dbb magazin 9 | 2025 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst Fachkräfte | Kollegen gesucht Interview | Christian Schuchardt, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Imagekampagnen für den öffentlichen Dienst | Es gilt, Versprechen zu halten
STARTER Warum Fachkräfte fehlen In vielen Behörden fehlen IT- und MINT-Expertinnen und -Experten, um dringende Projekte in E-Government, Verwaltungsmodernisierung und Infrastrukturvorhaben überhaupt umsetzen zu können. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD verspricht zwar eine Fachkräfteoffensive – mit mehr Diversität, flexibleren Arbeitsmodellen und leichteren Quereinstiegen. Doch das allein wird nicht reichen, um dringend benötigte Talente für den Staatsdienst zu gewinnen. Dabei klingen die Vorschläge auf dem Papier vernünftig: Quereinstiege erleichtern, interne Laufbahnwechsel ermöglichen, Verwaltung und Wirtschaft stärker verzahnen. An den wirklichen Bedürfnissen von IT- und MINT-Fachkräften gehen viele Maßnahmen aber trotzdem vorbei. Die Zielgruppe sucht moderne Technologie, Gestaltungsspielräume, flache Hierarchien, flexible Arbeitsumgebungen und eine marktgerechte Bezahlung. Was in der IT-Wirtschaft als typisches Einstiegsgehalt zählt, markiert im öffentlichen Dienst oft bereits das Ende der Fahnenstange. Viele Talente erleben den öffentlichen Dienst überdies noch immer als bürokratisch und technologisch rückständig. Neben einer angemessenen Einkommensstruktur braucht es deshalb einen kulturellen Wandel in den Behörden. Entwicklerinnen und Entwickler finden ihren Weg in die Verwaltung nicht zufällig. Wer sie locken will, muss ihnen Freiräume für neue Methoden, Tools und Denkweisen lassen. Arbeitgeber und Dienstherren müssen sie als aktiven Teil der Verwaltungsmodernisierung mitdenken, statt sie mit unattraktiven Arbeitsumfeldern zu vergraulen. br 8 4 12 TOPTHEMA Fachkräfte AKTUELL NACHRICHTEN Beamtinnen und Beamte des Bundes: Gute Gespräche über Besoldungserhöhung 4 Gespräche mit Bundesministern: dbb macht Druck bei Zukunftsaufgaben 5 ARBEITNEHMER Wochenhöchstarbeitszeit: Flexibilisierung oder Belastung? 6 INTERVIEW Christian Schuchardt, Hauptgeschäfts- führer des Deutschen Städtetages 8 UMFRAGE Personalpolitik für den öffentlichen Dienst: 600 000 Beschäftigte fehlen 10 FOKUS DOSSIER FACHKRÄFTE Fachkräftemangel: Die IT ist das Nadelöhr 12 Imagekampagnen für den öffentlichen Dienst: Es gilt, Versprechen zu halten 14 Mobilität im ländlichen Raum: Frische Konzepte gegen den Fachkräftemangel 16 Arbeitsunwillige Generation Z? Noch ein Klischee weniger 17 ONLINE E-Recruiting im öffentlichen Dienst: Aus dem Amtsblatt in den Talentpool 20 NACHGEFRAGT Dr. Sabine Leppek, Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung 24 BLICKPUNKT Forderungen an die Bildungspolitik der Großen Koalition: Qualität, Personal, Perspektive 26 GESUNDHEIT Gemeinsamer Jahresbetrag in der Pflege: Mehr Transparenz für Pflegende 28 INTERN IN EIGENER SACHE 75 Jahre dbb magazin: Tradition trifft Moderne 30 FACHKRÄFTE Führungsfokus: Wenn der Dienstweg neue Pfade einschlägt 36 SERVICE IMPRESSUM 41 KOMPAKT Gewerkschaften 44 © Unsplash.com/Alexander Mills dbb magazin Moderne Verwaltung | Digitalisierung mit Hindernissen Interview | Marc Reinhardt, Vizepräsident der Initiative D21 Aktuell | Einkommensrunde 2021 – Tarifkompromiss honoriert Krisenengagement 12 | 2021 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst 30 AKTUELL 3 dbb magazin | September 2025
Beamtinnen und Beamte des Bundes Gute Gespräche über Besoldungserhöhung Die Besoldung der Beamtinnen und Beamten des Bundes wird angehoben. Voraussichtlich im Dezember wird es Abschlagszahlungen geben. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat mit dbb Chef Volker Geyer am 26. August 2025 erneut über die Besoldung beim Bund beraten. Kernthema war die Übertragung des Tarifergebnisses aus dem April auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes. Das Bundeskabinett soll am 3. September 2025 bereits Abschlagsauszahlungen im Vorgriff auf die Vorlage des notwendigen Gesetzes beschließen. Dies würde ermöglichen, dass die Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten voraussichtlich im Dezember von den geplanten Besoldungserhöhungen profitieren. Damit ist der Weg für eine Übertragung des Tarifergebnisses geebnet. Es sind folgende Schritte vorgesehen: ab April 2025 um 3,0 Prozent und ab Mai 2026 um 2,8 Prozent. Es ist beabsichtigt, dass im Herbst ein entsprechendes Gesetz zur Übertragung im Verbund mit einem Gesetz zur amtsangemessenen Alimentation im Bundesbereich vorgelegt wird. Damit würde der seit knapp fünf Jahren bestehende Stillstand im Bereich der amtsangemessenen Alimentation endlich beendet und die Besoldung wieder verfassungsgemäß ausgestaltet. Die Pläne sehen dabei eine echte Modernisierung und Weiterentwicklung der Besoldung vor. Die Besoldungstabelle soll horizontal und vertikal fortentwickelt und neu justiert sowie das Grundgehalt und das Leistungsprinzip gestärkt werden. Ziel ist es, dass „der Bund für alle Beamtinnen und Beamten – gerade auch im Sinne der Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung – attraktiver und wettbewerbsfähiger wird. Damit würde der Bund etwa im Bund-Länder-Vergleich wieder eine Spitzenposition einnehmen“, so der dbb Bundesvorsitzende. _ NACHRICHTEN Staatsmodernisierung Gesetzgebung muss Digitalisierung mitdenken Fachkräftemangel, sinkendes Vertrauen in den Staat, und eine Aufholjagd bei der Digitalisierung: Die Politik muss beim Staatsdienst mit anpacken, statt ziellose Debatten zu führen. Das hat der dbb Bundesvorsitzende in einem Interview mit der „Rheinischen Post“ am 18. August 2025 gefordert. Es gehe darum, sich auf die Probleme zu konzentrieren, die den Menschen in Deutschland wirklich unter den Nägeln brennen. Die Forderung von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche nach einer längeren Lebensarbeitszeit für alle zum Beispiel gehe völlig an der Wirklichkeit vorbei. „Die Menschen brauchen Entlastung und keine weitere Belastung. Dafür sprechen schon die stetig steigenden Zahlen psychischer Erkrankungen.“ Der dbb erwartet von der Bundesregierung, dass sie jetzt Halt, Orientierung und Sicherheit gibt – bei Wirtschaftsstandort, Sozialstaat und innerer Sicherheit. In der dbb Bürgerbefragung 2024 gaben 70 Prozent an, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates verloren zu haben. „Wir haben das gerade erneut abfragen lassen“, erklärte Geyer. „Ohne der Präsentation im September vorgreifen zu wollen: Die Situation hat sich nicht verbessert, im Gegenteil.