8. Seniorenpolitische Fachtagung
Bildungssituation Älterer berücksichtigen
„Ältere wollen weiterlernen, weil sie die Zukunft mitgestalten wollen!“, unterstreicht Horst Günther Klitzing, Vorsitzender der dbb bundesseniorenvertretung.
Der Staat muss „die geeigneten Rahmenbedingungen schaffen und auch für die notwendige personelle Unterstützung sorgen, damit das Lernen im Alter gelingen kann.“ Mit dieser Überzeugung eröffnete Horst Günther Klitzing, Vorsitzender der dbb bundesseniorenvertretung, die 8. Seniorenpolitische Fachtagung des dbb am 1. Oktober 2024 in Berlin. Die Rahmenbedingungen seien in Deutschland nicht flächendeckend gegeben. Insbesondere die Länder fordert der Seniorenchef auf, „sich mit ihrer Kultur- und Bildungshoheit stärker und sichtbarer engagieren“. Dazu gehöre eine auskömmliche finanzielle Ausstattung der Kommunen, um die Teilhabechancen für ältere Menschen zu verbessern. Weiter müsse die Bildungssituation der älteren Generation im jährlichen Nationalen Bildungsbericht berücksichtigt werden, „als datenmäßige Voraussetzung für eine Nationale Bildungsstrategie.“ Ziel der Fachtagung sei es zu zeigen, dass es keine natürliche Grenze für lebenslanges Lernen gibt. „Wir wollen in den Fokus rücken, wie bereichernd und befriedigend die Neugier auf Neues für einen Menschen selbst und als Teil der sozialen Gemeinschaft sein kann.“
Mehr Bildung im Bereich Digitalisierung
Simone Fleischmann, stellvertretende dbb Bundesvorsitzende, forderte in ihrem Grußwort konkrete Zielsetzungen für die Bildung im Alter. Interessante Bildungsangebote für Ältere müssten zeitgemäße Themen adressieren, etwa die Digitalisierung. „Damit sie nicht den Anschluss an unsere zunehmend digitale Welt verlieren, müssen die Bildungsangebote für Ältere in diesem Bereich entsprechend ausgebaut werden.“
Um die Potenziale der Alten- und Altersbildung ausschöpfen zu können, bedarf es zwingend einer qualitativen und quantitativen Steigerung des Angebots, das zugänglich, niederschwellig, kostengünstig und passgenau sein muss, so Fleischmann. Bildung umfasse neben dem klassischen Wissenserwerb auch das Sammeln von Erfahrungen, etwa beim Tanzen, Musizieren oder Wandern. Lernen ist keine Einbahnstraße, sondern lebe von Austausch und sozialer Interaktion und sei deshalb ein wirksames Mittel gegen Einsamkeit. „Bildung ist ein Schlüsselfaktor für Selbstbestimmung und Lebensqualität im Alter“, unterstreicht Fleischmann und ruft gleichzeitig der älteren Generation zu: „Lernt, um gut und gesund zu leben.“
Andreas Schulze, Leiter der Abteilung 3, Demografischer Wandel, Ältere Menschen, Wohlfahrtspflege im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), erinnerte am 1. Oktober, dem Internationalen Tag der älteren Menschen, an Notwendigkeit, auch in höherem Alter weiterzulernen. Das Seniorenministerium wolle allen Alten Bildung bereitstellen, denn „die Potenziale der Alten brachliegen zu lassen, ist der falsche Weg.“
Zunächst sei es wichtig, die Datengrundlage zur Bildung im Alter zu verbessern; es sei zu wenig bekannt über Hochaltrige etwa oder über migrantische Alte. Um lange selbstbestimmt leben zu können, würden vor allem digitale Bildungsangebote gebraucht. Schulze erwähnte in diesem Zusammenhang den „Digitalpakt Alter“, an dessen bundesweit 300 Lernpunkten Angebote zur digitalen Teilhabe gemacht würden, die Initiative „Digitale Engel“, die ältere Menschen bei der Nutzung digitaler Angebote unterstützt, und die Webseite wissensdurstig.de der Servicestelle „Bildung und Lernen im Alter“.
