unseres Staatswesens. „Es sorgt für Stabilität, Verlässlichkeit und Unabhängigkeit. Deswegen begrüßen wir, dass sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, heute explizit zum Berufsbeamtentum bekannt hat.“ Forderungen, Verbeamtung einzuschränken oder sogar Entbeamtungen durchzuführen, lehnte der dbb-Vize entschieden ab: „Bei allen Angriffen auf das Berufsbeamtentum ist mit unserem erbitterten Widerstand zu rechnen.“ Personal- und Betriebsräte dbb-Vize Andreas Hemsing, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und dbb-Landeschef Frank Becker am 15. September 2025 auf der Betriebsrätekonferenz in Berlin (von links). © dbb berlin 10 AKTUELL dbb magazin | Oktober 2025
INTERVIEW Katharina Schenk, Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Eine Strukturreform in der gesetzlichen Krankenversicherung ist überfällig Katharina Schenk ist Ministerin im Thüringer Ministerium für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie. © TMSGAF/Paul-Philipp Braun Die Krankenkassen warnen vor einer Kostenlawine. Die Zusatzbeiträge steigen Jahr für Jahr, während Arzneimittel knapper und teurer werden. Wie kann diese Entwicklung gestoppt werden, ohne die Versicherten zusätzlich zu belasten, und welche strukturellen Reformen sind aus Ihrer Sicht dafür notwendig? Der jüngste Bericht des Rechnungshofes zur besorgniserregenden Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen sollte in Berlin der endgültige Weckruf sein. Die gesetzliche Krankenversicherung muss dringend einer grundlegenden Strukturreform unterzogen und als solidarisch finanziertes System weiterentwickelt werden. Konkrete Umsetzungsschritte, wie die Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente, die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze oder die Entschlackung versicherungsfremder Leistungen, liegen auf dem Tisch. Damit es nicht zu weiteren Belastungen der Beitragszahler und einem stetigen Auseinanderfallen von Beiträgen und Leistungen kommt, muss an den zuständigen Stellen auf Ebene des Bundes jetzt die Schlagzahl erhöht werden. Auch die Pflegekassen schlagen Alarm, die Eigenanteile sind für immer mehr Menschen eine große Belastung. Droht Pflege zur Armutsfalle zu werden? Seit Jahren steigt die Anzahl der Menschen, die Sozialleistungen – die sogenannten Hilfen zur Pflege – in Anspruch nehmen müssen, um sich einen Platz in einer stationären Pflegeeinrichtung überhaupt leisten zu können. Diese Entwicklung ist besorgniserregend und der Handlungsdruck ist groß. Im Juli startete unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums eine BundLänder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform. Bis Ende des Jahres 2025 sollen Eckpunkte für eine nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung erarbeitet werden. Dabei geht es auch um eine wirksame Begrenzung der Eigenanteile. Thürin12 FOKUS dbb magazin | Oktober 2025
gen bringt sich aktiv in diese Diskussionen ein und wirbt dafür, die Pflegeversicherung so aufzustellen, dass sie die tatsächlichen Kosten auch trägt. Viele Beschäftigte im Pflegebereich fühlen sich überlastet. Durch die Pflegefachassistenz- und Pflegekompetenzgesetze sollen Pflegekräfte mehr Verantwortung übernehmen können. Wie passt das mit der Personalsituation zusammen? Wenn wir die Attraktivität des Pflegeberufs stärken wollen, müssen wir vorhandene Kompetenzen würdigen und die Eigenverantwortlichkeit stärken. Nicht alle Leistungen bedürfen zwingend der Entscheidung oder Aufsicht eines Arztes oder einer höher qualifizierten Pflegefachperson, zum Beispiel beim Management chronischer Erkrankungen oder im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung. Durch die neuen Gesetze wird nicht nur das Vertrauen gestärkt, sondern es werden auch die Prozesse für alle Beschäftigten in der Pflege vereinfacht. Das Personal