Sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz

Null Toleranz bei Grenzüberschreitungen

Anzügliche Kommentare von Kollegen oder unerwünschte Berührungen vom Chef. Betroffene von sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz sind am häufigsten Frauen.Vor sieben Jahren brach die #MeToo-Debatte das Schweigen über sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz. Damals wurde anhand der Erfahrungsberichte deutlich, wie viele Beschäftigte betroffen sind.

Fokus

Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist gesetzlich festgelegt, dass Beschäftigte in ihren Berufen keine Benachteiligung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter oder der sexuellen Identität erfahren dürfen. Das Gesetz soll Schutz für Arbeitnehmende bieten und gleichzeitig Arbeitgebende dazu verpflichten, diesen zu gewährleisten. In der Realität sieht es leider anders aus. Eine Studie aus dem Jahr 2019, durchgeführt von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, zeigt, dass neun Prozent aller Beschäftigten in den vergangenen drei Jahren sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz ausgesetzt waren – die Mehrheit darunter Frauen. Eine klare Definition des Tatbestandes ist im AGG verankert: Es beschreibt jedes sexualisierte Verhalten, das von der betroffenen Person nicht erwünscht ist. Dazu zählen verbale und nonverbale Formen sowie physische Belästigungen wie sexuell anzügliche oder zweideutige Bemerkungen und Witze, aufdringliches Starren und Hinterherpfeifen, unerwünschte Berührungen, Annäherungen und letztlich sexualisierte Übergriffe in Form von körperlicher Gewalt.

Die Studie bestätigt, dass 62 Prozent der Befragten Belästigungen in Form von sexualisierten Kommentaren erlebten. 44 Prozent berichteten von unerwünschten Blicken, Gesten und Nachpfeifen. Und 26 Prozent von unerwünschten Berührungen. „Die sexuelle Belästigung verletzt die Würde der betroffenen Person. Entscheidend ist dabei nicht, ob die Würdeverletzung beabsichtigt ist“, heißt es von der Antidiskriminierungsstelle. Es ist gesetzlich festgelegt, dass die betroffene Person das ihr widerfahrene Verhalten danach bewertet, ob sie es für angemessen hält oder nicht. Damit kann auch ein gut gemeintes Kompliment ohne weitere Hintergedanken vom Chef oder den Kollegen wie „Das steht Ihnen“ oder „Sie sehen heute aber gut aus!“ nicht in Ordnung sein.

Kommt es zur sexualisierten Gewalt am Arbeitsplatz, haben Betroffene verschiedene Möglichkeiten: „Es hilft ihnen wenn sie offen über die Erfahrungen sprechen können und nicht stigmatisiert werden. Das gilt gesellschaftlich, aber natürlich auch in Unternehmen“, sagt die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman. „Wir beraten kostenlos zu möglichen rechtlichen Schritten. Außerdem können wir auf Wunsch Stellungnahmen einholen. Klagen müssen die von sexueller Belästigung Betroffenen allerdings selbst“, erklärt sie.

Arbeitgeber müssen schützen

Es ist im Gesetz verankert, dass Arbeitgebende ihre Mitarbeitenden vor sexueller Belästigung schützen müssen. Wird ein entsprechender Vorfall gemeldet, darf dies laut AGG auf keinen Fall zu Nachteilen für die Person führen. „Der Arbeitgeber muss die Beschwerde prüfen und dafür sorgen, dass die Belästigung aufhört. Wie gut die Chancen stehen, dass das passiert, lässt sich nicht generell beantworten“, erläutert Ataman und bekräftigt, dass Betroffene sich nicht mit der Belästigung abfinden sollten. Wichtig sei es, sich rechtlich abzusichern, wenn man zum Beispiel dem Arbeitsplatz aufgrund eines Vorfalls fernbleibe oder auf Entschädigung- und Schadensersatz klage. „Das muss laut AGG innerhalb von zwei Monaten passieren. So lang ist die Frist, um rechtlich gegen sexuelle Belästigung vorzugehen“, sagt Ferda Ataman. „Unter Umständen kommt bei Formen drastischer sexueller Belästigung auch das Strafrecht in Betracht, also eine Anzeige gegen den Täter. Auch das sollten Betroffene nicht ohne rechtliche Beratung entscheiden.“ Für den Schutz der Beschäftigten ist es nötig, Täterinnen oder Tätern Konsequenzen aufzuerlegen. Das kann zunächst ein Gespräch oder eine Mediation sein. In anderen Fällen können aber auch Verwarnungen, Versetzungen oder Kündigungen ausgesprochen werden.

