dbb magazin 6/2025

Staatliche Daseinsvorsorge im Wandel Einmal Privatisierung und zurück Ein zentrales Thema des vergangenen Wahlkampfes war die marode Infrastruktur und die Frage, wie schnell sie saniert werden kann. Besonders umstritten war dabei die Finanzierung: Soll die Erneuerung allein aus öffentlichen Mitteln erfolgen oder dürfen auch private Investoren einsteigen? Der dbb lehnt private Investitionen in öffentliche Infrastrukturen ab. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Infrastruktur ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge und gehört damit in die öffentliche Hand. Auch die Finanzierung sollte deshalb ausschließlich durch staatliche Mittel erfolgen. Zwar wird der Begriff der Daseinsvorsorge in Soziologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft unterschiedlich verwendet. Gemeint ist im Kern jedoch immer dasselbe: die staatliche Aufgabe, Güter und Leistungen bereitzustellen, die für ein menschenwürdiges Leben erforderlich sind. Es handelt sich also um ein abstraktes Konzept, das oft mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Wann ist eine Existenz „menschenwürdig“? Wann sind staatliche Leistungen hierfür „notwendig“? Und was bedeutet „bereitstellen“ konkret? Die Unklarheiten führen zur Verwendung des Begriffs in politischen Debatten, ohne dass er konkret erklärt würde. Dabei ist Daseinsvorsorge ein fundamentaler Bestandteil des Staatsverständnisses, wie es im Grundgesetz angelegt ist. Der Staat ist in der Pflicht Die Pflicht zur Daseinsvorsorge ergibt sich aus dem Grundgesetz, auch wenn der Begriff selbst dort nicht wörtlich erwähnt wird. Artikel 20 des Grundgesetzes beschreibt Deutschland als einen „sozialen Bundesstaat“ – das sogenannte Sozialstaatsprinzip. Dieses verpflichtet den Staat, für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit zu sorgen, Lebensrisiken abzufedern, Benachteiligungen auszugleichen und allen Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten. Daraus ergibt sich: Daseinsvorsorge ist der praktische und organisatorische Rahmen, durch den der Staat seine verfassungsmäßige Pflicht erfüllt, Teilhabe und Sicherheit für alle zu ermöglichen. Konkrete Handlungspflichten entstehen dann, wenn Mindeststandards nicht mehr gewährleistet sind – wie etwa beim Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das Wasserhaushaltsgesetz benennt die öffentliche Wasserversorgung explizit als Bestandteil der Daseinsvorsorge und konkretisiert die staatlichen Pflichten in diesem Bereich. Die Verkehrsinfrastruktur ist zum Beispiel eine der tragenden Säulen der Daseinsvorsorge. Sie schafft die Grundlagen für gesellschaftliche Teilhabe, wirtschaftliche Entwicklung und gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Eine funktionierende Infrastruktur verbindet Regionen, ermöglicht Mobilität, sichert den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeit und fördert die soziale Gerechtigkeit, indem sie unabhängig vom Wohnort allen Bürgerinnen und Bürgern gleiche Chancen eröffnet. Diese Leistungen der Daseinsvorsorge wurden historisch ausschließlich vom Staat erbracht. Kommunen, Länder und der Bund übernahmen direkt – durch Behörden oder kommunale Unternehmen – die Bereitstellung zentraler Dienstleistungen wie Wasser-, Energie- und Abfallversorgung, öffentlichen Nahverkehr, Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen. Daseinsvorsorge und Privatisierung gehen schlecht zusammen Seit den 1980er- und besonders den 1990er-Jahren kam es zu umfassenden Privatisierungen, die zur Haushaltsentlastung beitragen, die Effizienz steigern und den Wettbewerb fördern sollten. So wurden etwa die Deutsche Post und Deutsche Telekom privatisiert, 20 FOKUS dbb magazin | Juni 2025

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