wird effizienter eingesetzt, Wegezeiten und Koordinierungsaufwand werden deutlich reduziert. Es geht also vielmehr um Entlastung als um neue Belastungen – natürlich abgestuft nach jeweils vorhandenen Qualifikationen. Patientinnen und Patienten müssen oft monatelang auf einen Facharzttermin warten, auch die Hausarztpraxen sind vielerorts überlastet. Mit welchen Konzepten kann die Situation verbessert werden? Neben unterstützenden Leistungen für Versicherte, wie die Terminservicestelle 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung oder sogenannte Akutsprechstunden, geht es zur Verbesserung der ambulanten Versorgung vor allem um Nachwuchsgewinnung. Gerade auf dem Land besteht die große Herausforderung darin, bestehende Praxen zu erhalten und nachzubesetzen, damit medizinische Versorgung erreichbar bleibt. In Thüringen gibt es dafür unterschiedliche Konzepte, wie zum Beispiel Stiftungspraxen in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung oder die Einführung einer sogenannten „Landarztquote“ für Medizinstudienplätze. Daneben gilt es, alternative Konzepte auf- und auszubauen: kommunale MVZs, Telemedizin oder sogenannte Landschwestern können zur Entlastung von Arztpraxen beitragen. Die geplante Neufassung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist eng mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen verknüpft. Erstmals sollen digitale ärztliche Leistungen wie die Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA), Telemedizin, Videosprechstunden, E-Mail-Beratung und andere E-Health-Anwendungen systematisch in das Leistungsverzeichnis integriert werden. Welche Vorteile hat das und wie sehen Sie die Chancen für ein schnelles Inkrafttreten? Digitale Gesundheitsanwendungen sind immer weiter verbreitet und bringen für alle Beteiligten enorme Vorteile. Sie müssen aber natürlich auch finanziell abgebildet werden, damit sie von der Ärzteschaft genutzt werden. Schließlich ist die Erneuerung der technischen Ausstattung einer Praxis mit Investitionen verbunden. Hier leistet beispielsweise auch die Niederlassungsförderung des Freistaats Thüringen Unterstützung, wenn im Rahmen von Praxisübernahmen oder -neugründungen entsprechende Investitionen getätigt werden. Bezüglich der elektronischen Patientenakte sind jüngst wieder Sicherheitsbedenken laut geworden. Hat das Auswirkungen auf die Umsetzung in der Praxis? Sicherheitsbedenken nehmen wir sehr ernst und es ist unerfreulich, wenn immer neue Sicherheitslücken zur Verunsicherung bei Praxen, Patientinnen und Patienten führen. Dennoch geht an der Digitalisierung des Gesundheitswesens kein Weg vorbei, und die Umsetzung der elektronischen Patientenakte ist ein wesentlicher Schritt hin zur Modernisierung und Entlastung des gesamten Systems. Wir unterstützen die verpflichtende Einführung der elektronischen Patientenakte daher auch weiterhin. Jede Sicherheitslücke, die geschlossen wird, führt gleichzeitig auch zur Stärkung des Systems. Im Zuge der Krankenhausreform soll den Ländern mehr Flexibilität bei der Versorgungssicherung zugestanden werden. Sowohl der Widerstand der Länder gegen die Beschneidung ihrer Planungshoheit als auch das nun vorgesehene Entgegenkommen sind nachvollziehbar. Wie kann sichergestellt werden, dass die Ausnahmen die Patientensicherheit nicht gefährden? Den Ländern werden zwar Ausnahmemöglichkeiten eingeräumt, diese sind aber an enge Vorgaben geknüpft. So soll sichergestellt werden, dass die jeweiligen landesspezifischen Bedürfnisse individuell und flexibel berücksichtigt werden können, ohne die Versorgungsqualität zu beeinträchtigen. Zudem sollen die Leistungsgruppenzuweisungen grundsätzlich auf höchstens drei Jahre befristet werden. Danach muss eine erneute erfolgen. Bund und Länder haben im Prozess der Krankenhausreform hart um diesen Punkt gerungen. Mit der überarbeiteten Regelung ist ein aus meiner Sicht tragbarer Kompromiss gefunden. _ Die Umsetzung der elektronischen Patientenakte ist ein wesentlicher Schritt hin zur Modernisierung und Entlastung des gesamten Systems. Wenn wir die Attraktivität des Pflegeberufs stärken wollen, müssen wir vorhandene Kompetenzen würdigen und die Eigenverantwortlichkeit stärken. FOKUS 13 dbb magazin | Oktober 2025
