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CESI-Generalsekretär Heeger im Interview

„Nun kommt es darauf an, dass die Mitgliedsstaaten alle Vorgaben auch umsetzen.“

Klaus Heeger ist Generalsekretär der Europäischen Union Unabhängiger Gewerkschaften (CESI). Wir haben ihn eine Woche vor der Europawahl gefragt, wie er die Folgen des Wahlergebnisses für Gleichstellungspolitik und Gewerkschaftsarbeit einschätzt.

Standpunkt

Herr Heeger, wie wird sich das Ergebnis der Wahl des EP auf die Entwicklung von Gleichstellung und Frauenrechte in der EU auswirken?

Die EU hat bedeutende Kompetenzen im Bereich der Frauenrechte und Gleichstellungspolitik. Sie setzt Mindeststandards und fördert gleiche Chancen durch verschiedene gesetzliche Vorgaben, die von den Mitgliedstaaten verbindlich umgesetzt werden müssen. Das Ergebnis der Europawahl kann also auch entscheidend für die Zukunft der Gleichstellung und Frauenrechte in der EU sein, weil das Europaparlament – zusammen mit dem Ministerrat – im europäischen Entscheidungsprozess Mitgesetzgeber ist und über die Jahre und Jahrzehnte immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Je nach politischer Mehrheit kann das Europaparlament in dieser Rolle auf strengere Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung, einen weitergehenden Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit hinwirken – oder nicht.

Was bedeutet das Ergebnis für die Arbeit der Gewerkschaften?

Als CESI, als Europäische Union Unabhängiger Gewerkschaften, schauen wir genau hin, welche Parteien die Rolle von Gewerkschaften und sozialem Dialog glaubhaft stärken wollen. Generalisieren kann man aber nur bedingt. Die Spannweite unter den Parteien in den Mitgliedstaaten und den gewählten Abgeordneten ist im Europaparlament seit jeher enorm. Auch innerhalb der einzelnen Gruppen im Parlament gibt es immer wieder konträre Ansichten zu konkreten Themen. Wir rufen deshalb alle Mitglieder auf, sich vor dem Urnengang intensiv mit den nationalen Programmen und Kandidaten aller demokratischen Parteien zu beschäftigen.

Wahlen bieten immer eine Chance, die Rolle von Frauen in der Arbeitswelt weiter zu stärken und ihre Teilhabe in Gewerkschaften zu erhöhen. Nach der Wahl von 2019 ist der Frauenanteil unter den Abgeordneten im EP auf 40 Prozent gestiegen, was auch in etwa der aktuelle Wert ist. Das ist höher als der Frauenanteil in den meisten nationalen Parlamenten in der EU, welcher im Schnitt bei 33 Prozent liegt. Was ist der Grund für diesen Unterschied?

Das Europäische Parlament setzt sich nicht aus einer europäischen Kandidatenliste zusammen; vielmehr setzt jede nationale Partei ihre eigenen nationalen – oder sogar regionalen – Listen zusammen. Der höhere Frauenanteil im Europaparlament im Vergleich zu den nationalen Parlamenten vieler EU-Staaten lässt sich durch die unterschiedlichen Wahlsysteme und Mechanismen der Listenplatzgestaltung erklären. Viele – und immer mehr – nationale Parteien setzen in ihren Wahllisten auf ein Gleichgewicht der Geschlechter und bevorzugen oft das Prinzip des Reißverschlusssystems, bei dem Männer und Frauen abwechselnd platziert werden. Diese Praxis ist allerdings nicht in allen nationalen Systemen und Parteien verbreitet, was zu Unterschieden im Frauenanteil führt. Der Frauenanteil im nächsten Europäischen Parlament wird also von dem konkreten Abscheiden der einzelnen Parteien auf nationaler Ebene abhängen.

Letztlich bedarf es einem Abbau veralteter Stereotypen.

Welche Maßnahmen braucht es, um mehr Frauen in das Europäische Parlament zu bringen und eine repräsentative Geschlechterverteilung zu erreichen?

Zunächst können Weiterbildung und Förderprogramme dazu beitragen, dass sich mehr Frauen politisch engagieren und in diesem Bereich Führungsaufgaben übernehmen wollen. Auch die öffentliche Sensibilisierung und Kampagnen zur Bedeutung geschlechtergerechter Vertretung sind dafür entscheidend. Um dann tatsächlich eine repräsentativere Geschlechterverteilung im Europäischen Parlament zu erreichen, sind zumindest kurz- bis mittelfristig konsequente Quoten in den Wahllisten der nationalen Parteien nötig. Letztlich bedarf es einem Abbau veralteter Stereotypen innerhalb der politischen Parteienlandschaft, um strukturelle Barrieren abzubauen.

Was sind die wichtigsten Themen, mit der sich die CESI-Kommission für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit in den kommenden zwölf Monaten beschäftigen wird?

Nach der Europawahl kommt es zunächst darauf an, darauf hinzuwirken, dass es eine starke Kommissarin bzw. einen starken Kommissar mit einem umfassenden Portfolio für den Bereich der Frauenrechte und Gleichstellung geben wird. Außerdem läuft die gegenwärtige EU-Gleichstellungsstrategie 2025 aus. Hier gilt es, politisch Druck auszuüben, dass es eine ambitionierte Nachfolgestrategie geben wird. Außerdem wird es wichtig sein, im Zusammenspiel mit den nationalen CESI-Mitgliedsorganisationen zu überwachen, dass die von der EU während der letzten Jahre angenommenen Richtlinien zu Frauenquoten, zur Lohntransparenz, zur Gewalt gegen Frauen und zur Stärkung der nationalen Gleichstellungsstellen von allen Mitgliedstaaten umfassend, zeitnah und korrekt ins nationale Recht überführt werden. Wir konstatieren, dass auf europäischer Ebene im legislativen Bereich seit den letzten EU-Wahlen 2019 in der Frauenrechts- und Gleichstellungspolitik viel erreicht wurde – nun kommt es darauf an, dass alle Vorgaben in den Mitgliedstaaten auch umgesetzt werden.

 

Wir danken Herrn Heeger für das Interview!

 

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