Handeln statt totschweigen

Es ist wichtig zu handeln, denn die Folgen für Betroffene dürfen nicht unterschätzt werden, warnt auch die auf sexuelle Belästigung spezialisierte Diplom-Psychologin Claudia Vaupel. Laut einer 2020 veröffentlichten Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und Universität Hamburg sind sie viel gravierender als andere psychische Belastungen. Das hänge damit zusammen, dass diese Erfahrungen die Intimsphäre verletzen und dies meistens mit starken Schamgefühlen verbunden seien. Möglich sind verschiedene Symptome: Von psychosomatischen Störungen wie Schlafstörungen, bis zu Depressionen und sogar einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass bereits niedrigschwellige Belästigung, also nonverbale oder verbale Belästigung, diese Auswirkungen haben können.

Prävention ist somit ein wichtiger Faktor im Kampf gegen sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz. Denn obwohl die Belästigungen fast durchweg als erniedrigend, bedrohlich oder psychisch belastend wahrgenommen wird, unternehmen viele Beschäftigte nichts dagegen. Laut Ataman wissen viele weder, dass sie gegen das Erlebte vorgehen, noch, an wen sie sich dabei wenden können. Die ”MeToo-Debatte” habe dazu beigetragen, das Thema in der Öffentlichkeit zu enttabuisieren, erklärt Dr. Heike Schamborstki von der BGW. „Das senkt die Schwelle für Betroffene, im eigenen Arbeitsumfeld darüber zu sprechen“, sagt sie im BGW-Interview. „Wenn Menschen das Gefühl bekommen, sie sind nicht die einzige Person, die das betrifft, dann hilft das zu erkennen, dass es auch nicht das persönliche Versagen war.“

Hierarchien und Machtverhältnisse im Arbeitsumfeld sind die größte Ursache für sexualisierte Gewalt. „Betroffene sind zum Teil auch finanziell von den Tätern abhängig. Sie haben Angst, ihren Job zu verlieren oder, dass ihnen Aufstiegsmöglichkeiten versperrt werden“, erklärt Ataman. Meistens gehe es dabei um die Demonstration männlicher Dominanz. Das bestätigten auch der Antidiskriminierungsstelle gemeldete Fälle. Deswegen sollten präventive Maßnahmen als selbstverständlicher Bestandteil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes angesehen werden. Solche Maßnahmen gibt es in verschiedenen Formen. Die Antidiskriminierungsstelle rät dazu, offen mit dem Thema umzugehen. Es sei wichtig, Beschäftigten den Eindruck zu vermitteln, dass ihr Unternehmen sich gegen sexualisierte Gewalt stark mache und lernfähig zu sein. Für nachhaltige Maßnahmen brauche es klare Regeln und Grenzen, die zum Beispiel in Betriebsvereinbarungen geregelt und über vertrauenswürdige und qualifizierte Beschwerdestellen umgesetzt werden könnten, so Ataman. Zusätzlich bedürfe es gesellschaftlicher Veränderungen: „Es muss sich ein für alle Mal durchsetzen, dass Betroffene von sexueller Belästigung nie selbst schuld an übergriffigem Verhalten sind“, fordert die Bundesbeauftragte.

 

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