dbb magazin Schule und Bildung | Zeit für den großen Wurf Interview | Dorothee Feller, Ministerin für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen Koalitionsvertrag | Zwischen Reformwillen und Handlungsdruck 5 | 2025 Zeitschrift für den öffentlichen Dienst
STARTER Baustelle Bildung Bröckelnde Gebäude, Lehrermangel, lahmende Digitalisierung: Deutschlands Schulen sind mehr als renovierungsbedürftig, der Sanierungsstau ist längst zur Bildungsbremse geworden. Laut Kommunalpanel 2024 der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beläuft sich der Investitionsrückstand allein bei den Schulgebäuden in Deutschland auf etwa 54,8 Milliarden Euro. Statt Orte des Lernens und der Zukunft zu sein, wirken viele Schulen wie Relikte vergangener Jahrzehnte. Dabei entscheidet sich genau hier, wie gut unser Land für die Herausforderungen von morgen gewappnet ist. Die geplanten Sondervermögen und der Digitalpakt 2.0 bieten eine historische Chance, die deutsche Schullandschaft grundlegend zu modernisieren. Besonders die digitale Infrastruktur muss endlich verlässlich und flächendeckend ausgebaut werden, vom schnellen Internet über funktionierende Technik bis zu qualifiziertem IT-Support und gut für die digitale Zukunft ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Doch Geld allein löst das Problem nicht. Neben der Finanzierung sind klare Konzepte notwendig, um Schulen baulich, personell und digital zu stärken. Dabei gilt es, die Lehrkräfte nicht zu vergessen. Sie dürfen nicht länger an den Rand der Belastung getrieben werden, sondern müssen Unterstützung und Wertschätzung erfahren. Investitionen in Bildung sind Investitionen in die Zukunft. Damit aus Sanierungsfällen wieder Zukunftsschmieden werden, braucht es entschlossenes Handeln ohne Ausreden, dafür mit nachhaltiger Wirkung. br 12 6 14 TOPTHEMA Schule und Bildung 24 AKTUELL EINKOMMENSPOLITIK Tarifabschluss öffentlicher Dienst Bund und Kommunen: Wichtige Fortschritte stecken im Detail 4 Sicherheitskräfte an Flughäfen: Tarifabschluss sorgt für Verbesserungen 5 BRENNPUNKT Koalitionsvertrag: Zwischen Reformwillen und Handlungsdruck 6 Konzept für Staatsreform: Mehr Vertrauen und Innovation wagen 9 FOKUS INTERVIEW Dorothee Feller, Ministerin für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen: Ein Digitalpakt 2.0 muss bürokratiearm sein 12 DOSSIER SCHULE UND BILDUNG Bildungsinvestitionen: Zeit für den großen Wurf 14 Lehrkräftebildung: Der Lehrkräftemangel erfordert hohe Standards 16 Wissenschaftsstandort Deutschland: Befristung als Karrierekiller 17 Berufsausbildung: Berufe, die die Stadt dringend braucht 19 Verbeamtete Lehrkräfte im Ausland: Auf dem Dienstweg in die weite Welt 20 REPORTAGE Berufliche Bildung am OSZ II Barnim: „Ich habe keinen im Keller liegen“ 24 INTERN JUGEND Ideencampus 2025: Demokratie neu beleben 29 FRAUEN Extremismus an Schulen: Lehrkräfte sind keine Feuerlöscher 31 SENIOREN 14. Deutscher Seniorentag: Ältere stärken die Gesellschaft 32 EUROPA Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments: Ohne Europa geht nichts mehr 33 SERVICE Impressum 41 KOMPAKT GEWERKSCHAFTEN 42 © Unsplash.com/Tahir Osman AKTUELL 3 dbb magazin | Mai 2025
EINKOMMENSPOLITIK Tarifabschluss öffentlicher Dienst Bund und Kommunen Wichtige Fortschritte stecken im Detail Pressekonferenz zum Tarifabschluss: dbb Verhandlungsführer Volker Geyer, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, ver.di-Verhandlungsführer Frank Werneke und VKA-Präsidentin Karin Welge (von links). Nach langen Verhandlungen und einem Schlichtungsverfahren haben Gewerkschaften und Arbeitgeber in der vierten Verhandlungsrunde am 6. April 2025 in Potsdam eine Einigung in der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen erzielt. © Friedhelm Windmüller Die Einigung umfasst unter anderem eine lineare Entgelterhöhung von insgesamt 5,8 Prozent in zwei Schritten sowie weitere Verbesserungen in den Bereichen Arbeitszeit und Sonderzahlungen. Die Laufzeit des Tarifabschlusses beträgt 27 Monate ab dem 1. Januar 2025 bis mindestens zum 31. März 2027. „Meist fangen die Probleme bei den Detailregelungen an. Beim aktuellen Tarifergebnis ist es jedoch umgekehrt, denn sehr wichtige Fortschritte stecken in Details“, kommentierte dbb Verhandlungsführer Volker Geyer die Einigung mit Bund und Kommunen. Es sei zentral, dass die geforderten Komponenten lineare Erhöhung, soziale Komponente, Arbeitszeitsouveränität und Entlastung alle Teil des Abschlusses sind, so Geyer weiter: „In dieser Einigung kann sich jede und jeder wiederfinden.“ Gleichzeitig gelte aber auch, dass ein zukunftsweisenderes Ergebnis sinnvoll gewesen wäre, so der dbb Vize. „Aber leider mussten wir Bund und Kommunen jeden Cent, jede Minute und jeden noch so kleinen Fortschritt unendlich mühsam abringen. Zu keinem Zeitpunkt war bei den Arbeitgebenden erkennbar, dass sie Zukunft gestalten wollen.“ Mit Blick auf die nächsten Jahre prognostizierte Geyer, dass die Tarifauseinandersetzungen langwieriger und härter werden könnten: „Der öffentliche Dienst muss generell attraktiver werden. Aktuell fehlen 570 000 Beschäftigte. In den kommenden zehn Jahren geht ein weiteres Drittel der Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand. Um diesen extremen Aderlass zu kompensieren, müssen sich die Bezahl- und Arbeitsbedingungen weiter deutlich verbessern, sonst sehen wir auf dem Arbeitsmarkt bald endgültig alt aus.“ Abschließend forderte Geyer die zeit- und inhaltsgleiche sowie systemgerechte Übernahme des Tarifergebnisses für den Beamtenbereich: „Wir werden dazu unverzüglich das Gespräch mit dem Bundestag und der neuen Bundesregierung aufnehmen.“ Die Eckpunkte der Einigung Lineare Entgelterhöhungen > ab dem 1. April 2025 um 3 Prozent > ab dem 1. Mai 2026 um weitere 2,8 Prozent (Laufzeit 27 Monate, bis 31. März 2027) Soziale Komponente/Mindestbetrag 110 Euro Mindestbetrag im ersten Erhöhungsschritt. Das führt zu einer überproportionalen Erhöhung des Tabellenentgelts in Entgeltgruppen (EG) 1 bis 5 sowie in EG 6 bis zur Stufe 5, in EG 7 bis zur Stufe 4, in EG 8 bis zur Stufe 3, in EG 9a bis zur Stufe 2 und in EG 9b Stufe 1. So kommen im ersten Schritt Erhöhungen von bis zu 4,67 Prozent zustande. Entgelt und Übernahme bei Auszubildenden Die Vergütung der Auszubildenden, dual Studierenden, Praktikantinnen und Praktikanten soll ebenfalls in zwei Schritten ansteigen: ab dem 1. April 2025 um 75 Euro und ab dem 1. Mai 2026 um weitere 75 Euro. 4 AKTUELL dbb magazin | Mai 2025