DOSSIER GESUNDHEITSPOLITIK Kosten im Gesundheitswesen Wie Digitalisierung die Preisspirale stoppen kann Während medizinischer Fortschritt und demografischer Wandel für steigenden Versorgungsbedarf sorgen, treiben Preissteigerungen in zentralen Bereichen die Ausgaben im Gesundheitswesen schneller nach oben, als es die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zulässt. Aktuelle Daten zeigen, dass Arzneimittel, Medizintechnik und Gesundheitsdienstleistungen für einen großen Teil des Kostenanstiegs verantwortlich sind. Bei den Arzneimitteln zeigt der aktuelle IQVIA-Marktbericht für das Jahr 2024 eine Steigerung bei den Arzneimittelausgaben um 7,8 Prozent, während der Absatz nur um 1,7 Prozent zunahm. Die IQVIA Commercial GmbH und Co. OHG, ein internationales Unternehmen für Datenanalysen und Marktforschung im Gesundheitswesen, erstellt den Bericht regelmäßig. Auch im ersten Quartal 2025 setzt sich dieser Trend mit 6,6 Prozent Umsatzwachstum bei lediglich 0,7 Prozent mehr Absatz fort. Diese Entwicklung zeigt, dass den Ausgabenanstieg nicht der Mengenverbrauch, sondern höhere Preise und eine veränderte Produktstruktur treiben: Neue patentgeschützte Therapien, personalisierte Medizin und komplexe biotechnologische Präparate sind wichtige Fortschrittsfaktoren, aber auch erhebliche Kostentreiber. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex (HICP) ist das offizielle Inflationsmaß der EU und der Eurozone. Er wird nach einheitlichen Kriterien von den nationalen statistischen Ämtern erhoben und von Eurostat zentral überwacht und veröffentlicht. Für Medizinprodukte und Dienstleistungen lag er im Juni 2025 bei 120,4 bei einer Basis von 100 Punkten im Jahr 2015. Das entspricht einer Preissteigerung von gut 20 Prozent in zehn Jahren – ein Anstieg, der sich in der Beschaffung von Geräten, Implantaten und Verbrauchsmaterialien direkt in den Haushalten der Krankenhäuser und Praxen bemerkbar macht. Zudem belasten Lieferkettenprobleme und steigende Produktionskosten die Beschaffung. Auch der HICP-Gesamtindex für „Gesundheit“ ist im Vergleich zu 2015 um rund 17 Prozent gestiegen. Er spiegelt unter anderem Betriebs- und Personalkosten. Steigende Ausgaben sind Makrotrend Die Gesamtausgaben für Gesundheit sind in Deutschland laut Statistischem Bundesamt von rund 282 Milliarden Euro im Jahr 2009 auf knapp 495 Milliarden Euro im Jahr 2023 gestiegen. Das ist ein Plus von etwa 76 Prozent in 14 Jahren, was einer jährlichen Steigerungsrate von rund 4,5 Prozent entspricht. Auch die Ausgaben der Krankenkassen steigen weiter. Im ersten Halbjahr 2025 gaben die rund 90 gesetzlichen Krankenkassen nach Kennzahlen des GKV-Spitzenverbandes 166,1 Milliarden Euro für ihre Leistungen aus, 7,95 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Dadurch erhöhen sich der wirtschaftliche und politische Handlungsdruck © Unsplash.com/Getty Images 14 FOKUS dbb magazin | Oktober 2025