Wie Lernen im Alter gelingt
In seinem Vortrag „Lernen im Alter: Potenziale und Herausforderungen aus neurowissenschaftlicher Perspektive“ erklärte Dr. Ben Godde, Professor für Neurowissenschaften an der Constructor University Bremen, wie sich Lernstrategien mit dem Alter verändern und welche besonderen Bedürfnisse ältere Beschäftigte haben. Die Lernfähigkeit, so Godde, sei eng mit den physischen, psychischen und kulturellen Ressourcen eines Menschen verknüpft. Personen mit höheren kognitiven und neuronalen Reserven könnten pathologische Veränderungen besser kompensieren. Er betonte, dass ältere Menschen, obwohl sie auf einem niedrigeren Ausgangsniveau beginnen und langsamer lernen, dennoch einen Lernzuwachs ähnlich wie jüngere Menschen erfahren. Besonders positiv wirke sich dabei das Feedback von Führungskräften aus, das das Selbstvertrauen älterer Mitarbeitender stärken könne. Auch gesunder Schlaf fördere die Gedächtnisleistung, während der Einsatz von Hörgeräten die Kommunikation und damit das Lernen verbessere. „Ältere haben wertvolle Potenziale, die von Unternehmen stärker genutzt werden sollten“, resümierte Godde.
Auch Alexandra Ziegler, Referentin für Digitalisierung und Bildung bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), betonte die Bedeutung lebenslangen Lernens im Alter. Sie hob hervor, dass dies unerlässlich sei, um sich sowohl an persönliche als auch gesellschaftliche Veränderungen anzupassen, geistige und körperliche Fitness zu bewahren und letztlich die Selbstständigkeit möglichst lange zu erhalten. Ziegler bezeichnete ältere Menschen als eine „Gruppe mit wachsendem Einfluss“ und unterstrich, dass die Gesellschaft auf deren Fähigkeiten angewiesen sei. „Eine gesellschaftliche Weiterentwicklung kann nur gemeinsam gelingen.“ Die BAGSO fordert daher seit 2022, dass Bildung im Alter als politische Aufgabe verankert wird, um sie flächendeckend und für alle zugänglich zu machen. Dafür seien Impulse von der Bundesebene notwendig, verbunden mit einer klaren Klärung der Verantwortlichkeiten. Vor Ort müssten zudem die Strukturen gestärkt und Akteure besser vernetzt werden.
Am Beispiel der Stadt Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern erläuterte Oberbürgermeister Silvio Witt, wie eine erfolgreiche Vernetzung vor Ort gestaltet werden kann. Ein zentrales Problem der Stadt ist die stark schwankende Einwohnerzahl, die seit 1989 von 92 000 auf derzeit 66 000 gesunken ist. Neben der Herausforderung einer zunehmenden Überalterung besteht auch die Notwendigkeit, eine wachsende Zahl von Migrantinnen und Migranten zu integrieren. Ein Netzwerk von Mehrgenerationenhäusern, die jeweils spezifische Angebote bereitstellen, unterstützt einerseits den dezentralen Kampf gegen Alterseinsamkeit. Witt betonte, dass dies „nicht technisch, sondern nur durch Motivation“ gelöst werden könne. Andererseits dienen Initiativen wie gemeinsames Kochen in der „Suppenküche“ auch der Bekämpfung von Altersarmut. In Zusammenarbeit mit Wohnungsbauunternehmen und -genossenschaften schafft die Stadt ein flächendeckendes Angebot, das von Seniorentreffs über Digitalberatung bis hin zur Unterstützung bei Behördengängen reicht. Die Seniorinnen und Senioren bringen sich aktiv ein, indem sie beispielsweise beim Deutschunterricht oder den Hausaufgaben helfen und Stadtteilfeste organisieren. Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Demografiestrategie erhält Neubrandenburg durch das Modellprojekt „Zukunftswerkstatt Kommunen – Attraktiv im Wandel“ des BMFSFJ.
Nie zu alt für Neues – Lernen ohne Limit
Jens „Der Denker“ Seiler beeindruckte das Publikum mit seiner außergewöhnlichen Gedächtnisleistung. So war er in der Lage, einem zufällig aus dem Telefonbuch der Stadt Gießen ausgewählten Teilnehmer die korrekte Telefonnummer zuzuordnen. Weiterhin bot Seiler faszinierende Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses. Wie gelingt es, sich mehr als sieben Begriffe zu merken? Der Schlüssel liegt darin, Bekanntes mit Unbekanntem zu verknüpfen – beispielsweise Zahlen mit vertrauten Objekten oder Begriffe mit emotional besetzten Bildern. Wer sich Begriffe, Vokabeln oder Daten einprägen möchte, profitiert davon, diese mithilfe von Symbolbildern gedanklich entlang eines festen Pfades durch die eigene Wohnung an bestimmten Orten zu „verankern“.
Norbert Lütke, Zweiter Vorsitzender dbb bundesseniorenvertretung, erinnerte in seinem Schlusswort an Henry Ford: „Jeder, der aufhört zu lernen, ist alt, mag er zwanzig oder achtzig Jahre zählen. Jeder, der weiterlernt, ist jung, mag er zwanzig oder achtzig Jahre zählen.“ ada