Die Auszubildenden und dual Studierenden sollen bei betrieblichem Bedarf unbefristet übernommen werden, wenn sie mindestens mit der Note „Befriedigend“ abgeschlossen haben. Instrumente zur Entlastung der Beschäftigten Ab dem Jahr 2027 soll es einen zusätzlichen Urlaubstag für alle Beschäftigten und Auszubildenden geben. Die Jahressonderzahlung soll ab 2026 erhöht werden: > Bund: EG 1 bis 8: von 90 auf 95 Prozent, EG 9a bis 12: von 80 auf 90 Prozent, EG 13 bis 15: von 60 auf 75 Prozent > VKA: 85 Prozent in allen EG, 90 Prozent in den EG 1 bis 8 in den Bereichen BT-K und BT-B Es soll die Möglichkeit geben, diese Jahressonderzahlung außer in Krankenhäusern, Pflege- und Betreuungseinrichtungen in bis zu drei zusätzliche freie Tage umzuwandeln. Für den Bereich der Krankenhäuser und Pflege- und Betreuungseinrichtungen soll als Ausgleich für die fehlende Umwandlungsmöglichkeit die Jahressonderzahlung in den EG 1 bis 8 auf 90 Prozent erhöht werden. Zulagen Die Zulage für ständige Schichtarbeit soll ab dem 1. Juli 2025 von 40 Euro auf 100 Euro monatlich erhöht werden. Die Zulage für ständige Wechselschichtarbeit soll von 105 Euro auf 200 Euro steigen, im Bereich der Krankenhäuser, Pflege- und Betreuungseinrichtungen von 155 Euro auf 250 Euro. Die Stundensätze für nicht ständige Schicht- und Wechselschichtarbeit sollen entsprechend erhöht werden. Ab dem Jahr 2027 sollen diese Zulagen dynamisiert werden. Arbeitszeitsouveränität Auf betrieblicher Ebene soll durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung ein Langzeitkonto vereinbart werden können. Das eingebrachte Wertguthaben soll zum Beispiel für Sabbaticals, eine Verringerung der Arbeitszeit, Freistellungen für Kinderbetreuungen und Pflege verwendet werden können. Die Regelungen zur Gleitzeit sollen zukünftig genauer gefasst und eine Kappung von Stunden vermieden werden. Wenn ein Langzeitkonto eingerichtet ist, soll auch eine Übertragung von Plusstunden auf dieses Konto erfolgen können. Künftig sollen auch Überstunden angeordnet werden, um die Kappung zu vermeiden. Beschäftigte und Arbeitgeber können – für beide Seiten freiwillig – vereinbaren, dass ab dem Jahr 2026 die wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 42 Stunden erhöht wird. Das kann für einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten vereinbart werden. Die Beschäftigten erhalten dann das entsprechend erhöhte Entgelt, entsprechend erhöhte sonstige Entgeltbestandteile und einen Zuschlag für jede Erhöhungsstunde. Der Zuschlag beträgt in den EG 1 bis 9b 25 Prozent, in den EG 9c bis 15 10 Prozent des Tabellenentgelts der Stufe 3 der jeweiligen EG. _ Sicherheitskräfte an Flughäfen Tarifabschluss sorgt für Verbesserungen Der dbb und der Arbeitgebendenverband BDLS haben sich nach monatelangen Verhandlungen auf höhere Stundenlöhne und bessere Arbeitsbedingungen für Sicherheitskräfte an Flughäfen verständigt. Bereits am 7. April 2025 hat der dbb einen Abschluss beim Manteltarifvertrag erzielt, der die Arbeitsbedingungen regelt. Am 8. April ist es gelungen, eine deutliche Erhöhung der Entgelte um 1,70 Euro pro Stunde zu erreichen. Ab dem 1. Mai 2025 steigen die Entgelte für alle um 70 Cent. Zum 1. April 2026 folgt eine weitere Erhöhung um 1 Euro. Die Laufzeit endet am 31. Dezember 2026. Ebenso wird die sogenannte PRM-Zulage für den Rollstuhlservice an Flughäfen jeweils zu den gleichen Zeitpunkten um 35 Cent erhöht. Außerdem werden die Entgelte der operativ tätigen betrieblichen Angestellten prozentual erhöht wie die der Entgeltgruppe I. Weiter sieht der Abschluss vor, die Rechtsprechung zur Mehrarbeit umzusetzen: Die Schwelle für den Mehrarbeitszuschlag wurde für alle Beschäftigten abgesenkt (für § 5er von 180 auf 175; für den Rest von 208 auf 190). Teilzeitkräfte genießen damit eine niedrigere Schwelle und werden nicht mehr benachteiligt. Jede Stunde im Monat über der Schwelle bringt den monatlichen Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent. Alle Stunden, die damit nicht abgegolten sind, aber über der Regelarbeitszeit liegen, werden einmal jährlich bezuschlagt. Alle Details zur Einigung: t1p.de/Flughaefen _ Foto: Colourbox.de AKTUELL 5 dbb magazin | Mai 2025
BRENNPUNKT Koalitionsvertrag Zwischen Reformwillen und Handlungsdruck Die Verhandlungspartnerinnen und -partner der voraussichtlichen Regierungsparteien CDU/CSU und SPD haben sich am 9. April 2025 auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Vorbehaltlich der Zustimmung der Parteien enthält das Vertragswerk zahlreiche Punkte, die den öffentlichen Dienst betreffen. Eine erste Bestandsaufnahme. Der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD enthält einige wirklich interessante Ideen, bei der Umsetzung und vor allem der Finanzierung ist aber noch vieles ungeklärt“, sagte dbb Chef Ulrich Silberbach in einer ersten Stellungnahme. „Wir sind zum Beispiel sehr gespannt auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung“, erklärte Silberbach. „Bei beiden Themen gibt es viel zu tun, aber über welche Kompetenzen und welches Budget wird so ein Ressort verfügen?“ Ähnlich spannend sind die Vorschläge, Bürokratie abzubauen, Bundesbehörden neu zu strukturieren und dabei auch die Zahl der Bundesbeauftragten drastisch zu reduzieren. „Da kann einiges weg. Zuallererst einmal der Bundespolizeibeauftragte. Eine Fehlkonstruktion von Anfang an, die vor allem Misstrauen gegenüber den eigenen Beschäftigten ausdrückt“, so der dbb Chef am 9. April 2025 in Berlin. Die Koalitionäre haben sich viel vorgenommen und enorme Finanzmittel vorgesehen, besonders für den Infrastrukturausbau. Silberbach: „Das begrüßen wir ausdrücklich. Der Nachholbedarf bei der Instandsetzung und Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur ist enorm, und die Zeit läuft uns davon. Jetzt kommt es aber auf die Sicherung dieser Finanzen und die Umsetzung an, auf klare Prioritätensetzung zugunsten von Bildung, Verkehr und Sicherheit, auf konkrete Verfahrensbeschleunigung und auf eine wirklich ergebnisorientierte Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von der neuen Bundesregierung und das erwarten auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.“ Staatsmodernisierung im Fokus Im Grundsatz bekennen sich die Koalitionäre zu umfänglichen Modernisierungsmaßnahmen und legen entsprechende Vorhaben zur Staatsmodernisierung vor. Die konkreten Aussagen zur Staatsreform bleiben allerdings sehr unbestimmt. Der dbb hatte sich im Vorfeld der Bundestagswahl für eine verlässliche und moderne öffentliche Verwaltung und für einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst ausgesprochen, der attraktive Beschäftigungsbedingungen bietet. In diesem Zusammenhang ist das geplante Errichtungsgesetz zum Sondervermögen, das erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Infrastruktur haben wird, im Sinne des dbb, der dessen Ausgestaltung aufmerksam begleiten wird. Ebenso deckt sich der genannte Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen mit Beschlüssen des dbb, indem er die zentrale Rolle der Kommunen © Unsplash.com/Maheshkumar Painam 6 AKTUELL dbb magazin | Mai 2025