gleichermaßen. Mögliche Gegenmaßnahmen wären, die Position der gesetzlichen Krankenkassen und der öffentlichen Hand in Preisverhandlungen zu stärken, die Nutzenbewertung neuer Therapien und Technologien konsequent mit Wirtschaftlichkeitskriterien zu verknüpfen, Einkaufsvolumina zu bündeln, europaweite Vergabeprozesse zu etablieren und Lieferketten konsequent zu digitalisieren. Digitalisierung wird als eine der Schlüsseltechnologien gehandelt, um dem Kostendruck im Gesundheitswesen zu begegnen. Ausgerechnet in dieser Disziplin können deutsche Krankenhäuser im internationalen Vergleich bislang kaum punkten. Eine neue Studie der Hochschule Osnabrück im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zu den IT-Ausgaben in Krankenhäusern in Deutschland, Dänemark und den Niederlanden zeigt deutlich, dass in Deutschland weniger in digitale Infrastruktur und IT-Personal investiert wird. Im internationalen Vergleich sind die IT-Ausgaben in deutschen Krankenhäusern sogar besonders niedrig. Die Studie legt eindrücklich nahe, dass eine hohe digitale Reife nur mit einer adäquaten und dauerhaft gesicherten Finanzierung möglich ist – insbesondere bei den laufenden Betriebskosten der Krankenhäuser. Die Digitalisierung lahmt „Unsere Krankenhäuser digitalisieren derzeit mit besonders geringem Ressourceneinsatz“, erklärt der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. „Das spricht einerseits für eine hohe Effizienz. Andererseits lässt es aber auch erwarten, dass ohne eine verlässliche Finanzierungsperspektive für die Zeit nach dem Auslaufen der Förderung nach dem Krankenhauszukunftsgesetz die Digitalisierung in Krankenhäusern nicht nachhaltig gesichert und verbessert werden kann.“ Dänemark und die Niederlande gelten seit Jahren als Vorbilder bei der Digitalisierung des Krankenhauswesens. Während Krankenhäuser in Deutschland – bereinigt um temporäre Investitionsmittel aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) – der Studie zufolge nur 3 Prozent ihres Budgets für IT ausgeben, sind es in Dänemark 3,9 und in den Niederlanden 5,2 Prozent. Besonders deutlich fällt der Rückstand bei den laufenden Ausgaben für ITBetrieb und Personal aus: 2,1 Prozent in Deutschland gegenüber 3,6 Prozent in Dänemark und 4 Prozent in den Niederlanden. Noch deutlicher werden die Unterschiede im internationalen Vergleich im Licht der bereits im Februar 2025 veröffentlichten Studie des Deutschen Krankenhausinstituts über die Gesamtkosten der Krankenhäuser: Krankenhäuser in Deutschland verursachen im europäischen Vergleich besonders niedrige Kosten pro Behandlungsfall – im Durchschnitt rund 6 000 Euro –, während es in Dänemark mehr als 7 000 und in den Niederlanden mehr als 8 000 Euro sind. Das bedeutet: Der ohnehin geringe IT-Anteil bezieht sich in Deutschland auch noch auf ein deutlich niedrigeres Gesamtkostenniveau. Die reale IT-Finanzierungslücke zu den internationalen Vorreitern fällt also noch größer aus, als es der bloße Prozentvergleich nahelegt. „Wer Digitalisierung wirklich will, muss sie dauerhaft finanzieren“, argumentiert Gaß. Während Länder wie Dänemark und die Niederlande strukturell in ihre digitale Infrastruktur investierten, fehlten in Deutschland die Mittel für Personal, Betrieb und Weiterentwicklung. Das sei nicht zukunftsfähig. Ein weiterer Punkt der Studie: Angesichts der anhaltenden Finanzierungskrise müssen die Krankenhäuser ihre knappen Mittel auf existenzielle Ausgabenposten wie die Bezahlung des Personals fokussieren, um das akute Insolvenzrisiko zu mindern. In dieser Situation bleibt wenig Platz für Digitalisierung, da diese in der Regel keine unmittelbar wirksamen Kosteneinsparungen mit sich bringt. So fallen auch die Unterschiede bei den Personalausgaben für IT-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter besonders gravierend aus: Deutsche Krankenhäuser können nur 0,8 Prozent ihres Budgets in IT-Personal investieren. In Dänemark sind es 1,9 Prozent, in den Niederlanden 1,5 Prozent. Daher fordert der DKG-Vorsitzende die Politik auf, sich nicht länger auf zeitlich befristeten und bürokratisch aufwendigen Programmen wie dem Krankenhauszukunftsgesetz auszuruhen, sondern Digitalisierung zum Teil der Regelversorgung zu machen. Es kommt darauf an, wen man fragt Im Gegensatz dazu sieht der Zwischenbericht des DigitalRadarKrankenhaus-Konsortiums vom Juni 2025 den Weg zu