“ Geyer weiter: „Zu wenig Personal merkt der Bürger sofort, wenn er bei Anträgen oder in der Schlange vor dem Bürgeramt warten muss. Deshalb brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen, also bessere Entlohnungen, Arbeitszeiten und Karrierechancen, um mehr Menschen vom Arbeitgeber Staat zu überzeugen.“ Die Kernfrage sei: Welche Aufgaben soll und kann der Staat zukünftig erfüllen und wie viel Personal ist dafür notwendig? Diesbezüglich skizzierte Geyer seine Erwartungen an Digitalisierungsminister Wildberger: „Bei jedem Gesetz des Deutschen Bundestages muss eine digitale Lösung gleich mitgedacht und den Ländern und Kommunen angeboten werden.“ Er empfahl, ein System zu schaffen, in dem Kommunen und Länder, die smarte Lösungen schaffen, finanziell davon profitieren und es allen anderen kostenfrei zur Verfügung stellen. Das Ziel sei klar: „Wir müssen bei der Digitalisierung vorankommen. Und wir müssen endlich zu einem wirklichen Bürokratieabbau kommen.“ _ © BMI Thomas Liebel (BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft), Volker Geyer und Heiko Teggatz (Deutsche Polizeigewerkschaft – DPolG) (linke Seite) im Gespräch mit Staatssekretär Bernd Krösser, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und Katrin Walter, Abteilungsleiterin D (öffentlicher Dienst). 4 AKTUELL dbb magazin | September 2025
Gespräche mit Bundesministern dbb macht Druck bei Zukunftsaufgaben In Gesprächen mit Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder hat dbb Chef Volker Geyer erklärt, was Bundesbeamte und Beschäftigte der Infrastruktursparte von der Bundesregierung erwarten. Gegenüber Bundesfinanzminister Lars Klingbeil wies dbb Chef Volker Geyer am 21. August 2025 in Berlin darauf hin, dass der Bund seinen Beamtinnen und Beamten die längst überfällige Rücknahme der Arbeitszeitverlängerung auf 41 Stunden schulde. „Das wurde vor 20 Jahren als vorübergehende Sparmaßnahme angekündigt. Die Bundesregierung steht in der Pflicht, endlich eine Trendwende einzuleiten.“ Bei der Besoldung gibt es beim Bund sogar zwei große Baustellen: „Erstens fehlt immer noch ein Gesetzentwurf, um das Tarifergebnis aus dem April auf die Bundesbeamten zu übertragen. Zweitens warten wir seit fünf Jahren auf die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur amtsangemessenen Alimentation. Natürlich wird das Geld kosten, deshalb war es mir wichtig, dem Bundesfinanzminister noch einmal die Dringlichkeit klarzumachen.“ Den Vorschlag von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas, Beamtinnen und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, hat der dbb abgelehnt. Geyer: „Wir erwarten von der gesamten Bundesregierung volle Konzentration auf die seriöse Lösung von realen Problemen und ein klares Bekenntnis zum Berufsbeamtentum.“ Rettungsgasse für den Sanierungsstau Im Gespräch mit Verkehrsminister Patrick Schnieder haben Volker Geyer und die Bundesvorsitzenden der Verkehrsgewerkschaften im dbb das angekündigte Sondervermögen für die Infrastruktur begrüßt: „Die Regierung zeigt, dass sie die Lage ernst nimmt. Jetzt geht es darum, diese Mittel zügig und effektiv zu verteilen und eine langfristige Finanzierung zu sichern“, sagte Geyer am 26. August 2026 im Bundesministerium für Verkehr. Bei der Infrastruktur bestehe enormer Handlungsbedarf: „Marode Schienen, Weichen und Stellwerke, unpünktliche Bahnen sowie kaputte Straßen und Brücken kosten Zeit, Geld und Nerven. Die verschiedenen Verkehrsträger sind nicht hinreichend ausfinanziert“, erklärte Geyer und verwies auf die Autobahn, der es an ausreichenden finanziellen Mitteln fehle, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. „Wir müssen endlich mit der Instandhaltung hinterherkommen. Es wird Zeit, eine Rettungsgasse durch den Sanierungsstau zu bilden.“ Die Gewerkschaften erwarten, dass die Regierung ihre Verteilungspläne für das 500 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen zügig konkretisiert. „Bei der Verteilung darf es untereinander keine Ellenbogenmentalität geben. Gleichzeitig dürfen die Mittel nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden“, hob Geyer hervor. Die Infrastruktur sei ein Gesamtkonstrukt, in dem vieles ineinandergreift und jeder Verkehrsträger seine Daseinsberechtigung hat. Geyer legte zudem Wert auf eine langfristige Finanzierung: „Für die Zukunft muss die Politik auch einen Plan zur Folgefinanzierung vorlegen. Infrastruktur ist ein dauerhaftes Unterfangen, dessen Finanzierung nachhaltig gesichert sein muss.“ Eine leistungsfähige Infrastruktur steigere die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat und festige das Vertrauen in ihn. „In unserer Bürgerbefragung aus dem Jahr 2024 hielten 70 Prozent der Befragten den Staat für überfordert. Das Stimmungsbild für dieses Jahr ist bisher nicht öffentlich, aber ich kann so viel verraten: Es ist nicht besser geworden.“ Wer schon auf dem Weg zur Arbeit mit maroder Infrastruktur konfrontiert sei, verliere zunehmend den Glauben an die Leistungsfähigkeit des Staates. _ Die Vorsitzenden der dbb Verkehrsgewerkschaften im Gespräch mit Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder: Dr. Andreas Pinheiro (Vereinigung Cockpit VC), Mario Reiß (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer – GDL), dbb Chef Volker Geyer, Hermann-Josef Siebigteroth (Fachgewerkschaft der Straßen- und Verkehrsbeschäftigten – VDStra.) und Egon Höfling (Fachverband Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung – FWSV) (von links). Thomas Liebel (BDZ Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft), dbb Chef Volker Geyer, Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und Heiko Teggatz (Deutsche Polizeigewerkschaft – DPolG) (von links) © Jan Brenner © dbb AKTUELL 5 dbb magazin | September 2025