im Rahmen des staatlichen Handelns und die Notwendigkeit der angemessenen Ausstattung kommunaler Aufgaben anerkennt. Da Modernisierung und Konsolidierung wie vom dbb gefordert Aufgabenkritik zur Verwaltungskonsolidierung voraussetzt, muss die personelle Ausstattung getrennt davon betrachtet werden: Der dbb tritt insbesondere angesichts der demografischen Herausforderungen für eine aufgabengerechte Personalausstattung ein, wozu die Aussage des Koalitionsvertrags, den Personalbestand in der Ministerial- und Bundestagsverwaltung sowie in bestimmten nachgeordneten Behörden bis zum Jahr 2029 um acht Prozent zu reduzieren, nicht passt. Zu begrüßen ist dagegen das Vorhaben, den Einsatz externer Berater zu reduzieren. Für den dbb ist eine qualitativ hochwertige öffentliche Verwaltung zentrale Voraussetzung für Stabilität in Deutschland. Deswegen begrüßt der dbb, dass der Vertragstext die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes als „Stabilitätsanker“ des deutschen Staates bezeichnet und deren Arbeit und Einsatz damit würdigt. Klar ist aber auch: Deutschland braucht mehr solcher Stabilitätsanker, weshalb die avisierte Fachkräfteoffensive und die Modernisierung des öffentlichen Dienstrechts zu begrüßen sind. Mehr Frauen in Führungspositionen, flexiblere Arbeitszeitmodelle sowie eine bessere Abbildung der Vielfalt unserer Gesellschaft in der öffentlichen Verwaltung entsprechen dbb Positionen. Auch die enthaltenen Aussagen zu Ausgestaltung und Modernisierung decken sich in weiten Teilen mit dbb Positionen, zum Beispiel bei der Öffnung von Laufbahnen, vereinfachten Laufbahnwechseln, leistungsorientierten Komponenten, beim Schutz von Rettungs- und Einsatzkräften und beschleunigten Disziplinarverfahren. Widersprüchlich bleibt hingegen die Aussage, verwaltungsexterne Erfahrung stärker gewichten zu wollen. Vorfahrt für Digitalisierung Die Koalitionäre wollen die Digitalisierung der Verwaltung umfassend anpacken. Der geplanten Gründung eines Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung stimmt der dbb zu, hat er sich doch stets für die Bündelung von Zuständigkeiten und Budgetverantwortung bei der Digitalisierung der Verwaltung auf Bundesebene ausgesprochen. Abzuwarten bleibt, welche Kompetenzen und Zuständigkeiten dieses Ministerium genau erhalten soll. Weiter entspricht die Absicht der neuen Bundesregierung, zahlreiche Maßnahmen zur digitalen Souveränität zu ergreifen, um unabhängiger von außereuropäischen Anbietern zu werden, den Bemühungen des dbb. Positiv zu bewerten ist überdies, dem Bund mit einer Grundgesetzänderung mehr Vollzugsverantwortung im Bereich Digitalisierung zuzugestehen. Ob dieser zentrale Ansatz auf Zustimmung bei den Ländern trifft, bleibt abzuwarten. Der dbb hat wiederholt strukturelle Veränderungen in der föderalen Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen bei der Digitalisierung gefordert. Positiv ist auch das Vorhaben der Registermodernisierung, auf deren Notwendigkeit der dbb wiederholt hingewiesen hat. Rente stabilisieren Das Rentenniveau soll laut Vertragstext bis 2031 bei 48 Prozent abgesichert und resultierende Mehrausgaben aus Steuermitteln ausgeglichen werden, um die Beitragsentwicklung zu entlasten. Auch der dbb fordert eine dauerhafte Stabilisierung des Rentenniveaus. Da aber am Nachhaltigkeitsfaktor festgehalten werden soll, führt das langfristig zu einem Absinken des Rentenniveaus. Der dbb begrüßt widerum den Fortbestand des abschlagsfreien Rentenzugangs nach 45 Beitragsjahren und die dritte Stufe der Mütterrente und deren Finanzierung aus Steuermitteln. Der dbb begrüßt die geplante, gründerfreundliche Einbeziehung aller neuen Selbstständigen, die bislang keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind. Auch das Modell der Frühstartrente, bei dem für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr monatlich zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgekonto eingezahlt werden sollen, könnte ein interessanter Ansatz sein, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge weiterzuverbreiten. Die Parteien beabsichtigen zudem, die betriebliche Altersvorsorge (bAV) zu stärken, insbesondere durch eine stärkere Verbreitung bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie bei Geringverdienenden, die bislang unterdurchschnittlich beteiligt sind. Die bAV soll digitalisiert, vereinfacht, transparenter und weniger bürokratisch gestaltet werden. Auch die Portabilität soll verbessert werden. Das ist grundsätzlich zu begrüßen – entscheidend wird jedoch die konkrete Ausgestaltung sein. Das gesetzliche Renteneintrittsalter soll nicht weiter steigen – ein Schritt, der grundsätzlich zu begrüßen ist. Stattdessen plant die Bundesregierung mehr Flexibilität beim Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand. Vorgesehen ist eine freiwillige Aktivrente, die gezielt Anreize schaffen soll: Wer das reguläre Rentenalter erreicht hat und sich entscheidet weiterzuarbeiten, soll künftig bis zu 2 000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen können. Auch die geplante Ausweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente könnte Frauen eine spürbare Verbesserung ihrer Alterssicherung bringen. Offen bleibt jedoch die Frage der Finanzierung. Diese wird im Wesentlichen lediglich durch die Hoffnung auf eine positive Wirtschafts- und Beitragsentwicklung adressiert. Gesundheit und Pflege modernisieren Für den Gesundheitsbereich planen die Parteien die Stärkung der Prävention und die Neugestaltung des Zugangs zu Fachärzten durch ein verbindliches Primärarztsystem mit freier Arztwahl sowie die Kompensation fachärztlicher Kapazitäten durch Krankenhäuser. Hier sind nach Auffassung des dbb Konflikte zwischen ambulant-ärztlicher und vollstationärer Versorgung vorprogrammiert. Außerdem bleiben die Pläne zur grundsätzlich sinnvollen Verbesserung der sektorübergreifenden Versorgung vage. Die Entwicklung einer qualitativ hochwertigen, bedarfsgerechten und praxistauglichen Krankenhauslandschaft soll auf Grundlage der jüngsten Krankenhausreform bis zum Sommer 2025 gesetzlich geregelt werden. Das Vorhaben gilt als ambitioniert, da die Reform erst schrittweise in Kraft tritt und viele Details noch offen sind oder von den Ländern festgelegt werden. Der bislang für die gesetzliche Krankenversicherung vorgesehene Anteil am Transformationsfonds für Krankenhäuser wird aus dem Sondervermögen Infrastruktur finanziert. Die in den Arbeitsgruppen ursprünglich vereinbarte Refinanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfänger findet sich zum Bedauern des dbb nicht mehr im AKTUELL 7 dbb magazin | Mai 2025