einer umfassend digitalisierten Krankenhauslandschaft als geebnet an. Im Mai 2021 hatte das Bundesministerium für Gesundheit das Konsortium im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes mit der Evaluierung des Reifegrads deutscher Krankenhäuser hinsichtlich der Digitalisierung beauftragt. Es besteht aus dem privaten Institut für angewandte Versorgungsforschung inav, dem Fachverband HIMSS Europe GmbH, der Fachberatung Lohfert und Lohfert AG sowie den Projektpartnern Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und der Universität St. Gallen. Demnach habe sich die digitale Reife deutscher Krankenhäuser seit 2021 deutlich verbessert, der durchschnittliche DigitalRadar-Score der Kliniken sei seit 2021 um 9,1 auf 42,4 Punkte gestiegen. „Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Richtung stimmt und substanzielle Fortschritte gemessen werden konnten“, resümiert Prof. Volker Amelung, Konsortialsprecher des DigitalRadars und CEO des inav. „Für die Weiterentwicklung der Digitalisierung von Krankenhäusern ergeben sich klare Handlungsfelder – sei es in der weiteren Ausgestaltung von Fördermaßnahmen, der gezielten Unterstützung kleinerer Häuser oder im Abbau regionaler Ungleichheiten.“ Auch strukturell und bei der Patientenpartizipation gebe es Fortschritte, digitale Prozesse seien sowohl in der klinischen Organisation als auch in der Interaktion mit Patienten zunehmend verankert. „Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) und die Anstrengungen auf Bundes-, Landes- und Krankenhausebene haben der Digitalisierung deutscher Krankenhäuser einen messbaren Schub gegeben“, zeigt sich Thomas Renner, Unterabteilungsleiter für Digitalisierung und Innovation im Bundesministerium für Gesundheit, zufrieden. Die aktuelle Erhebung sieht eine klare Entwicklung bei Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft, die mit einem durchschnittlichen DigitalRadar-Score von 46,5 weiterhin die höchsten Werte unter den Trägerschaften aufweisen. Sie liegen damit vor Krankenhäusern freigemeinnütziger (40,8) und in privater Trägerschaft (39,7). Auch beim Zuwachs im Digitalisierungsgrad verzeichnen Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft mit einem Anstieg von 10,1 Punkten die stärkste Entwicklung. Krankenhäuser in freigemeinnütziger Trägerschaft verbesserten sich um 9,1 Punkte, Krankenhäuser in privater Trägerschaft um 7,8 Punkte – ein Unterschied, der unter anderem auf unterschiedliche Ausgangsniveaus zurückgeführt werden kann. br FOKUS 15 dbb magazin | Oktober 2025
Krankenhausreform Wege aus dem Defizit Die Bundesregierung bessert die umstrittene Krankenhausreform nach. Kernpunkte sind mehr Flexibilität für die Länder, finanzielle Hilfen, eine Entlastung von Bürokratie sowie die Weiterentwicklung von Qualitäts- und Leistungsgruppen in der medizinischen Versorgung. Über den entsprechenden Gesetzentwurf zum Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG), dass das Bundesgesundheitsministerium derzeit erarbeitet, sagte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken am 3. Juli 2025 bei einem Treffen der Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder: „Wir passen die Krankenhausreform so an, dass sie wirkt, aber alltagstauglich ist. Die Länder bekommen mehr Zeit, um die Reform umzusetzen. Und wir schaffen Ausnahmemöglichkeiten für Kliniken auf dem Land.“ An den Grundprinzipien der Reform werde aber festgehalten: „Nicht jede Klinik soll alles machen. Wir brauchen klare Qualitätsstandards für einzelne Leistungen. Nur wenn genug Fachärzte vor Ort sind, dürfen Leistungen angeboten und abgerechnet werden.