ARBEITNEHMER Wochenhöchstarbeitszeit Flexibilisierung oder Belastung? Die Bundesregierung will die Arbeitszeit flexibilisieren. Statt einer täglichen Höchstarbeitszeit soll laut Koalitionsvertrag künftig eine flexiblere Wochenarbeitszeit gelten. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat errechnet, dass in Deutschland im internationalen Vergleich zu wenig gearbeitet wird. 2023 arbeiteten Menschen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren in Deutschland durchschnittlich 1 036 Stunden pro Jahr. In Griechenland waren es 1 172 Stunden, in Polen sogar 1 304. Beim Spitzenreiter Neuseeland lag der Wert bei über 1 400 Stunden. Das IW gibt allerdings zu, dass diese Länderangaben schwer vergleichbar sind. Da in den nächsten Jahren immer mehr Babyboomer den Arbeitsmarkt verlassen und in den Ruhestand gehen, wird das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen – die Summe aller geleisteten Stunden – rückläufig sein, weil es weniger Arbeitskräfte gibt. Als Gegenmaßnahme empfiehlt das IW die Erhöhung der durchschnittlichen Arbeitszeit sowie die Reduzierung von Teilzeit. Gründe für vermehrte Teilzeit sieht das IW im progressiven Steuertarif sowie einem früheren Renteneintritt. Zusätzlich steht die Idee im Raum, einen Feiertag zu streichen, um so rechnerisch einen zusätzlichen Arbeitstag pro Jahr zu gewinnen. Das deutsche Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt die zulässige Dauer der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit mit dem Ziel, Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten zu schützen. Die tägliche Arbeitszeit darf acht Stunden nicht überschreiten. Eine Ausweitung auf bis zu zehn Stunden ist erlaubt, sofern innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt nicht mehr als acht Stunden pro Werktag gearbeitet werden. Die gesetzlich zulässige Wochenarbeitszeit liegt bei maximal 48 Stunden, basierend auf einer Sechs-Tage-Woche. In Ausnahmefällen kann sie kurzfristig auf bis zu 60 Stunden steigen – allerdings nur, wenn der Durchschnitt von 48 Wochenstunden über den Ausgleichszeitraum hinweg eingehalten wird. Die politisch vorgeschlagenen Flexibilisierungen stellen den gesetzlich verankerten Acht-Stunden-Tag infrage. Dann könnte es möglich sein, die tägliche Arbeitszeit auf bis zu 13 Stunden auszudehnen, solange die wöchentliche Höchstarbeitszeit bei 48 Stunden bleibt. Damit würde sich Deutschland stärker an der EU-Arbeitszeitrichtlinie orientieren, die weniger strenge Vorgaben macht als das ArbZG. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht die Debatte deutlich kritischer. Es verweist darauf, dass das gesamtwirtschaftliche Arbeitszeitvolumen in Deutschland trotz sinkender individueller Arbeitszeiten seit 2005 deutlich gestiegen ist. 2023 wurde mit rund 55 Milliarden geleisteten Stunden ein Höchststand seit der Wiedervereinigung erreicht. 1991 lag das Volumen bei 52 Milliarden, 2005 bei nur 47 Milliarden Stunden jährlich. Der Anstieg der Gesamtarbeitszeit ist unter anderem auf die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen zurückzuführen. Trotz hoher Teilzeitquote hegen viele Frauen den Wunsch nach einer längeren Arbeitszeit. Um dieses Potenzial zu heben und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, empfiehlt das DIW gezielte Maßnahmen wie einen Ausbau der Kinderbetreuung sowie steuerliche Anreize. Auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher betont, dass der Arbeitskräftemangel nicht durch weniger Feiertage behoben werden könne, sondern durch gezielte Zuwanderung und den Abbau von Hürden für die Erwerbstätigkeit von Frauen und Geflüchteten. Ein häufig übersehener Aspekt in der Debatte ist die hohe Zahl an unbezahlten und undokumentierten Überstunden – hier liegt die Bundesrepublik nach Zahlen des Portals statista.de im europäischen Vergleich weit vorn. „Eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit untergräbt den Schutzgedanken des Arbeitszeitgesetzes und gefährdet gewerkschaftliche Errungenschaften wie den Gesundheitsschutz“, sagt dbb Chef Volker Geyer. Mit steigender Arbeitszeit sinken Konzentration und Leistungsfähigkeit – Fehler und Unfälle nehmen zu, die Produktivität leidet. Kürzere Ruhezeiten verschärfen das Problem. Auch der scheinbar flexible Umgang mit der wöchentlichen Arbeitszeit birgt Risiken, so Geyer: „Längere Arbeitstage könnten am Ende zu einer faktisch erhöhten Wochenarbeitszeit führen – vor allem, wenn weiterhin unbezahlte Überstunden geleistet werden. Die Frage, wie stark belastete Beschäftigte diese zusätzliche Arbeitszeit bewältigen sollen, bleibt unbeantwortet.“ _ Model Foto: Colourbox.de 6 AKTUELL dbb magazin | September 2025
INTERVIEW Christian Schuchardt, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages Kostensteigerungen zwingen städtische Haushalte in die Knie Die Städte und Gemeinden sind die kleinsten und zugleich wichtigsten Einheiten der Demokratie“, heißt es in Ihrer Hannoverschen Erklärung aus dem Frühjahr. Und weiter: „Bund und Länder sind in der Pflicht, die Gestaltungskraft der Städte wiederherzustellen.“ Wie kann das gelingen? Wenn die Menschen keinen Termin im Bürgeramt bekommen, wenn die Sanierung der Schule Jahr für Jahr verschoben wird oder wenn die Mieten immer weiter steigen, weil zu wenig bezahlbare Wohnungen gebaut werden, dann werden die Städte nicht mehr als Gestalter, sondern als Mangelverwalter wahrgenommen. Dann schwindet auch das Vertrauen in die Demokratie. Wir müssen deshalb an mehreren Stellschrauben ansetzen. Und ja, eine große Stellschraube sind die kommunalen Finanzen. Im vergangenen Jahr mussten die kommunalen Haushalte ein Rekorddefizit von 25 Milliarden Euro verzeichnen. Vor allem die Sozialkosten laufen uns davon. Da haben wir inzwischen Kostensteigerungen von über zehn Prozent im Jahr. Das zwingt jeden städtischen Haushalt absehbar in die Knie. Wir brauchen für diese Aufgaben, die wir in der Regel für den Bund übernehmen, endlich den entsprechenden finanziellen Ausgleich. Mehr Gestaltungskraft für die Städte heißt vor allem auch, dass wir wieder die finanziellen Spielräume haben, um zu handeln, um zu investieren, um gute Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger zu leisten. Und neben dem Geld? Bund und Länder müssen wieder mehr Vertrauen in die Kompetenz der Städte haben. Viele Projekte könnten viel schneller laufen als heute, wenn wir mehr eigene Entscheidungsfreiheit hätten. Das fängt schon bei Fördergeldern an. Wir sagen: Gebt uns doch lieber ein festes Budget, statt komplizierte Förderprogramme mit detaillierten Nachweispflichten aufzulegen. In vielen Bereichen muss es einfach mehr Beinfreiheit geben. Vom Straßenverkehrsrecht bis zum Baurecht. Der „Bauturbo“ der Bundesregierung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung: Verfahren einfacher und schneller machen. Die Städte und Gemeinden ächzen unter der Last der kommunalen Pflichtaufgaben, vielen bleibt kaum noch Raum zur Gestaltung. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat hat vorgeschlagen, bestimmte Dienstleistungen zu zentralisieren. Wie stehen Sie dazu? Das teilen wir. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat nimmt in ihrem Abschlussbericht Bezug auf unsere „Dresdner Forderungen“. Darin haben wir diesen Ansatz beschrieben: Aufgaben, bei denen die Kommunen praktisch gar keinen eigenen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum haben und die sich gut digital und standardisiert bearbeiten lassen, können auch zentral von den Ländern oder vom Bund übernommen werden. Das können zum Beispiel die Anträge auf Wohngeld oder Elterngeld sein. Jedenfalls könnten zentrale Verfahren bereitgestellt werden. Dann können sich die Städte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder auf das konzentrieren, was sie am besten können: vor Ort gestalten und das Leben für die Menschen in der Stadt besser machen. Christian Schuchardt © Thomas Berberich 8 AKTUELL dbb magazin | September 2025
Sie fordern einen höheren Anteil der Städte an den Gemeinschaftssteuern und keine weitere Aufgabenübertragung von Bund und Ländern ohne Gegenfinanzierung. Wie stellen Sie sich diesbezüglich die Ausgestaltung des Zukunftspaktes von Bund, Ländern und Kommunen vor? Das sind auf jeden Fall zwei sehr wichtige Punkte. Bereits jetzt leisten die Kommunen etwa ein Viertel der gesamtstaatlichen Ausgaben, erhalten aber nur ein Siebtel der Steuereinnahmen. Das passt nicht zusammen. Wenn wir einen höheren Anteil am Steueraufkommen fordern, ist das also kein Selbstzweck, sondern entspricht einfach der Realität der föderalen Aufgabenverteilung. Aber beim Zukunftspakt muss es um mehr gehen. Das Ziel ist ein neues und faires Miteinander aller Ebenen. Dazu muss auch gehören, dass wir uns alle miteinander ehrlich machen: Welche Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Städten soll es geben und wie wird sie finanziert? Wir brauchen auch eine Aufgabenkritik: Was soll der Staat leisten, wer kann das am besten leisten und welche Ressourcen braucht es dafür? Und es braucht Gesetze, die praxis- und lebensnahe Politik für die Menschen ermöglichen. Jedes neue Gesetz sollte gemeinsam mit den Städten darauf überprüft werden, wie es sich vor Ort umsetzen lässt. Und am besten wird die digitale Umsetzung von Gesetzen von Anfang an mitgedacht. Von der Bundesregierung haben wir noch keine ganz konkreten Signale, wie genau die Arbeit am Zukunftspakt laufen soll. Für uns ist aber glasklar: Die Kommunen gehören auf Augenhöhe mit an den Tisch, sonst funktioniert es nicht. Und die Zeit drängt, auch mit Blick auf die finanzielle Situation der Kommunen. Der Zukunftspakt sollte bis Ende dieses Jahres konkrete Ergebnisse bringen. Ein riesiger Kraftakt für die Kommunen sind auch die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten. Zuletzt gingen die Zahlen deutlich zurück. Ist also Entspannung in Sicht? Es hilft natürlich, dass die Zahlen der Asylanträge in den vergangenen Monaten zurückgegangen sind. In manchen Städten gab es noch Notunterkünfte in Zelten, weil ansonsten Plätze zur Unterbringung fehlten. Solche Notunterkünfte können jetzt teilweise abgebaut werden. Die Situation vor Ort bleibt trotzdem angespannt. Auch wenn die Zahlen zurückgehen, müssen sich die Städte weiter um die Menschen kümmern, die bereits bei uns sind. Schulplätze, Kitaplätze und Wohnraum sind weiter knapp. Auch die Ausländerbehörden stoßen an ihre Kapazitätsgrenze. Wir sagen deshalb: Migration braucht Regeln, Integration braucht Unterstützung. Die Bundesregierung sollte jetzt schnell zwei Punkte angehen: Zum einen brauchen die Städte dringend mehr finanzielle Unterstützung für die vielen Integrationsaufgaben, die wir vor Ort leisten müssen. Immer mehr Integrationsaufgaben ohne zusätzliches Geld, das kann nicht funktionieren. Und zum anderen muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass wir uns vor Ort vor allem um die Menschen kümmern können, die wirklich auf unseren Schutz angewiesen sind. Die Rückführung von ausreisepflichtigen Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive muss besser und schneller funktionieren. Wir setzen uns für mehr Migrations- und Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern ein. Laut dbb Erhebungen fehlen in den Kommunalverwaltungen bundesweit über 100 000 Beschäftigte für eine adäquate Aufgabenerledigung. Zur Personalgewinnung braucht es natürlich konkurrenzfähige Gehälter. Aber abseits des Geldes: Was zeichnet die Arbeit in den Kommunen aus? Wie können Städte und Gemeinden junge Menschen von sich überzeugen? Ein großes Pfund des öffentlichen Dienstes ist natürlich die Arbeitsplatzsicherheit. Gerade bei noch schwächelnder Wirtschaft ist das ein Punkt, der viele junge Menschen überzeugt – aber auch erfahrene Fachkräfte überzeugen kann, aus einem Unternehmen zu einer Stadt zu wechseln. Städte bieten als Arbeitgeberinnen aber noch viel mehr. Nirgends sonst gibt es eine solche Bandbreite an unterschiedlichen Berufen und Tätigkeiten. Die Arbeit in der Stadt reicht vom Gartenbau über IT bis hin zur Feuerwehr oder der Kita. Wer sich als junger Mensch ausprobieren will, hat bei uns die besten Chancen. Aber die Situation ist schwierig. Der öffentliche Dienst insgesamt, aber auch die Kommunalverwaltungen haben erhebliche Nachwuchsprobleme und einen Mangel nicht nur an Fachkräften, sondern an Arbeitskräften insgesamt. Hunderttausende Stellen im gesamten öffentlichen Dienst sind unbesetzt und ein großer Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Bis 2030 wird jeder dritte Beschäftigte im öffentlichen Sektor altersbedingt ausscheiden; das sind 1,5 Millionen von insgesamt rund fünf Millionen Beschäftigten. Deswegen tun die Städte bereits heute viel, um Beschäftigte von sich zu überzeugen: Viele Städte starten Ausbildungsoffensiven, schaffen mehr Ausbildungsplätze. Wir professionalisieren und beschleunigen Besetzungsverfahren, erleichtern den Quereinstieg, fördern Weiterbildung und schaffen Arbeitsbedingungen, mit denen sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen. Trotzdem werden Fachkräfte immer rarer. Deshalb sind wir auch hier wieder beim Thema bessere Gesetzgebung und Entbürokratisierung. Wenn Verfahren und Regelungen von Bund und Ländern praxistauglicher, schlanker und digitaler werden, können die Städte mit den personellen Ressourcen, die sie haben, ihre Aufgaben auch besser erfüllen. _ Wir brauchen für Aufgaben, die wir in der Regel für den Bund übernehmen, endlich den entsprechenden finanziellen Ausgleich. Jedes neue Gesetz sollte gemeinsam mit den Städten darauf überprüft werden, wie es sich vor Ort umsetzen lässt. AKTUELL 9 dbb magazin | September 2025