Koalitionsvertrag, stattdessen wird nur noch von notwendigen strukturellen Anpassungen gesprochen. Gleiches gilt für die ursprünglich geplante Dynamisierung des Bundeszuschusses. Pflegekrise verhindern Noch im Jahr 2025 soll eine neue Bund-Länder-Kommission gemäß Koalitionsvertrag Vorschläge für eine umfassende Reform der Pflege vorlegen. Ziel ist es, pflegende Angehörige zu stärken und bestehende Leistungen besser zu bündeln. Dabei könnte auch das geplante Familienbudget eine Rolle spielen. Die bislang nicht abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren zum Pflegekompetenzgesetz, zur Pflegeassistenz sowie zum Gesetz für sogenannte Advanced Practice Nurses sollen zeitnah in die parlamentarische Beratung eingebracht werden. Der dbb hatte die Vorhaben grundsätzlich begrüßt, allerdings kritisch angemerkt, dass der Wegfall des Hauptschulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für den Pflegeassistenzberuf dem Berufsbild schaden könnte. Dringend notwendig ist zudem eine weitere Vereinfachung der Anerkennung von Berufs- und Bildungsabschlüssen aus dem Ausland. Diese Maßnahme soll Teil des Reformpakets sein. Arbeitszeit flexibilisieren Der Vertrag sieht vor, das Arbeitszeitgesetz so zu ändern, dass künftig eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit gilt. Dazu ist ein Dialog mit den Sozialpartnern geplant. Der dbb lehnt eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ab und verweist auf gesundheitliche Risiken für Beschäftigte, wenn die tägliche Arbeitszeit acht Stunden überschreitet. Die Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung soll unbürokratisch ausgestaltet werden. Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung soll weiterhin im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich bleiben. Wie die gesetzlichen Regelungen im Einzelnen aussehen werden, bleibt abzuwarten. Wirtschaft und Soziales auf dem Prüfstand Das bisherige Bürgergeldsystem soll in eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende überführt werden. Dabei sollen Rechte und Pflichten klar und verbindlich für beide Seiten geregelt werden. Hintergrund ist der starke Anstieg der Ausgaben für das Bürgergeld, der eine grundlegende Neuordnung erforderlich macht. Dem bekannten Prinzip „Fördern und Fordern“ soll wieder mehr Gewicht verliehen werden. Die Jobcenter sollen ausreichend finanzielle Mittel erhalten, um arbeitssuchende Menschen wirksam in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der dbb begrüßt dieses Ziel grundsätzlich, kritisiert jedoch die teils unkonkreten Formulierungen, etwa beim Verweis auf „ausreichende Mittel“. Im Bereich der Unternehmensteuern ist ein Investitionsanreiz in Form einer degressiven Abschreibung auf Ausrüstungsinvestitionen geplant: Für die Jahre 2025 bis 2027 soll eine Abschreibung von 30 Prozent möglich sein. Der Körperschaftsteuersatz soll ab dem 1. Januar 2028 in fünf jährlichen Schritten um jeweils einen Prozentpunkt gesenkt werden. Der dbb bewertet diese Maßnahmen als sinnvoll, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich zu stärken. Kritik äußert er jedoch an der fehlenden Aussage zur Gegenfinanzierung dieser steuerpolitischen Vorhaben. Auch bei der Einkommensteuer sind Entlastungen vorgesehen: Für kleine und mittlere Einkommen ist zur Mitte der Legislaturperiode eine Senkung geplant. Die Ungleichbehandlung zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld soll schrittweise abgebaut werden. Künftig soll gesetzlich verankert werden, dass eine Anhebung des Kinderfreibetrags stets mit einer entsprechenden Erhöhung des Kindergelds einhergeht. Der dbb begrüßt dieses Vorhaben grundsätzlich, kritisiert jedoch die mangelnde Konkretisierung sowie die bislang völlig offene Finanzierung. Ferner fordert der Verband eine Weiterentwicklung des Ehegattensplittings um eine Familienkomponente. Die Steuerbürokratie soll durch Typisierungen, Vereinfachungen und Pauschalierungen abgebaut werden. Auch die Besteuerung von Rentnerinnen und Rentnern will man einfacher gestalten. Zudem soll die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden. Diese Maßnahmen sind dringend erforderlich, um sowohl die Finanzbehörden als auch die Steuerpflichtigen zu entlasten – eine klassische Win-win-Situation. Es handelt sich um Forderungen, die dbb und DSTG bereits seit Jahren erheben. Überstundenzuschläge sollen künftig steuerfrei sein – allerdings nur für jene Stunden, die über die tariflich vereinbarte oder an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen. Für Beschäftigte, die regelmäßig Überstunden leisten müssen, ist das zunächst eine gute Nachricht. Gleichzeitig schafft die Maßnahme jedoch einen neuen Ausnahmetatbestand im Steuerrecht, der dem Ziel einer schlankeren Steuerbürokratie zuwiderläuft. Kritisch ist auch, dass die Entlohnung von Mehrarbeit eigentlich © Unsplash.com/Francesco Luca Labianca 8 AKTUELL dbb magazin | Mai 2025
nicht Aufgabe der Steuerzahlenden ist. Vielmehr sollten die Arbeitgebenden in der Verantwortung stehen, die von den Überstunden am meisten profitieren. Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist das Vorhaben umstritten: Neueinstellungen werden dadurch nicht gefördert. Zudem werfen die Pläne Fragen im Hinblick auf Arbeitsschutz und Gleichstellung auf. Die Pendlerpauschale soll zum 1. Januar 2026 dauerhaft auf 38 Cent pro Kilometer ab dem ersten Kilometer angehoben werden. Nach Einschätzung des dbb handelt es sich dabei um eine nachvollziehbare Erhöhung um acht Cent, um gestiegene Kosten auszugleichen. Allerdings ist auch in diesem Fall die Finanzierung bislang völlig ungeklärt. Die Maßnahme begünstigt nicht einseitig Autofahrende, da die Entfernungspauschale unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel gewährt wird. Haushalt und Schuldenbremse Geplant ist laut Koalitionsvertrag die Einsetzung einer Expertenkommission, die bis Ende 2025 Vorschläge zur Modernisierung der Schuldenbremse erarbeiten soll. Diese Maßnahme wurde bereits von der Bundesbank, dem Sachverständigenrat und dem dbb gefordert. Eine Reform der Schuldenbremse bleibt trotz der erweiterten Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme durch die Schaffung sogenannter „Sondervermögen“ weiterhin notwendig. Es ist vorgesehen, die sächlichen Verwaltungsausgaben aller Einzelpläne mit Ausnahme der Sicherheitsbehörden bis 2029 um zehn Prozent zu reduzieren. Zudem ist ein Stellenabbau in der