PORTRAIT Anerkennung ausländischer Studien- und Berufsabschlüsse Qualifizierte in der Warteschleife In den vergangenen zehn Jahren kamen zahlreiche hervorragend ausgebildete Menschen als Flüchtlinge ins Land. Wieder in ihren Berufen zu arbeiten, ist trotz Fachkräftemangels nicht leicht. Herr A. ist Internist. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird sein voller Name hier nicht genannt. Der Mediziner aus Palmyra in Syrien floh 2015 mit Frau und Tochter aus der schon damals weitgehend zerstörten Stadt. Die Fluchtroute führte die drei über Beirut nach Berlin. Seitdem versuchen die A.s, wieder in ihren Berufen Fuß zu fassen. Ein kräftezehrendes Geduldsspiel für die gesamte Familie; ein Hauptproblem: Alle Urkunden, die ein Flüchtling nicht ohnehin bei sich hat, muss er von den Behörden jenes Regimes anfordern, vor dem er geflohen ist. Mit kooperativem Verhalten ist da nicht zu rechnen. Ein Jahr verbrachte A. allein damit, auf „die Papiere“ zu warten. Die Zeit wurde genutzt, um Sprachkurse zu absolvieren, während die Tochter die Schule besuchte. A. hatte in den Achtzigerjahren im rumänischen Bukarest Medizin studiert und blickt auf 30 Jahre Berufserfahrung zurück: Nicht nur im staatlichen syrischen Gesundheitssystem hat er gearbeitet, sondern auch als Betriebsarzt für den Shell-Konzern. Er betreute Mitarbeiter auf den Ölfeldern in der Wüste – nach europäischen Standards, wie er betont. A. praktizierte in Krankenhäusern und betrieb eine privatärztliche Praxis. Eigentlich sollte es für einen Mann mit seiner Erfahrung möglich sein, in Deutschland weiter als Mediziner zu arbeiten. A. hat, wie einige seiner syrischen Kollegen, andere Erfahrungen gemacht. Sie alle sind in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre geboren und suchen seit nahezu zehn Jahren und trotz anerkannter Berufsabschlüsse vergeblich nach Arbeit. Die Anerkennung seines rumänischen Studienabschlusses war das kleinste Problem. Rumänien ist inzwischen Mitglied der EU; auch vor dem EU-Beitritt 2007 erworbene Studienabschlüsse werden anerkannt. Doch auch auf die Zeugnisse von dort wartete A. zwei Jahre. Demnächst muss er dort noch einmal persönlich vorsprechen. Und selbstredend ist der Beruf des Arztes stark reglementiert und kann in Deutschland erst nach (erneuter) Erteilung der Approbation, der staatlichen Zulassung, selbstständig ausgeübt werden. Diese wird vom Bundesland erteilt, in dem der Flüchtling lebt. Im Falle A.s ist das Landesprüfungsamt für Gesundheitsberufe beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) zuständig. Werden dort im Rahmen der Antragsüberprüfung unzureichende Sprachkenntnisse festgestellt, sind als Nachweis ein Zertifikat auf dem Sprachniveau B2 und eine Fachsprachprüfung notwendig. Letztere nimmt die Ärztekammer Berlin (ÄKB) ab. An der fachlichen Qualifikation von A. besteht kein Zweifel. Wohl aber an der sprachlichen. Arztgespräche sind essenziell für die Beziehung zu den Patienten. Ob Diagnose, Patientenaufklärung oder Therapie: Ärzte und Patienten sind darauf angewiesen, einander zu verstehen. Das akademische Sprechniveau, das A. im Englischen selbstverständlich erreicht, fällt ihm im Deutschen schwer. Neben dem normalen Sprachkurs übt A. deshalb seit zwei Jahren mit mehreren Ärzten im Ruhestand, um diese Prüfung zu bestehen. Mindestens 12 von 20 Punkten muss er in der Fachsprachprüfung der ÄKB erzielen. In den drei Prüfungsversuchen, die der Arzt seit 2023 unternommen hat, bescheinigte ihm die Prüfungskommission, bestehend aus jeweils einem Arzt und einem Lehrer, nach etlichen Wochen mal elf, mal zehn oder neun Punkte. Nach welchen Kriterien wird da entschieden? Das Sprachverständnis ist da. Dem Gespräch über den juristisch vertrackten Gegenstand folgt A. ohne Weiteres. Im Jahr 2024 hat die ÄKB 633 Fachsprachprüfungen abgenommen, teilt sie auf Nachfrage mit. Die Bestehensquote liege seit Jahren bei deutlich über zwei Dritteln der Teilnehmenden und hat sich 2024 leicht auf 68,67 Prozent verbessert. Für die Vorbereitung auf die Prüfungen gibt es in Berlin eine Vielzahl von kostenpflichtigen Kursen. An der Charité etwa sind es über 2 000 Euro. Die ÄKB bietet keine eigenen Kurse an. A. bewirbt sich derweil, etwa um Praktika in Arztpraxen, findet aber keine Stelle. „Ich habe versucht, in Pharmafirmen zu arbeiten, aber die Situation ist auch dort gleich.“ Dabei wäre ein Arbeitsplatz so wichtig für eine Integration in Deutschland. Die Rückkehr nach Syrien ist für den 63-Jährigen und seine Frau keine Option: „Die derzeitigen Herrscher sind Extremisten“, erklärt A. seine Sicht auf die aktuelle Situation in der Heimat. Der Arzt übt weiter Deutsch und ist überzeugt: „Ich versuche es. Ich glaube, ich kann diese Prüfung ablegen.“ Und es gibt Lichtblicke für die Familie. Die Tochter beherrscht inzwischen ein makelloses Hochdeutsch. Im Juli hat sie ihr Abitur bestanden. Die Eltern könnten nicht stolzer auf ihr Kind sein. ada Symbolbild © Unsplash+ FOKUS 25 dbb magazin | September 2025
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