UMFRAGE Personalpolitik für den öffentlichen Dienst 600 000 Beschäftigte fehlen Schule, Pflege, Justiz – überall fehlt Personal. dbb Chef Volker Geyer hat die Politik aufgefordert, neue Wege einzuschlagen und die positiven Effekte der Digitalisierung konsequent zu nutzen. Volker Geyer ist im Juni 2025 ins Amt gekommen, da sein Vorgänger Ulrich Silberbach aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste. Die Amtszeit endet offiziell im Herbst 2027. Auf die Frage der FAZ, ob er nur ein Übergangsvorsitzender sei, antwortete der dbb Chef: „Nein, das bin ich nicht. Ich werde auf dem Gewerkschaftstag 2027 abermals antreten.“ Geyer strebt zweite Amtszeit an Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie künftig bei jeder neuen Aufgabe, die sie an Länder oder Kommunen überträgt, gleichzeitig eine digitale Lösung anbietet, um diese Aufgabe effizient zu bewältigen“, sagte der dbb Bundesvorsitzende Volker Geyer im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe vom 11. August 2025). „Der Personalmangel beim Zoll ließe sich zum Beispiel reduzieren, wenn die Pakete durch KI vorsortiert würden. Anders bekommen wir auch die Paket-Tsunamis aus Fernost – Stichwort: Temu – nicht in den Griff.“ Doch bis die Digitalisierung für spürbare Entlastung sorgt, ist es noch ein weiter Weg. Der dbb geht davon aus, dass kurz- und mittelfristig sogar mit einem höheren Personalbedarf zu rechnen ist. Aktuell fehlen dem öffentlichen Dienst 600 000 Beschäftigte, um allen Aufgaben gerecht zu werden. Die zahlenmäßig größten Fehlbedarfe gibt es laut aktueller dbb Abfrage vor allem bei Lehrkräften, Fachkräften im Gesundheitsbereich und in der Altenpflege sowie in den Kommunalverwaltungen. Forderungen aus der Politik, die Menschen mehr Wochenstunden leisten zu lassen und insgesamt länger zu arbeiten, erteilte Geyer eine klare Absage. Derartige Ideen gingen komplett an der Lebensrealität und den Anforderungen der Arbeitswelt vorbei, sagte er. „Wir haben schon heute eine extreme Zunahme an psychischen Erkrankungen. Die Leute können nicht mehr.“ Hintergrund der riesigen Personallücke sind nicht nur ständige Aufgabenzuwächse und neue Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Migration, Infrastruktur und innere Sicherheit, weshalb hauptsächlich Länder und Kommunen auf zusätzliches Personal angewiesen sind. Der Personalmangel spitzt sich auch weiter zu, weil allein 2025 zwei Prozent der Beschäftigten altersbedingt in den Ruhestand gehen. In den nächsten zehn Jahren scheiden mindestens weitere 1,39 Millionen (27 Prozent) aus. Selbst bei Berücksichtigung der erwartbaren Neueinstellungen bleibt rechnerisch eine zusätzliche Personallücke von mehreren Hunderttausend Beschäftigten. Die ungünstige demografische Entwicklung tut ihr Übriges. _ © Andreas Pein © Unsplash.com/Getty Images Aktueller Personalbedarf öffentlicher Dienst Bundespolizei 15 000 Landespolizei 49 000 Verteidigung 20 000 Steuerverwaltung 45 000 Zoll 6 000 Schulen 115 000 Kitas 96 400 Kommunalverwaltungen (allgemeine Verwaltung, Ausländerbehörden, Bauämter, Jugendämter, Ordnungsämter, Sozialämter/Soziale Arbeit, Feuerwehren) 108 500 Öffentlicher Gesundheitsdienst 12 500 Kranken- und Altenpflege 120 600 Lebensmittelkontrolle 1 500 Arbeitsagenturen/Jobcenter 2 500 Justiz (Richter/innen, Justizvollzug, Verwaltung) 8 500 Fehlende Beschäftigte 600 500 Bei der dbb Erhebung zum Personalmangel im öffentlichen Dienst geht es nicht nur um tatsächlich offene Stellen in den Personalplänen, sondern um die Zahl der für eine effiziente Aufgabenerledigung tatsächlich benötigten Kolleginnen und Kollegen. 10 AKTUELL dbb magazin | September 2025
DOSSIER FACHKRÄFTE Fachkräftemangel Die IT ist das Nadelöhr Deutschland soll digitaler werden, und das schon seit Langem. Mit dem Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung will die Bundesregierung neue Impulse setzen. Doch alles steht und fällt mit dem Fachpersonal. Juni 2021, es ist das erste Mal, dass eine Kommune wegen eines Hackerangriffs den Katastrophenfall ausruft: Der Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist lahmgelegt. Die Täter fordern Lösegeld, der Kreis verweigert die Zahlung, einige der erbeuteten Daten landen im Darknet, darunter Privatanschriften und nicht öffentliche Sitzungsprotokolle. Die Verwaltung kann bestimmte Sozial- und Unterhaltsleistungen nicht auszahlen – für Betroffene ein Ärgernis. Schätzungen zufolge sind dem Landkreis durch den Angriff Kosten in Höhe von mehr als zwei Millionen Euro entstanden. 2022, ein Jahr nach dem Vorfall, ist die IT der Verwaltung noch immer nicht wieder vollständig intakt. Die Gründe: fehlende Dienstleister, die Anwendungen installieren, und fehlende Fachkräfte, die den Beschäftigten die Nutzung der neu aufgespielten Systeme vermitteln, wie das Magazin heise online berichtete. Das Beispiel von Anhalt-Bitterfeld verdeutlicht zum einen, wie wichtig es für den Staat ist, sich und seine Institutionen vor Cyberangriffen zu schützen. „Wir erleben durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen auch eine Zeitenwende für die innere Sicherheit“, schreibt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Lagebericht zur IT-Sicherheit in Deutschland. „Die Bedrohungslage im Bereich der Cybersicherheit ist unvermindert hoch.“ Und zum anderen verdeutlicht der Vorfall, welche große Rolle IT-Fachkräfte für die Handlungsfähigkeit des Staates spielen. „Digitale Kompetenzen sind die Schlüsselkompetenzen der Zukunft“, sagt Volker Geyer, Bundesvorsitzender des dbb. „Ohne IT-Fachkräfte geht es nicht, denn sie sind es letztlich, welche die Digitalisierung in den Ämtern und Behörden praktisch umsetzen. Die Beschäftigten können nur digital arbeiten, wenn sich jemand um die Technik kümmert, Systeme wartet und die Sicherheit gewährleistet.