Bundesverwaltung um insgesamt acht Prozent geplant, was einer Reduktion von zwei Prozent pro Jahr entspricht. Auch hier sind die Sicherheitsbehörden nicht betroffen. Der Versuch der Haushaltskonsolidierung ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Eine Aufgabenreduktion, wo sie möglich ist, erscheint sinnvoll. Der vorgesehene Personalabbau könnte jedoch zu Qualitätseinbußen führen, zumal in vielen Bereichen des öffentlichen Dienstes bereits ein Personalmangel herrscht. Der demografische Wandel nimmt weiter an Fahrt auf, und in den kommenden Jahren wird sich die Situation weiter verschärfen. Insofern hält der dbb einen Personalabbau in vielen Bereichen für kontraproduktiv. Zudem kritisiert der dbb, dass „alle Maßnahmen des Koalitionsvertrags unter Finanzierungsvorbehalt“ stehen. Er sieht in dieser „Generalklausel“ eine Möglichkeit für die neue Bundesregierung, alle versprochenen, kostenintensiven Vorhaben als nicht finanzierbar einzustufen. _ Konzept für Staatsreform Mehr Vertrauen und Innovation wagen Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat hat mit ihrem Zwischenbericht am 12. März 2025 in Berlin ein Konzept für eine Staatsreform vorgelegt. Der Bericht gibt 30 Handlungsempfehlungen, wie staatliches Handeln in vielen Bereichen besser gelingen kann. In seiner Grundannahme geht der Bericht davon aus, dass ein gut funktionierender Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern mit mehr Vertrauen begegnet und die Dinge in der Verwaltung einfacher regelt: Er priorisiert die Digitalisierung, bricht die Silos im Staat selbst auf, aber auch die zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Und er passt die Sicherheitsarchitektur der aktuellen Gefahrenlage an. So der Kern des Reformkonzepts, das die Medienmanagerin und Aufsichtsrätin Julia Jäkel, die ehemaligen Bundesminister Thomas de Maizière und Peer Steinbrück sowie der Staatsrechtler und langjährige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorgelegt haben. Die Initiatoren, die unabhängig von Parteien und anderen Interessenvertretern agieren, wollen mit ihrer Arbeit „dazu beitragen, Blockaden und Selbstblockaden staatlichen Handelns aufzulösen“. Finanziert und organisatorisch unterstützt wird die Initiative von vier renommierten Stiftungen: der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Fritz Thyssen Stiftung, der Stiftung Mercator und der Zeit-Stiftung Bucerius. Model-Foto: Peopleimages.com/Colourbox.de AKTUELL 9 dbb magazin | Mai 2025
„Die Welt hat sich verändert, wir können nicht mehr mit den Instrumenten der Vergangenheit steuern“, sagen die Initiatoren und schlagen deshalb einige sehr grundlegende „Umbauten im Maschinenraum des Staates“ vor. Füge man die 30 Empfehlungen „zu einem großen Ganzen zusammen, ergeben sie ein Konzept, das große Kraft entfalten kann“. Für eine solche Reform brauche es allerdings „eine parteiübergreifende Kraftanstrengung“. Generell geht es den Autoren des Berichts darum, den Staat als Ganzes zu erneuern. Bürokratieabbau etwa könne nur gelingen, wenn bessere Gesetzgebungsprozesse, Vorschriften mit mehr Ausnahmen, mehr Vertrauen in Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen sowie ein digitaler Staat ineinandergreifen. Wer eine große Reform des Staates anpackt, müsse die konkreten Folgen von Reformen transparent benennen. Wolle man etwa mehr Pauschalierungen, um Abläufe zu beschleunigen und zu vereinfachen, sei dafür der Preis zu zahlen, dass nicht auf jeden Einzelfall im selben Maße wie heute eingegangen werden könne. Außerdem sei dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch eine schärfere Bekämpfung von Steuerbetrug, Geldwäsche und Sozialbetrug. Die vier Autoren machen auch Vorschläge zur Umsetzung eines solchen großen parteiübergreifenden Kraftaktes und betonen, dass sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit und alleinige Urheberschaft für die Empfehlungen erheben. Zur Erarbeitung ihrer Vorschläge haben sie mit 54 Expertinnen und Experten in sieben Arbeitsgruppen debattiert. Die Teilnehmenden kamen aus unterschiedlichen Lebensfeldern und allen Teilen Deutschlands – Bürgermeister und Schulleiterin, Unternehmerinnen und Verwaltungsprofis, Wissenschaftler und IT-Expertinnen. Für den Abschlussbericht, der im Juli vorgelegt werden soll, wollen die Initiatoren einige Empfehlungen ergänzen und weitere Anregungen aufgreifen. Die wichtigsten Vorschläge: Verwaltung Die Autoren plädieren für einen neuen Ansatz in der Verwaltung, der auf mehr Vertrauen zwischen Staat und Bürgern sowie Unternehmen setzt. Sie empfehlen spürbare Erleichterungen bei Berichts- und Dokumentationspflichten. Gleichzeitig sollen Kontrollen und Sanktionen für Fehlverhalten verstärkt werden. Ziel ist es, eine effizientere Verwaltung zu schaffen, die nicht jeden Einzelfall exakt gleichbehandeln muss. Stattdessen sollen Pauschalierungen, Experimente und Abweichungsmöglichkeiten für Kommunen eingeführt werden. Der Aufruf richtet sich an eine Kultur der Verwaltung, die mehr Freiräume lässt. Digitaler Staat Der deutsche Staat muss sich dringend digitalisieren, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Ein zentraler Vorschlag ist die Gründung eines neuen Ministeriums für Digitales und Verwaltung, das umfassende Kompetenzen erhält, um die Digitalisierung voranzutreiben, einschließlich der Standardisierung von Systemen und des Ausbaus der digitalen Infrastruktur. Zudem soll eine neue „Personalkultur“ gefördert und die Behördenstruktur reformiert werden, um Innovationen zu ermöglichen. Die derzeit zersplitterte IT-Landschaft soll durch eine bessere Bund-LänderZusammenarbeit vereinfacht werden, mit dem Ziel, zentrale digitale Lösungen für standardisierte Aufgaben wie Kfz-Zulassung oder Meldewesen zu schaffen. Eine zentrale digitale Plattform soll zudem den Zugang zu Sozialleistungen vereinfachen. Ferner wird ein umfassender Datenaustausch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften empfohlen, um Terroranschläge und Wirtschaftskriminalität besser zu bekämpfen. Trotz des hohen Schutzes persönlicher Daten soll der Datenschutz an einigen Stellen gelockert werden, insbesondere durch flexiblere Widerspruchslösungen und die Verlagerung der Aufsicht über Unternehmen auf die Bundesbeauftragte. Sicherheit Deutschland benötigt ein neues Konzept der Gesamtverteidigung, das sowohl militärische als auch zivile Aspekte umfasst. Dazu schlagen die Initiatoren eine Anpassung der Wehrverfassung an die aktuelle Sicherheitslage vor, die Übertragung von Zuständigkeiten für den Katastrophenschutz und die Cybersicherheit an den Bund sowie die Möglichkeit, im Katastrophenfall die Bundeswehr unter