“ Die Krankenhäuser sollen kurzfristig finanzielle Unterstützung erhalten, um die Lücke bei den „Sofort-Transformationskosten“ der Jahre 2022 und 2023 zu schließen. Dafür sind vier Milliarden Euro aus dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ vorgesehen. Diese Mittel fließen in einen Transformationsfonds, der künftig aus Bundesmitteln statt aus Beiträgen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert wird. Weiter sollen Ausnahmen und Kooperationsmöglichkeiten erweitert werden, um die stationäre Versorgung insbesondere im ländlichen Raum sicherzustellen. Die Bundesländer erhalten so mehr Spielraum in der Gestaltung und Beurteilung von Ausnahmen. Bei den Leistungsgruppen und Qualitätskriterien der Fachkrankenhäuser sind eine Reduktion auf 61 Leistungsgruppen sowie kurzfristig notwendige Anpassungen in den Qualitätskriterien für die Leistungsgruppen geplant. Zu einem späteren Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens sollen auch die Definition für die Fachkrankenhäuser sowie die Anrechnungsregelungen für Fachärzte je Leistungsgruppe überarbeitet werden. Darüber hinaus sollen Krankenhäuser und Länder mehr Zeit für die Umsetzung der neuen Vorgaben bekommen. Ein zentrales Element der Krankenhausreform ist die sogenannte Vorhaltevergütung: Krankenhäuser bekommen Geld nicht mehr primär für erbrachte Leistungen in Form von Fallpauschalen, sondern für das „Vorhalten“ bestimmter Versorgungsstrukturen wie Personal, Notfallversorgung und Fachbereiche. Diesbezüglich war ursprünglich geplant, dass die budgetneutrale Phase, in der die neuen Zahlungen zwar eingeführt, aber die Budgets der Häuser noch nicht gekürzt oder erhöht werden, nur 2026 gilt. Diese Phase wird jetzt bis 2027 verlängert. In dieser Zeit soll sichergestellt werden, dass Krankenhäuser nicht plötzlich in finanzielle Schieflage geraten. Ab 2028 bis 2029 folgt die Konvergenzphase, in der die Budgets schrittweise an das neue System angepasst werden. dbb nimmt Qualität und Personal in den Fokus Der dbb hat in einer schriftlichen Stellungnahme sowie bei der Verbändeanhörung am 21. August 2025 in Berlin deutliche Kritik am Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) geäußert. Während die grundsätzliche Intention, die Kompetenzen der Länder zu stärken, begrüßt wird, sieht der Dachverband erhebliche Schwächen in der konkreten Umsetzung. Besonders kritisch bewertet der dbb, dass Landesbehörden künftig Versorgungsverträge auch mit Einrichtungen schließen können, die die festgelegten Model Foto: Peopleimages/Colourbox.de 16 FOKUS dbb magazin | Oktober 2025
Mindestqualitätsvorgaben, etwa bei den Mindestfallzahlen, nicht erfüllen. Dies solle zwar die flächendeckende Versorgung sichern, gefährde aus Sicht des dbb jedoch die Behandlungsqualität. Gerade bei komplexen Eingriffen sei Erfahrung unabdingbar. Problematisch sei zudem die vorgesehene Möglichkeit, bei Fusionen von Kliniken die Fallzahlen einfach zu addieren. Dies erzeuge ein verfälschtes Bild der Expertise und verschleiere Qualitätsdefizite. Deshalb müssten Sicherstellungsauftrag und Versorgungsqualität stets zusammengedacht werden. Ausnahmeregelungen bei der Zulassung bestimmter Fallgruppen, wenn Mindestanforderungen absehbar nicht erfüllt werden können, lehnt der dbb strikt ab. Grundsätzlich unterstützt er die mit der Reform eingeleitete Abkehr von reinen Fallpauschalen hin zu einer Finanzierung, die auch Vorhaltekosten für Leistungen und Personal berücksichtigt. Gleichwohl sieht er die mit der Zuweisung von Leistungsgruppen verbundenen Konzentrations- und Spezialisierungsprozesse als Herausforderung. Besonders in strukturschwachen Regionen drohe ein schwieriger Spagat: Einerseits müsse eine qualitativ hochwertige stationäre Versorgung sichergestellt werden, andererseits stehe das Klinikpersonal unter erheblichem Druck. Fusionen oder Schließungen könnten nicht nur Patientinnen und Patienten treffen, sondern auch Beschäftigte, deren Mobilität nicht einfach vorausgesetzt werden dürfe. Eine Umstellung des Leistungsspektrums oder die Spezialisierung