“ Kaum vorhanden, aber höchst relevant Laut Einschätzung des dbb fehlen dem öffentlichen Dienst aktuell 600 000 Beschäftigte, um alle Aufgaben zuverlässig zu erledigen. Innerhalb der kommenden zehn Jahre scheiden mindestens 1,39 Millionen altersbedingt aus. Das entspricht 27 Prozent der Beschäftigten. Egal ob in der Verwaltung, bei der Polizei oder in den Arbeitsagenturen: Unter dem fehlenden Personal sind immer auch IT-Kräfte. Nach Berechnungen der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey werden im Jahr 2030 bis zu 140 000 Personen mit „spezifischen digitalen Fähigkeiten“ fehlen. Also Personal, das sich mit Softwareentwicklung, Datenanalyse, IT-Infrastruktur und Cybersicherheit auskennt. Von Administratoren bis Projektleitern sind IT-Fachkräfte gefragt, wenn es zum Beispiel um die Datenanalyse oder den Aufbau von Websites geht. Sie erstellen digitale Formulare, pflegen Datenbanken und entwickeln neue Anwendungen, die auf die Bedürfnisse des öffentlichen Dienstes zugeschnitten sind – denn nicht immer eignen sich die auf dem Markt verfügbaren Anwendungen. Sie verwalten Benutzerkonten, richten Dienstgeräte wie Computer und Smartphones ein und stehen den Beschäftigten bei IT-Problemen unterstützend zur Seite. Die Bandbreite an Tätigkeiten, die für das Funktionieren des Staates von Bedeutung sind, ist enorm. Egal ob im Bundeszentralamt für Steuern, in den © Unsplash.com/Christina_wocintechchat 12 FOKUS dbb magazin | September 2025
Zolldirektionen oder in den Kommunalverwaltungen vor Ort. Besonders in den Fokus rücken IT-Fähigkeiten auch bei der Kriminalitätsbekämpfung: Um Kriminellen im digitalen Raum das Handwerk zu legen, braucht es Personal, das sich mit IT-Forensik und dem Entschlüsseln von Datenträgern auskennt. Nicht überraschend ist, dass IT-Fachkräfte auch für diverse Vorhaben der Bundesregierung unerlässlich sind. Im Koalitionsvertrag heißt es unter anderem: „Wir setzen auf konsequente Digitalisierung und Digital Only: Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform (One-StopShop) ermöglicht werden, das heißt ohne Behördengang oder Schriftform.“ Oder auch: „Verwaltungsprozesse werden wir automatisieren, beschleunigen und effizienter gestalten – insbesondere mit künstlicher Intelligenz. Den Zugang zu und die Verknüpfung von relevanten Daten stellen wir sicher.“ Je digitaler der Staat wird, desto mehr fungiert die Verwaltung selbst als eine Art IT-Dienstleister. Staat muss konkurrenzfähiger werden Aber woher die Fachkräfte nehmen? Nachwuchskräfte selbst auszubilden ist die erste Option, die der Staat hat, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dies geschieht beispielsweise mit dem Studiengang der Verwaltungsinformatik an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Die zweite Option: Quereinstiege ermöglichen und damit Fachkräfte erreichen, die nicht im öffentlichen Dienst gelernt haben. Oder – das ist die dritte Option – bereits vorhandenes Personal weiterbilden. Doch nicht bloß der Bedarf im öffentlichen Dienst ist enorm, auch die freie Wirtschaft braucht Fachpersonal und steht in direkter Konkurrenz zum Staat. Dieser hat oft das Nachsehen, was unter anderem an starren Gehaltsstrukturen liegen kann. Konkurrenzfähig ist die Bezahlung – wenn überhaupt – nur in den höheren Entgeltgruppen. Diese setzen jedoch formal bestimmte Berufsabschlüsse voraus, die nicht alle potenziellen Fachkräfte mitbringen. Eine weitere Hürde: Nur wer bereits viele Jahre im öffentlichen Dienst gearbeitet hat, erreicht höhere Entgeltstufen innerhalb der Entgeltgruppen. Entsprechend ist ein Wechsel in den öffentlichen Dienst für alle, die ihre Karriere in der freien Wirtschaft gestartet haben, finanziell nicht unbedingt attraktiv. Letztlich können auch weitere Faktoren eine Rolle spielen: traditionelle Einstellungsverfahren, bei denen eine Einstellung nicht an Kompetenzen, sondern an Formalitäten scheitert – oder wegen langer Verfahren auch an späten Rückmeldungen. Und nicht zuletzt gibt es Fachkräfte, die keine Führungsaufgaben übernehmen wollen. Genau das verquickt das Laufbahnrecht jedoch in manchen Fällen mit höheren Besoldungsstufen, weshalb die freie Wirtschaft für die Betroffenen attraktiver ist. Diesem Phänomen begegnet das BSI bereits mit sogenannten Fachkarrieren. Dazu heißt es auf der Homepage: „Im BSI habt ihr nicht nur die Möglichkeit, in einer Führungslaufbahn aufzusteigen, sondern auch im Rahmen unserer sogenannten Fachkarriere. Wenn ihr euch vor allem fachlich in eurem Spezialgebiet weiterentwickeln wollt, bieten wir euch die Möglichkeit, auch ohne Führungsfunktion die Entgelt- oder Besoldungsstufe gleichrangig zur ersten Führungsebene zu erreichen.“ Neue Wege beschreiten Es gibt noch weitere Ebenen, die bei der Gewinnung von IT-Kräften eine Rolle spielen können: Wer die Verwaltung digitalisieren will, muss sie verstehen. Zumindest ist das für Projektleiterinnen und Projektleiter, welche die Fäden in der Hand haben, eine wichtige Voraussetzung. Allerdings haben IT-Fachkräfte in der freien Wirtschaft in der Regel keine Berührungspunkte mit der Verwaltung. Dem wirkt der besagte Studiengang der Verwaltungsinformatik an der Hochschule des Bundes entgegen. Weiterhin lebt die IT vom Ausprobieren, Start-up-Kultur, interdisziplinären Teams; Beschäftigte der Branche bilden sich auf Konferenzen, mitunter auch auf sogenannten Hackathons weiter. Dabei arbeiten Programmierer und Entwickler für einen kurzen Zeitraum gemeinsam an einem bestimmten Projekt oder versuchen, bestehende Probleme zu lösen. Diese Form der Arbeitskultur ist im öffentlichen Dienst wenig verbreitet. Auch das kann potenzielle Fachkräfte abschrecken. Weniger hierarchische Strukturen und mehr Flexibilität können hilfreich sein, um Expertinnen und Experten zu gewinnen – und wenn es nur für einen begrenzten Zeitraum ist. „Es reicht nicht mehr, bloß mit Sinnstiftung und der Sicherheit des Arbeitsplatzes zu werben“, resümiert Volker Geyer. „Gerade in der IT spielen so viele andere Faktoren eine viel entscheidendere Rolle. Ich werbe ausdrücklich dafür, neue Wege zu beschreiten. Denn davon können der Staat und wir alle als Gesellschaft nur profitieren!“ cdi Junge IT-Spezialisten arbeiten anders. Um für sie attraktiv zu sein, muss die Verwaltung moderner werden. © Unsplash.com/Trust Tru Katsande FOKUS 13 dbb magazin | September 2025