strengen Auflagen im Inland einzusetzen. Ferner sollen ein Nationaler Sicherheitsrat und ein Nationales Lagezentrum gegründet werden, um strategische Kompetenz zu bündeln und die Lagebeurteilung zu verbessern. Ein ständiger Krisenstab soll zudem die Entscheidungsfindung vorbereiten. Föderalismus Der Bericht setzt sich für eine klare Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ein, wobei die Finanzierung dieser Aufgaben entsprechend den Zuständigkeiten geregelt werden soll. Eine neue Bund-Länder-Initiative soll Lösungen entwickeln, um die staatlichen Ebenen effizienter zu ordnen, insbesondere im Bildungsbereich. Ziel ist es, die Selbstbestimmung der Schulen vor Ort zu stärken. Zudem sollen die Länder die Möglichkeit erhalten, gemeinsam rechtsverbindliche Beschlüsse zu fassen, was bisher nur über Staatsverträge möglich war. Hierfür wird ein neues Bundesratsverfahren vorgeschlagen. Gesetzgebung Das Gesetzgebungsverfahren soll gründlicher, transparenter und praxisorientierter gestaltet werden. Dafür ist nach Auffassung der Autoren eine striktere Einhaltung von Fristen und eine frühzeitige Einbindung von Praktikern nötig. Neue Gesetze sollen zudem einem Sozial-, Klima- und Energiecheck unterzogen werden. Ein sorgfältiges Verfahren soll zu schnellerem und reibungsloseModel-Foto: Colourbox.de (2) 10 AKTUELL dbb magazin | Mai 2025
rem Verwaltungshandeln führen. Gesetze sollten innovationsoffen und ausnahmefreundlich gestaltet werden, um flexibles Handeln zu ermöglichen. Experimentierklauseln könnten als Lernprozesse in der Verwaltung dienen. Wettbewerbsfähigkeit Ein handlungsfähiger Staat fördert Innovationen, indem er Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vernetzt. Die Autoren schlagen vor, die öffentliche Beschaffung zu vereinfachen und zu digitalisieren sowie unnötige rechtliche Anforderungen in Planungsphasen zu vermeiden. Der Staat sollte als strategischer Investor agieren, innovationsorientiert und risikobereit sein. Zudem müsse er die Verwertung wissenschaftlicher Forschung unternehmerisch erleichtern und die Drittmittelförderung zugunsten einer stärkeren Grundförderung reduzieren, um mehr Freiraum für Forschung zu schaffen. Soziales Dem Bericht zufolge müssen die Effektivität und Effizienz des Sozialstaats verbessert werden. Derzeit sind rund 170 soziale Leistungen über fünf Ministerien und 30 Behörden verteilt, was zu Ineffizienzen führt. Die Vorschläge: die Zuständigkeiten in einem oder zwei Ministerien bündeln, die Begriffe für Anspruchsberechtigungen vereinheitlichen und die Anspruchsberechtigten in drei Bedarfsgruppen – Kinder und Jugendliche, Erwachsene sowie Haushalte – zusammenfassen. Lastenverteilung Um Reformen erfolgreich umzusetzen, drängen die Autoren die Politik dazu, deren Auswirkungen transparent darzulegen und eine faire Lastenverteilung sicherzustellen. Dabei sollte auch das „Gerechtigkeitsempfinden“ der Bürger angesprochen werden. Zudem ist es wichtig, dass Reformen das Lohnabstandsgebot einhalten und das Prinzip „Arbeit muss sich lohnen“ berücksichtigen. Zur Stärkung des Vertrauens in die Demokratie unterstützen die Autoren den Vorschlag von Bundespräsident Steinmeier, eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland einzuführen. dbb mit Lob und Kritik Der dbb hat sich wiederholt für einen Modernisierungs- und Digitalisierungsprozess in der öffentlichen Verwaltung ausgesprochen und gefordert, dass eine neue Bundesregierung eine grundlegende Trendwende einleiten muss. Deshalb teilt der dbb die Einschätzung der Initiative, dass die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland unzureichend ist und sofortiger Handlungsbedarf besteht. „Es muss dringend mehr getan werden, um das Leistungsangebot für Bürger zu verbessern, Verfahren zu beschleunigen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu optimieren“, sagt dbb Chef Ulrich Silberbach. Ebenso wie die Autoren des Berichts ist er überzeugt, dass die Aufgabenverteilung für Bund und Länder „derart verworren geregelt ist, dass kaum noch jemand den Überblick hat“, wie es im Bericht heißt. Das gelte jedoch genauso für die 17 Rechtskreise des Beamtenrechts: „Hier wäre mehr Grundeinheitlichkeit sachgerecht.“ Die digitale Infrastruktur in einem Ministerium zu bündeln und mit einem gesonderten Digitalbudget auszustatten sei grundsätzlich der richtige Ansatz, so Silberbach, der sich für den Aufbau einer schlagkräftigen Digitalagentur nach internationalem Vorbild im nachgeordneten Bereich ausspricht. Auch der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD, der eine umfängliche Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung vorsieht, nimmt Bezug auf die Initiative. Der dbb hatte im Kontext der Bundestagswahl und der Koalitionsverhandlungen betont, dass eine verlässliche, kontinuierliche und qualitativ hochwertige öffentliche Verwaltung eine zentrale Voraussetzung für Stabilität, Resilienz und zur Bewältigung von Krisen sei. „Insgesamt bleibt die Initiative mit ihren Vorschlägen in Sachen digitaler Staat und Verwaltung leider recht vage: Es bleibt unklar, was mit einer Verwaltungsreform verbunden wird außer der Schaffung eines neuen Ministeriums für Digitales und Verwaltung“, kritisiert Silberbach. Ebenso bleibe im Dunklen, wie eine grundlegende Reform aussehen soll und was mit umfassender Zuständigkeit für das Personal gemeint ist. Ferner sollte nach Auffassung des dbb berücksichtigt werden, mit neuen Zuständigkeiten keine weitere Bürokratie aufzubauen. Silberbach: „Der Abbau von ‚Silostrukturen‘ oder die Einführung von ‚ressortübergreifender Planung‘ ist sicherlich wünschenswert, aber nicht so einfach umsetzbar. Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, die aktuellen Herausforderungen mit einem Federstrich lösen zu können.“ Bei jeglichen Modernisierungsvorhaben ist es für den dbb deshalb maßgeblich, den erforderlichen Kulturwandel mit einer aufgabengerechten Personalausstattung in Einklang zu bringen – besonders, weil die Initiative die Herausforderungen durch demografischen Wandel und zu erwartende Pensionierungen aufgreift. Die Antwort darauf muss eine Attraktivitätsoffensive für den öffentlichen Dienst sein, um mehr qualifiziertes Personal zu gewinnen. In diesem Zusammenhang unterstützt der dbb grundsätzliche Bestrebungen, das öffentliche Dienstrecht zu modernisieren und es mit Blick auf laufbahnrechtliche Erfordernisse zu flexibilisieren, um eine höhere Durchlässigkeit zu gewährleisten. Silberbach: „Deswegen haben wir uns sowohl vor als auch nach Veröffentlichung des Zwischenberichts mit der Initiative ausgetauscht. Das werden wir zur Veröffentlichung des Schlussberichts im Sommer 2025 konstruktiv fortsetzen.“ _ Der komplette Zwischenbericht und weitere Informationen online: ghst.de/initiativefuer-einen-handlungsfaehigen-staat Webtipp AKTUELL 11 dbb magazin | Mai 2025
