dbb magazin 7-8/2025

Um regionenübergreifend Hilfe im Katastrophenfall zu bieten, gibt es das „Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern“. Dort wird ein aktuelles, flächendeckendes Lagebild erstellt. Auf Anforderung der Länder werden Engpassressourcen vermittelt. Auch auf Hilfeleistungsersuchen, im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der EU wie international, wird von dort aus reagiert und Hilfsangebote Deutschlands werden zentral weitergegeben. Das Bundesamt entwickelt Schutzpläne für unterschiedliche Krisen. Das zentrale Alltagsszenario ist dabei der Blackout, der bereits im Rahmen eines Extremwetterereignisses eintreten könnte. Ein denkbares Kriegsszenario orientiert sich am Vorgehen Russlands in der Ukraine: Präzisionsangriffe auf die kritische Infrastruktur. „Die Sensorik für den Fall, dass da ‘etwas auf Deutschland zufliegt’, die haben wir. Denn wir sitzen mit eigenem Personal in der Luftverteidigung Deutschlands und der NATO und beobachten den Luftraum rund um die Uhr. Und wenn sich dort etwas bewegt, was nicht gut für uns ist, dann lösen wir das Alarmsystem aus“, erläutert der Behördenchef das Arbeitsprinzip. Resilienz des öffentlichen Lebens Das BBK gibt auch Ratgeber mit Handlungsempfehlungen für jeden Einzelnen heraus. Bund, Länder und Bundesanstalt für Immobilienverwaltung erstellen aktuell ein Schutzraumkonzept. Gemäß dem zugrunde liegenden Szenario sieht es vor, die vorhandene massive Infrastruktur in Deutschland zu nutzen, Tiefgaragen, Keller von öffentlichen Gebäuden, U-Bahn-Schächte, Tunnel. Öffentliche Orte also, die in einer Vorwarnzeit von zwei bis vier Minuten erreicht werden können, sollen Schutz vor den punktuellen Angriffen bieten. Zukünftig sollen die Warn-Apps auch auf die nächstgelegenen Zufluchtsorte verweisen. In Eigenleistung können auch private Keller in Schutzräume umgewandelt werden. „Zu den privaten Zufluchtsorten werden wir demnächst Handlungsempfehlungen herausgeben“, verspricht Tiesler. Jeder Einzelne muss sich vorbereiten. „Eine Gesellschaft ist resilient, wenn sie sich selbst schützen kann und weiß, was zu tun ist in einer solchen Situation“, sagt er und verweist auf die bald erscheinenden Ratgeber des BBK zum Thema. Bundesbehörden, Länder und Kommunen – alle müssen wissen, was im Ereignisfall ihre Aufgabe ist. Kommunen etwa, welche Alarmmaßnahmen ausgelöst werden müssen, wie die Wasser- und Stromversorgung aufrechterhalten wird und ob etwa Truppen und Verletzte mitversorgt werden müssen. Welche Ärztinnen, Ärzte und Hilfsorganisationen sind verfügbar? Auch jede Verwaltung hat die Aufgabe, sich krisenfest zu machen. Benötigt werden Alarmkalender, aktuelle Telefon- und Urlaubslisten der Mitarbeitenden auf Papier, trainierte Krisenstäbe. Das BBK bildet Krisenstäbe, etwa der Länder und der Ministerien, aus. Ziel ist die Bildung einer funktionierenden Krisenorganisation von ganz unten nach oben, um in einer solchen Situation das Land zu führen. „Und Unternehmen sind auch dabei. Das sind ganz wichtige Player, denn sie sorgen im Ernstfall für Versorgungssicherheit, etwa bei Strom und Wasser, Lebensmitteln und Kraftstoffen“, erläutert Tiesler. Internationale Verantwortung Auch die EU kooperiert beim Katastrophenschutz. Im gemeinsamen Lagezentrum in Brüssel laufen die Hilfeleistungsersuchen aus Mitgliedstaaten auf und werden an alle anderen Mitgliedsländer weitergeleitet, die gegebenenfalls Hilfe anbieten. „Dazu haben wir in den vergangenen Jahren eine Standardisierung erlebt, damit die Hilfeempfänger auch wissen, was sie bekommen“, erzählt Tiesler seine Erfahrungen. Deutschland ist gut mit Krankenhäusern versorgt und liegt in der Mitte Europas. Würde die Nordostflanke der NATO angegriffen, wäre hier die Drehscheibe für alliierte Truppen. Diese müssten versorgt und natürlich auch Verletzte behandelt werden. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass in einem solchen Fall über 1 000 Verwundete pro Tag eintreffen. Und das über Wochen und Monate hinweg“, sagt Tiesler. „Wir haben nicht mehr viel Zeit. Bis 2029 müssen wir zivilverteidigungstüchtig sein.“ Trotz technischer und organisatorischer Fortschritte sieht Tiesler ein Defizit – den gesellschaftlichen Konsens. „Von Finnen, Schweden oder von den Schweizern können wir gesamtgesellschaftliches Einverständnis lernen. So sind in Finnland immer alle gemeinsam am Tisch, auch die Industrie. Bei den Fragen: ‚Was müssen wir tun? Sind wir selbst krisenfest?‘, sind die einig. Deshalb sind Finnen und Schweizer echt wehrhaft. Was es in Deutschland gibt, ist spontane Solidarität, wie bei der Ahrtal-­ Katastrophe. Und diese Solidarität müssen wir tatsächlich auch ständig leben.“ ada BBK-Präsident Ralph Tiesler Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) entstand aus der 1957 gegründeten „Bundesdienststelle für zivilen Bevölkerungsschutz“. Seit 2004 besteht es in seiner heutigen Form. Es schützt die Bevölkerung im Verteidigungsfall, unterstützt Länder und Kommunen im Katastrophenfall und koordiniert länderübergreifende Einsätze. Präsident ist seit 2022 Ralph Tiesler (65), Jurist mit Erfahrung unter anderem beim Technischen Hilfswerk und im Bundesinnenministerium. Das BBK © BBK FOKUS 21 dbb magazin | Juli/August 2025

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