Imagekampagnen für den öffentlichen Dienst Es gilt, Versprechen zu halten Für die Fachkräftegewinnung nutzt der öffentliche Dienst aufwendige Imagekampagnen. Lassen sich so neue Bewerberinnen und Bewerber gewinnen und altgediente Beschäftigte halten? Wir suchen Terroristen (m/w/d)“, so aufmerksamkeitsheischend kann sich der sonst eher diskrete Bundesnachrichtendienst gebärden, wenn er um Nachwuchskräfte wirbt. Das sollen natürlich gerade keine Terroristen sein, wie der Nachsatz klarstellt: „Finde sie mit uns.“ Die Bundeswehr lädt interessierte Jugendliche zu „Discovery Days“ auf Truppenübungsplätze und in Kasernen ein. Baden-Württemberg wirbt seit 2024 fürs „FachkräfteLÄND“ und unter Studierenden der MINT-Fächer fürs „NERD LÄND“. „Da für dich“ ist die Berliner Polizei. Mit lustigen Wortspielen, krassen Logos, coolen Sprüchen und schicken Bildern umgarnt der öffentliche Dienst Interessierte. Denn er ist auf allen Ebenen auf Beschäftigte angewiesen, die ihre Arbeit aus Überzeugung tun. Da die freie Wirtschaft im Zweifel attraktivere Arbeitsbedingungen und höhere Einkommen bietet, erscheint dieses Vorgehen sinnvoll. Imagekampagnen können den öffentlichen Blick auf einen Beruf, eine Institution oder auch auf eine Region regelrecht umpolen: Seit 2005 warb Sachsen-Anhalt jahrelang mit der Kampagne „Wir stehen früher auf“ für die eigene Ausgeschlafenheit und bekämpfte erfolgreich das seinerzeit blasse Image des Landes. Die Idee zur Kampagne war entstanden, als eine Umfrage ermittelt hatte, dass die Sachsen-Anhaltiner werktags um 6.39 Uhr aufstehen und damit neun Minuten früher als alle anderen Bundesbürger. In Berlin drehte eine Kampagne für die Stadtreinigung BSR das Schmuddelimage der Müllmänner und -frauen. Mit Sprüchen wie „We kehr for you“ und „Mülle Grazie“ wurden aus Underdogs die Umwelthelden des „Teams Orange“. Ein Imagewandel sichert neben der Aufwertung einer Marke auch die Bereitschaft, sich beruflich zu engagieren. Sei es „von der Pike auf“, mit einer Berufsausbildung, nach dem Studium oder als Quereinsteiger. Die Arbeit bei einem repräsentativen Arbeitgeber beschert auch den Beschäftigten soziale Anerkennung. So weit jedenfalls die Theorie. Aber funktioniert das auch in der Realität? Öffentliche Verwaltungen Um das herauszufinden, hat das dbb magazin bei jenen nachgefragt, die im engen Kontakt mit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stehen – die Mitglieder der dbb Fachgewerkschaften. Drei Gruppen standen im Fokus: öffentliche Verwaltungen, Polizei und Zoll sowie Lehrerinnen und Lehrer. Frank Meyers, zweiter Bundesvorsitzender der komba gewerkschaft und Landesvorsitzender der komba gewerkschaft nrw, nimmt ganz grundsätzlich Stellung: „Die öffentlichen Verwaltungen haben verstanden, dass bloße Stellenausschreibungen auf Jobportalen oder das Setzen auf Mundpropaganda heute nicht mehr ausreichen, um Fachkräfte zu gewinnen. Immer häufiger sehen wir gut gemachte Imagekampagnen. Sie müssen aber auch halten, was sie versprechen, wie gute Arbeitsbedingungen, attraktive Bezahlung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ Die komba Mitglieder Andreas Leinhaas, Amtsleiter Personal- und Organisationsamt der Stadt Bonn, und Jannis Langner, beim Personal- und Verwaltungsmanagement in der Kölner Stadtverwaltung im Bereich für Employer Branding tätig, pflichten Meyers bei. Langner hebt außerdem hervor, dass es mutiger crossmedia- © BSR © Polizei Berlin 14 FOKUS dbb magazin | September 2025
ler Werbemaßnahmen mit Sprüchen, die im Kopf bleiben und zum Handeln aufrufen, bedürfe. „Wichtig ist hier auch, dass man authentisch ist. Echte Geschichten von echten Menschen anstelle von Stockbildern. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln, dass hinter der Verwaltung motivierte Menschen stecken, die jeden Tag daran arbeiten, dass unser aller Zusammenleben funktioniert“, ist Langner überzeugt. So habe die Zahl eingehender Bewerbungen deutlich gesteigert werden können. Sein Bonner Kollege Leinhaas ergänzt, dass Humor und Selbstironie in den Kampagnen eine bedeutende Rolle spielen. Gerade unterschätzte Tätigkeiten könnten so ins Rampenlicht gerückt werden. „Die humorvolle Darstellung macht überdies neugierig und baut mögliche Berührungsängste gegenüber weniger bekannten Berufen ab“, findet Leinhaas. Zudem wird, davon ist der Bonner überzeugt, die Identifikation von Fachkräften mit ihrem Arbeitsplatz gestärkt und das Image der Stadtverwaltung als offene, vielseitige und zugängliche Arbeitgeberin gefördert. Polizei und Zoll Thomas Liebel und Rainer Wendt sind sich in zwei Punkten einig: Imagekampagnen wirken – wenn sie professionell gemacht sind. Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), erinnert sich an „mit Bordmitteln gemachte Kampagnen“ und an pseudojung rappende, ältere Kollegen in Uniform. „Das war teilweise peinlich.“ Gut gemachte Kampagnen, wie bundespolizei.de/karriere, hätten hingegen das Zeug, das Ansehen der Polizei zu steigern. Nach Wendts Erfahrung haben 40 Prozent der Bewerber einen familiären Bezug zur Polizei oder Freunde und Bekannte, die im Bereich arbeiten. „Die erfolgreichste Werbekampagne ist eine zufriedene Belegschaft“, findet er. Da die Polizei wegen der in den Ruhestand gehenden Babyboomer sehr viel einstellt, muss nach seiner Überzeugung dennoch mehr passieren. Thomas Liebel, Bundesvorsitzender der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ), hat die Erfahrung gemacht, dass Imagekampagnen den Zoll in den verschiedenen Facetten seiner Arbeit bekannter machen – hier die Verwaltung, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, dort die bewaffneten Zollfahnder oder die Spezialeinheiten. Vorherrschend sei noch immer das etwas eingeschränkte Bild des an der Grenze oder am Flughafen kontrollierenden Zöllners. Es sei wichtig klarzumachen, dass beim Zoll, je nach individuellen Bedürfnissen und Lebensabschnitt, unterschiedliche Karriereschritte gemacht werden können. Auch das direkte Bemühen um den Nachwuchs, wie auf zoll-kar riere.de, sei wichtig. Da liegt die Betonung auf der Action, denn es gehe um junge Leute. Zwar würden ältere Kollegen sich in den Spots teils nicht wiederfinden, aber weil so viele Kollegen und Kolleginnen in Ruhestand gehen würden, sei die Nachwuchsgewinnung entscheidend. Rund sechs Millionen Euro kann der Zoll jährlich dafür aufwenden. „Entscheidend ist, dass endlich was gemacht wird“, sagt Liebel. Sowohl der Zöllner Liebel als auch der Polizist Wendt sehen ihre Arbeit in den Kampagnen nicht sonderlich realistisch dargestellt. „Werbung ist Werbung“, meint Wendt. Er findet es „clever, die schönsten Seiten darzustellen“. Auch Liebel ist dieser Meinung. Es werde eher eine Erwartung abgebildet. Er weiß: „Das Kerngeschäft beginnt eigentlich erst, wenn man in die Dienststelle zurückkehrt.“ Lehrkräfte Mit dem Begriff „Lehrkraft“ spielt die Imagekampagne, die Prof. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes (DPhV), spontan einfällt. „Ich habe LehrKRAFT“, bekannten zahlreiche Lehrkräfte ab 2021 in den Verbandszeitschriften des DPhV, auf Plakaten und Social-Media-Kacheln und betonten, was sie an ihrem Beruf schätzen: die Potenziale von Kindern zu entwickeln und sie dabei zu unterstützen, die eigene Zukunft zu gestalten. Ob die Kampagne einen Effekt nach außen gehabt hat, vermag Lin-Klitzing nicht genau abzuschätzen; die Bundesländer verfolgen zu unterschiedliche Strategien bei der Lehrkräftegewinnung. Aber an die positive Wirkung der Verbandskampagne nach innen erinnert sie sich sehr gut: Sie habe die Solidarität untereinander gestärkt und sei eine Chance zur Selbstvergewisserung gewesen. „Wir haben einen tollen Beruf, in dem wir gerne arbeiten“, unterstreicht die Deutschlehrerin. Wenig hält sie hingegen von etlichen politischen Kampagnen, etwa der „Hurra, Ferien!“-Kampagne, mit der 2023 in Baden-Württemberg insbesondere um Quereinsteiger geworben worden war. Die klischeehafte Darstellung von dauerurlaubenden Lehrkräften hatte online einen Shitstorm ausgelöst; der Text auf den Großflächenplakaten musste entschärft werden. Tomi Neckov, stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), hat sich nicht nur darüber geärgert, sondern auch über die „VOR ORT Zukunft prägen“-Kampagne in Bayern. „Das Problem: Sie haben mit vermeintlichen Vorteilen des Jobs geworben, die es in der Realität gar nicht gibt“, erinnert er sich. „Wichtig ist, dass der Beruf authentisch dargestellt wird“, unterstreicht Neckov. Und er fügt hinzu: „Viel besser wäre es, gute Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte zu schaffen und ein Bildungssystem, in dem Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte gerne in die Schule gehen. Ich glaube, dann bräuchte es gar keine Werbekampagnen mehr.“ ada © BND FOKUS 15 dbb magazin | September 2025
Zwar zeichnen sich ländliche Regionen oft durch hohe Lebensqualität, günstige Lebenshaltungskosten und eine starke mittelständische Wirtschaft aus. Gleichzeitig leiden sie jedoch unter strukturellen Nachteilen, insbesondere bei der Mobilität. Während in urbanen Zentren ein engmaschiges Netz an Bus- und Bahnverbindungen sowie neue Mobilitätskonzepte wie Carsharing oder E-Scooter existieren, sind Bewohner ländlicher Gemeinden meistens auf das Auto angewiesen. Es mangelt vielerorts an grundlegenden Busverbindungen – ein erhebliches Hindernis für Pendlerinnen und Pendler, denn nicht jeder kann oder möchte sich ein Auto leisten. Das betrifft nicht nur potenzielle Fachkräfte, sondern auch Auszubildende, Menschen, die aus der Stadt zurückkehren, oder internationale Arbeitskräfte, die sich in der Region niederlassen möchten. Wege aus dem Teufelskreis Die eingeschränkte Mobilität verstärkt den Fachkräftemangel im ländlichen Raum zusätzlich: Junge Menschen verlassen ländliche Gebiete zugunsten der Städte, die bessere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten sowie eine flexiblere Mobilität bieten. In der Folge schwächt die Abwanderung das Angebot an Dienstleistungen, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen auf dem Land und macht betroffene Regionen unattraktiv. Arbeitgebende können dort nicht mehr auf ein breites Bewerberfeld zurückgreifen, weil viele Fachkräfte schlichtweg nicht bereit sind, eine Arbeitsstelle anzutreten, die sie nur schwer oder gar nicht erreichen können. Um diesem Trend entgegenzuwirken, sind neue Ideen und Konzepte gefragt, viele Gemeinden verfolgen vielversprechende Ansätze, zum Beispiel bedarfsgesteuerte Angebote: Sogenannte On-Demand-Shuttles, also Kleinbusse, die per App gebucht werden können und flexibel auf Abruf fahren, sind eine Alternative zum starren Linienverkehr. Sie ermöglichen eine bessere Anbindung auch abgelegener Dörfer und fördern die Erreichbarkeit von Arbeitsstätten. Lokale Koordinierungsstellen wie Mobilitätszentralen und Mitfahrplattformen helfen, Fahrgemeinschaften zu organisieren, individuelle Lösungen zu vermitteln und den Überblick über bestehende Mobilitätsangebote zu geben. Auch immer mehr Unternehmen erkennen die Bedeutung der Mobilität für ihre Mitarbeitenden und bieten eigene Lösungen an, etwa durch Shuttle-Services, Leasingangebote für Fahrräder und E-Autos oder die Förderung von Homeoffice, wo es möglich ist. Eine sinnvolle Kombination aus Bahn, Bus, Fahrrad und Carsharing in Form multimodaler Verkehrsangebote kann helfen, die sogenannte „letzte Meile“ zu überbrücken. Voraussetzung dafür ist jedoch eine bessere digitale Vernetzung der Angebote und eine Infrastruktur, die den Umstieg einfach und zuverlässig macht. Mobilität als Brücke zum Arbeitsmarkt Letztlich muss die Politik Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität schaffen. Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, Förderung innovativer Konzepte und gezielte Maßnahmen für strukturschwache Regionen sind notwendig, um den ländlichen Raum wieder attraktiver zu machen – für Bewohner, Unternehmen und Fachkräfte. Auch Gemeinden und Kommunen sind gefordert. Sie müssen Mobilität als Standortfaktor begreifen und aktiv in ihre Entwicklungsstrategien einbeziehen. Gleichzeitig ist die Gesellschaft gefragt, bestehende Mobilitätsangebote anzunehmen, zu nutzen und mitzugestalten. Denn verbesserte Mobilität im ländlichen Raum ist kein Selbstzweck, sondern ein essenzieller Baustein zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Wer Fachkräfte gewinnen und halten will, muss ihnen Wege eröffnen. Eine moderne, flexible und nachhaltige Mobilitätsinfrastruktur hilft, Entfernungen zu überwinden und Lebensräume im ländlichen Raum zukunftsfähig zu gestalten. Nur wenn Mobilität nicht mehr als Hürde, sondern als Brücke zwischen Menschen, Orten und Möglichkeiten verstanden wird, kann der ländliche Raum im Wettbewerb um Fachkräfte bestehen. eh In vielen Regionen Deutschlands suchen Unternehmen händeringend nach qualifiziertem Personal, Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt und ganze Wirtschaftsbereiche stehen vor der Herausforderung, ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern. Besonders im ländlichen Raum verschärft sich das Problem durch eine oft unzureichende Mobilitätsinfrastruktur, die es Fachkräften erschwert, potenzielle Arbeitsstellen zu erreichen – oder überhaupt zu erwägen. Mobilität im ländlichen Raum Frische Konzepte gegen den Fachkräftemangel © Unsplash.com/Marius Matuschzik 16 FOKUS dbb magazin | September 2025
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