INTERVIEW Dorothee Feller, Ministerin für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen Ein Digitalpakt 2.0 muss bürokratiearm sein Frau Feller, mit dem Slogan „Bildungsland NRW“ unterstreicht die Landesregierung ihr Engagement für Bildung und Chancengerechtigkeit. Welche Idee steckt dahinter und wie wird sie umgesetzt? Bildung hat für diese Landesregierung oberste Priorität. Auch in Zeiten knapper Kassen wird bei Kindern und Jugendlichen nicht gespart. Nordrhein-Westfalen investiert so viel wie nie zuvor in die Bildung der jungen Generation, das sind konkret mit dem Schuletat 2025 insgesamt 24,5 Milliarden Euro und damit im Vergleich zum Vorjahr 2,2 Milliarden Euro mehr. Unser Etat ist damit weiterhin der größte Einzelposten im Landeshaushalt. Zudem legen wir den Fokus vor allem auch auf die Bekämpfung des Lehrermangels und die Verbesserung der Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern. Wir haben es mit unserem 34 Maßnahmen umfassenden Handlungskonzept unter anderem geschafft, in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahren 7 400 Menschen mehr an unsere Schulen zu bringen. Mit Angeboten wie der Lesezeit von dreimal 20 Minuten, dem Leseraum Online, der Mathe-Anwendung Divomath und dem Programm „MindOut“ fördern wir gezielt die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie ihre sozialemotionalen Kompetenzen. Und um Schulen in herausfordernden Lagen zu unterstützen, setzen wir das von Bund und Ländern gemeinsam getragene Startchancen-Programm konsequent um. Demokratiebildung, Medienkompetenz und Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund hängen zusammen und genießen hohen bildungspolitischen Stellenwert. Mit welchen Konzepten trägt Schule dem in NRW Rechnung? Vieles davon gehört in der Tat zusammen – und deshalb drehen wir auch an vielen Stellschrauben. So motivieren wir Schulen mit dem Programm YourVision, das wir gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung ins Leben gerufen haben, zur Entwicklung neuer demokratischer Beteiligungsformate in der Schule. Es gibt noch ganz viele weitere Programme, die wir initiiert haben oder an denen wir beteiligt sind. Einen Überblick liefert die Seite www.qua-lis.nrw.de/demokratie-in-schule-nrw. An den Schulen helfen mittlerweile weit mehr als 7 000 zu Medienscouts ausgebildete Schülerinnen und Schüler, andere Schülerinnen und Schüler mit den Risiken sozialer Medien vertraut zu machen. Dieser Peer-to-Peer-Ansatz ist sehr erfolgreich und kommt bei den jüngeren Schülerinnen und Schülern sehr gut an. Zudem haben wir jüngst klare Empfehlungen auch anhand einer exemplarischen Handyordnung veröffentlicht, um Schulen beim Umgang mit Handys und Smartphones, aber auch Smartwatches zu unterstützen. Bis zum Herbst sollen sich unsere Schulen – unter Einbeziehung der gesamten Schulgemeinde, also auch der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern – klare, verbindliche und altersangemessene Regeln für die private Handynutzung geben. Für die Grundschulen empfehlen wir, dass die Handys den gesamten Schultag in der Tasche bleiben sollen. Und wir kümmern uns intensiv darum, die Schulen bei der Integration neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Zum Beispiel mit konkreten Informationen, Webinaren und einem Schulnetzwerk zur Alphabetisierung. Der Digitalpakt 2.0 sieht in seiner aktuellen Form die hälftige Kostenübernahme durch die Länder vor, wobei viele Mittel durch bestehende Maßnahmen gedeckt werden können. Läuft der Digitalpakt Gefahr, hinter den Erwartungen zurückzubleiben und Ungleichheiten weiter zu verschärfen? Der erste DigitalPakt Schule war ein großer Erfolg. Allein in Nordrhein-Westfalen haben EU, Bund, Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren weit über eine Milliarde Euro investiert, um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben. Trotz der politischen Übergangssituation in Berlin ist es Bund und Ländern in Lehrerinnen und Lehrer geben alles für ihren Beruf. Dorothee Feller © Klaus Altevogt 12 FOKUS dbb magazin | Mai 2025
den vergangenen Monaten gelungen, die Weichen für einen Digitalpakt 2.0 zu stellen. Es wird im Wesentlichen darum gehen, die digitale Infrastruktur an Schulen weiter konsequent auf- und auszubauen, Schule und Unterricht vor dem Hintergrund digitaler Organisations- und Gestaltungsmöglichkeiten weiterzuentwickeln, Lehrkräfte entsprechend aus- und fortzubilden sowie den IT-Support zu regeln. Der Digitalpakt 2.0 ist im neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung ausdrücklich genannt worden. Nicht nur deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass eine rechtliche Ausgestaltung gefunden wird, die auch eine Finanzierung beinhaltet, mit der Bund und Länder gleichermaßen gut leben können. Was uns zudem wichtig ist: Ein Digitalpakt 2.0 muss für die Länder, Schulträger und die Schulen so bürokratiearm wie möglich ausgestaltet sein. Der Sechs-Punkte-Plan zur Reform der Lehrkräftebildung in Nordrhein-Westfalen sieht eine Fortbildungspflicht vor. Allerdings sind Lehrkräfte bereits mit vielen Zusatzaufgaben belastet. Wie gewährleisten Sie die Inanspruchnahme eines qualitativ hochwertigen Fort- und Weiterbildungsangebots, ohne weitere Belastungen zu schaffen? Zunächst einmal ist es wichtig, dass wir diese Reform auf den Weg gebracht haben – das Thema war zuvor lange Zeit nicht angepackt worden. Lehrerinnen und Lehrer geben alles für ihren Beruf, sie wollen junge Menschen dabei unterstützen, ihre Potenziale zu entfalten, sich zu Persönlichkeiten zu entwickeln und Schule mitzugestalten. Wir sind dankbar, dass wir so viele tolle Schulen, hoch engagierte Lehrkräfte und andere tolle Professionen an diesen Schulen haben. Umso wichtiger ist es, dass wir sie bei der Terminierung ihrer Fortbildungen und in ihrem Arbeitsalltag bestmöglich unterstützen und vor allem auch ihre seelische Gesundheit und ihr Wohlbefinden stärken. Das machen wir mit einer Vielzahl von Angeboten wie der Sprech:Zeit 24/7 und unserem kostenfreien, rund um die Uhr erreichbaren Beratungstelefon für psychosoziale Themen. Wir bieten Präventionskurse und Coachings an zu Themen wie Entspannung, Resilienz oder Achtsamkeit, die wir in enger Zusammenarbeit mit der BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH umsetzen. Auch Supervision, Coaching und Fallberatung durch die Schulpsychologie tragen zur Entlastung bei. Darüber hinaus unterstützen und entlasten wir Lehrkräfte aber auch ganz konkret in