auf andere Bereiche habe unmittelbare Folgen für die Arbeitsbedingungen. Hier sieht der dbb vor allem die Länder in der Pflicht, bei der Krankenhausplanung auch die Belange der Beschäftigten einzubeziehen. Positiv bewertet der dbb, dass für den geplanten Krankenhaustransformationsfonds insgesamt 25 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur bereitgestellt werden. Damit werde die Reform als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und nicht allein aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Das Inkrafttreten des KHAG wird für März 2026 erwartet. Kliniken in der Klemme Besonders, was die Finanzierung der Krankenhäuser betrifft, sind zügige Reformen dringend erforderlich, denn die wirtschaftliche Lage der deutschen Krankenhäuser wird zunehmend prekär. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine aktuelle Erhebung der Unternehmensberatung Roland Berger. Für die Krankenhausstudie 2025 haben Experten von Roland Berger rund 850 Führungskräfte im deutschen Krankenhausmarkt befragt. Demnach haben drei von vier Kliniken (75 Prozent) das Geschäftsjahr 2024 mit einem Defizit abgeschlossen. Gut jedes siebte Krankenhaus (15 Prozent) verzeichnet sogar ein Defizit von mehr als zehn Prozent des Umsatzes. Besonders gravierend ist die Situation der Analyse zufolge bei öffentlichen Häusern: 89 Prozent schreiben rote Zahlen, nur neun Prozent erzielen Überschüsse. Dagegen sind von den privaten Krankenhäusern nur 17 Prozent defizitär, 83 Prozent machen Gewinn. Zwischen diesen beiden Extremen liegen Kliniken in freigemeinnütziger Trägerschaft: 68 Prozent machten ein Minus, 21 Prozent erzielten Gewinne. Mit Blick auf die Zukunft zeigen sich die Befragten ambivalent: Kurzfristig erwarten viele Einrichtungen eine weitere Verschlechterung der Lage, sowohl beim Jahresergebnis als auch bei der Liquidität. Langfristig ist die Stimmung optimistischer: Bis 2030 erwarten immerhin 51 Prozent der Krankenhäuser eine Verbesserung ihres Jahresergebnisses und 38 Prozent prognostizieren eine bessere Liquiditätslage. „Grund für den verhaltenen Optimismus dürften die geplanten Maßnahmen der Krankenhausreform sein“, schätzt Peter Magunia, Partner bei Roland Berger. „Dennoch bleibt abzuwarten, wie sich die Situation tatsächlich entwickelt: Schließlich geht immer noch rund ein Viertel der Kliniken bis 2030 von einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage aus. Und selbst für die Häuser, die langfristig eine Verbesserung von Jahresergebnis und Liquidität erwarten, bedeutet dies nicht zwangsläufig eine Rückkehr in die Gewinnzone – es handelt sich vielmehr um eine relative Verbesserung gegenüber dem aktuellen, vielfach prekären Zustand.“ Den Kliniken ist diese Lage bewusst. Insgesamt plant der Sektor in den kommenden fünf Jahren Investitionen in Höhe von rund 130 Milliarden Euro. Dabei variieren die einzelnen Summen je nach Größe und Versorgungsauftrag der Einrichtungen. Besonders viel wollen öffentliche Maximalversorger mit mehr als 1 000 Betten investieren: Rund 40 Prozent von ihnen planen mit mehr als 500 Millionen Euro und weitere rund 45 Prozent mit 100 bis 500 Millionen Euro. Als größte Hürden für die Investitionsplanung nennen die Befragten neben der eigentlichen Finanzierung wirtschaftliche Risiken sowie politische und gesetzliche Vorgaben. Im Rahmen der Umsetzung kommen dann Herausforderungen wie Kostenüberschreitungen, die Steuerung der Projekte sowie das Finden geeigneter Dienstleister dazu. „Für die erfolgreiche Umsetzung solcher Investitionen braucht es mehr als nur Geld“, bestätigt Magunia: „Entscheidend sind die Planung entlang einer stringenten Strategie, klare Priorisierungen und ein effektives Management.“ br/krz Model Foto: Colourbox.de FOKUS 17 dbb magazin | Oktober 2025
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