dbb magazin 6/2025

Sondervermögen Schulden mit Chancen und Risiken Im deutschen Haushaltsrecht bezeichnet man als Sondervermögen wirtschaftlich verselbstständigte Nebenhaushalte, die ausschließlich für bestimmte, klar abgegrenzte Aufgaben eingerichtet werden. Sie werden getrennt vom regulären Bundeshaushalt geführt und unterliegen denselben Kontrollmechanismen. Durch die Änderungen der Artikel 109, 115 und 143h des Grundgesetzes wurden drei solcher Sondervermögen geschaffen. Für das Sondervermögen für Verteidigung wie auch für Zivilschutz, Cybersicherheit, Nachrichtendienste und Militärhilfe wird die Schuldenbremse gelockert und eine zusätzliche Neuverschuldung des Bundes von insgesamt einer Billion Euro oder mehr ermöglicht. Das bedeutet, dass es durch diese Grundgesetzänderungen in den genannten Bereichen theoretisch keine Begrenzung für die Neuverschuldung gibt. Auch die Erweiterung über den unmittelbaren Bereich der Landesverteidigung hinaus vergrößert die Verschuldungsmöglichkeiten in einem erheblichen Maße. Für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz kann der Bund bis zu 500 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Auch den Bundesländern wird erstmals seit Einführung der Schuldenbremse eine Nettoneuverschuldung ermöglicht. Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen stehen noch aus. Am 21. März 2025 hatte der Bundesrat den Grundgesetzänderungen mit der nötigen Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Investitionen in den genannten Bereichen sind von großer Bedeutung für Deutschland und Europa, nicht zuletzt, weil Verteidigung und Infrastruktur in Deutschland jahrzehntelang vernachlässigt worden sind. Der Krieg in Europa, die mit dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA einhergehenden geopolitischen Veränderungen und die hierzulande immer deutlicher zutage tretenden Mängel bei Bildung, Bahn, Straßen und Brücken haben zu einem Umdenken geführt. Befürworter der Einführung von Sondervermögen verweisen darauf, dass diese Vorhaben nicht alle aus dem laufenden Haushalt finanziert werden können, weshalb das Instrument grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Allein die Höhe der zusätzlich aufgenommenen Schulden kann jedoch problematisch werden. Der Bundesrechnungshof kritisierte im Sommer 2023, dass die Verlagerung umfangreicher Einnahmen und Ausgaben in Sondervermögen den Bundeshaushalt über Jahre hinweg ausgehöhlt habe. Seit 2020 habe diese Praxis stark zugenommen und gefährde das parlamentarische Budgetrecht sowie die Schuldenregel. Parlament und Öffentlichkeit drohten, den Überblick zu verlieren. Ebenso vermisst die Bundesbehörde eine regelmäßige Evaluierung und eine Begründung für die Fortführung der Sondervermögen. Der Umfang der Sondervermögen betrug im Jahr 2022 bereits 869 Milliarden Euro. Laut Bundesrechnungshof lag das Verschuldungspotenzial dieser Sondervermögen am 31. Dezember 2022 noch bei 522 Milliarden Euro; das ist etwa das Fünffache der im Finanzplanungszeitraum 2023 bis 2027 ausgewiesenen Kreditaufnahme. Auch aus der Wissenschaft kommt Kritik. Ein zentrales Argument: Das neue Sondervermögen für die Verteidigung ist theoretisch unbegrenzt. Dadurch droht die Gefahr, dass die tatsächliche Verschuldung nicht mehr transparent ist und sich einer Kontrolle entzieht. Zudem wird bemängelt, dass staatliche Investitionen bei unausgelasteten Kapazitäten – etwa in der Bauwirtschaft – zwar positive Effekte entfalten können. Sind die Kapazitäten jedoch ausgelastet, reagieren Unternehmen auf neue Aufträge häufig mit Preiserhöhungen. In der Folge verlieren Investitionen aus dem Sondervermögen an Wirkung, da kurzfristig kaum Möglichkeiten bestehen, zusätzliche Kapazitäten aufzubauen. Die geplanten Vorhaben gelten zwar als sinnvoll und notwendig. Dennoch fordern Bundesbank, Sachverständigenrat und führende Wirtschaftsforschungsinstitute eine Reform der Schuldenbremse – unter anderem, um die Kreditaufnahme besser über die einzelnen Bundeshaushalte verteilen zu können. rh Die neue Bundesregierung hat mit den bisherigen Mehrheiten im Bundestag in drei Regelungsbereichen sogenannte „Sondervermögen“ eingerichtet. Damit erweitert sie die Möglichkeit, Schulden außerhalb der Schuldenbremse aufzunehmen. Die so geschaffenen finanziellen Spielräume für dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung bieten Chancen – bergen jedoch auch Risiken. Foto: Colourbox.de 24 FOKUS dbb magazin | Juni 2025

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