ihrem Alltag, etwa mit über 1 700 Alltagshelferinnen und Alltagshelfern, einer geringeren Zahl von Klassenarbeiten oder der Streichung von umfangreichen Arbeitsplänen an Grundschulen. Bis zur Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ab dem Schuljahr 2026/27 fehlen der Bundesregierung zufolge bundesweit noch 342 000 Plätze. Wie schafft es das Land NRW, angesichts des massiven Bedarfs an Fachkräften und Räumlichkeiten bis dahin ein qualitativ hochwertiges Ganztagsangebot anzubieten? Den Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für Kinder im Grundschulalter einzulösen, stellt Länder und Kommunen unbestritten vor Herausforderungen. Doch Nordrhein-Westfalen ist auf Kurs. Die offene Ganztagsschule hat sich im bevölkerungsreichsten Bundesland seit mehr als 20 Jahren bewährt, und die Kommunen bauen die Angebote vor Ort bedarfsgerecht aus. Über den Landeshaushalt und die mittelfristige Finanzplanung hat die Landesregierung frühzeitig für Planungssicherheit gesorgt: Zum Schuljahr 2028/29 und damit schon ein Jahr vor dem Endausbau des Rechtsanspruchs könnten vonseiten des Landes insgesamt 605 000 Plätze im offenen Ganztag finanziert werden – das sind deutlich mehr als die in Prognosen vorhergesagten 590 000 Plätze, die ab dem Schuljahr 2029/2030 in Grundschulen und offenen Ganztagsförderschulen benötigt werden. Der Rahmen für eine erfolgreiche Weiterführung des offenen Ganztags in Nordrhein-Westfalen als Kooperationsmodell von Schule und Jugendhilfe ist darüber hinaus durch unseren neuen Erlass und die Förderrichtlinie für den Infrastrukturausbau gesetzt. Wir haben ganz bewusst schon jetzt diesen Erlass entworfen und bekannt gegeben, auch wenn er erst zum 1. August des kommenden Jahres in Kraft tritt. So sind die Anforderungen an die inhaltliche Gestaltung frühzeitig klar. Die Kommunen werden beim quantitativen und qualitativen Ausbau unterstützt. Insgesamt stehen rund 892 Millionen Euro an Bundes-, Landes- und kommunalen Mitteln für Investitionen zur Verfügung. Die Initiative für einen handlungsfähigen Staat schlägt unter anderem eine Klärung der Bildungszuständigkeiten, die Gründung eines nationalen Bildungsrates und mehr Freiräume für Schulen vor. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen – sind sie ein echter Schritt nach vorn? Ich bin offen für alle Vorschläge, wir schauen uns alles ganz genau an. Seit meinem Amtsantritt habe ich sehr viele Schulen besucht, da es mir enorm wichtig ist, direkt vor Ort zu erfahren und zu sehen, was vielleicht verbessert werden kann. Um die Schulen eng und gut in die Zukunft zu begleiten, brauchen wir selbstverständlich auch eine Bildungspartnerschaft aller staatlichen Ebenen. Wir haben aber in NordrheinWestfalen auch schon einiges angestoßen, um Schulen zu entlasten und neue Freiräume zu erzeugen, nicht nur das, was ich eben bereits exemplarisch genannt habe. Wir treffen uns zum Beispiel regelmäßig mit Schulleiterinnen und Schulleitern. Dadurch bekommen wir unmittelbar mit, was sie leisten, und erhalten Impulse, wie wir sie in ihrer Arbeit stärken können. So wird die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) den Schulleitungen immer mehr Chancen bieten, ihren Arbeitsalltag einfacher zu gestalten. Das Ministerium leistet dabei Unterstützung mit einem Leitfaden, Webinaren und anderen Online-Angeboten. Weitere Maßnahmen werden nach und nach umgesetzt. Welche Bildungsprojekte sollten Ihrer Meinung nach höchste Priorität bei der Finanzierung durch ein Sondervermögen haben? Das wird man nun sehen, die neue Bundesregierung formiert sich ja gerade erst. Das neue Investitionsprogramm wird sicherlich auch der Sanierung und Substanzerhaltung unserer Schulen zugutekommen. Das ist richtig und wichtig und wird auch die Schulen in Nordrhein-Westfalen weiter voranbringen. _ KI wird den Schulleitungen immer mehr Chancen bieten, ihren Arbeitsalltag einfacher zu gestalten. FOKUS 13 dbb magazin | Mai 2025
DOSSIER SCHULE UND BILDUNG Bildungsinvestitionen Zeit für den großen Wurf Noch vor der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags wurden entscheidende Weichen für dessen künftige Arbeit gestellt: Neben der Aussetzung der Schuldenbremse zugunsten von Verteidigungsausgaben lockerte das scheidende Parlament den Verschuldungsspielraum für die Länder und verabschiedete ein historisch hohes Sondervermögen von 500 Milliarden Euro. Beide Maßnahmen beinhalten ausdrücklich Investitionen in den Bildungsbereich. Zwar liegt die Bildungspolitik in der Verantwortung der Länder, doch durch zwei Grundgesetzänderungen kann der Bund inzwischen Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur leisten. Ein Blick in viele Schulen zeigt die Dringlichkeit: Die räumliche Ausstattung ist oft marode, der Personalmangel gravierend. Die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Lesen, Schreiben und Mathematik nehmen ab. Unter anderem verstetigen sich dadurch Bildungsungleichheiten. Gleichzeitig steigt der Anteil nicht grundständig ausgebildeten Personals. Das deutsche Bildungssystem ist überlastet und bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. „Das Sondervermögen hat erwartungsgemäß großes Interesse geweckt. Jetzt ist entscheidend, dass die Mittel gezielt und nachhaltig auch im Bildungsbereich eingesetzt werden, damit sie nicht nur ein Strohfeuer entfachen, sondern das Bildungssystem für die Zukunft stärken“, betont Simone Fleischmann, stellvertretende Bundesvorsitzende des dbb sowie des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Die Liste bildungspolitischer Aufgaben ist lang: Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, Schulbau, Digitalisierung und Chancengerechtigkeit müssen im Rahmen des Sondervermögens prioritär behandelt werden. Große Lücken bei Ganztagsbetreuung Ab 2026 gilt bundesweit der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Richtig umgesetzt, kann er Bildungsgerechtigkeit, Geschlechtergleichstellung und die Erwerbstätigkeit – insbesondere von Frauen – fördern. Doch der schleppende Ausbau wirft Zweifel auf, ob dieses Potenzial tatsächlich ausgeschöpft werden kann. Über 340 000 zusätzliche Plätze werden laut Prognosen noch benötigt. Zwar startet der Rechtsanspruch zunächst nur für Erstklässler und wird bis 2029 stufenweise auf alle Klassenstufen ausgeweitet, doch der Handlungsdruck ist enorm. Es fehlt an Personal, Räumen und verbindlichen Qualitätsstandards – Letztere werden von der Politik bislang abgelehnt. „Eine qualitativ hochwertige Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ist entscheidend, Modelfoto: Colourbox.de 14 FOKUS dbb magazin | Mai 2025
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